VwGH vom 03.09.2015, Ra 2015/08/0089

VwGH vom 03.09.2015, Ra 2015/08/0089

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse in 1220 Wien, Prandaugasse 58, gegen den am mündlich verkündeten und mit Datum vom schriftlich ausgefertigten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W131 2009152-1, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit des AlVG (mitbeteiligte Partei: W W in Wien, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid vom sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) gegenüber der Mitbeteiligten aus, dass das Arbeitslosengeld gemäß § 24 Abs. 1 sowie § 22 Abs. 1 und 3 AlVG ab eingestellt werde. Dies wurde damit begründet, dass die Mitbeteiligte laut Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) vom ab Anspruch auf vorzeitige Alterspension habe. Da sie am bei der PVA einen Antrag gestellt habe, sei ab dem kein Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Sie führte ein Schreiben der PVA vom ins Treffen, wonach sie die Voraussetzungen für die Alterspension erst zum Stichtag erfülle und die Voraussetzungen für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer vor Erreichen des Anfallsalters für die Alterspension nicht erfüllbar seien.

Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Mitbeteiligte beziehe seit Arbeitslosengeld. Im Zug einer persönlichen Vorsprache am habe sie eine Pensionsvorausberechnung der PVA vom vorgelegt, der zufolge ihre vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 253b ASVG zum monatlich brutto EUR 629,38 und die Alterspension gemäß § 253 ASVG zum monatlich brutto EUR 730,22 betragen würde. Sie sei daraufhin informiert worden, dass bei Bestehen eines Anspruchs auf Alterspension Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht mehr möglich seien.

Am habe die Mitbeteiligte einen Antrag auf Zuerkennung einer Alterspension gestellt. Die PVA habe ihr daraufhin ein Schreiben übermittelt, wonach sie die Voraussetzungen für die Alterspension erst zum Stichtag erfülle und die Voraussetzungen für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer vor Erreichen des Anfallsalters für die Alterspension nicht erfüllbar seien. Hingegen sei die Pensionsanfrage des AMS von der PVA mit Schreiben vom dahingehend beantwortet worden, dass die Mitbeteiligte die Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bereits seit erfülle. Auf telefonische Rückfrage habe die PVA am bestätigt, dass der Stichtag für die vorzeitige Alterspension bereits seit "gegeben" sei und der Pensionsantrag vom auf Wunsch der Mitbeteiligten auch als Antrag auf eine vorzeitige Alterspension gewertet werden könne. Daraufhin sei die bescheidmäßige Einstellung des Arbeitslosengeldes erfolgt.

Nach Einlagen der dagegen erhobenen Beschwerde habe die PVA die widersprüchlichen Bestätigungen telefonisch damit erklärt, dass in der "Info" der PVA nur fiktive Stichtagsberechnungen ohne Berücksichtigung von ausländischen Versicherungszeiten möglich wären. Im Fall der Mitbeteiligten wäre aber auf Grund ihrer ausländischen Versicherungszeiten tatsächlich bereits ein Anspruch auf vorzeitige Alterspension gegeben. Diese Auskunft der PVA sei der Mitbeteiligten mit Schreiben vom zur Kenntnis gebracht worden. In ihrer Stellungnahme vom habe sie erklärt, dass sie ihr Beschwerdebegehren auch vor dem Hintergrund der eingeholten Auskunft vollinhaltlich aufrecht erhalte, da eine andere Rechtsauslegung zumindest mittelbar altersdiskriminierend wäre.

In rechtlicher Hinsicht führte das AMS aus, dass die Mitbeteiligte unter Berücksichtigung ihrer ausländischen Versicherungszeiten seit die Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 253b ASVG erfülle, womit der Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 22 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen sei.

Die Mitbeteiligte stellte - ohne weitere Begründung - einen Vorlageantrag.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine mündliche Verhandlung durch, in der die Parteien laut Niederschrift die unterschiedlichen Auskünfte der PVA zitierten und der Vertreter der Mitbeteiligten überdies seine Behauptung der Altersdiskriminierung für den Fall der Einstellung des Arbeitslosengeldes bei Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension erläuterte.

Im Anschluss an die Verhandlung verkündete das Bundesverwaltungsgericht den nunmehr angefochtenen Beschluss, mit dem die Beschwerdevorentscheidung aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückverwiesen wurde. Dies wurde damit begründet, dass im Verwaltungsakt keine Unterlagen enthalten seien, die es dem Bundesverwaltungsgericht "schlüssig deduktiv ermöglichen würden, den Anspruch nach § 253b ASVG im strittigen Zeitraum eindeutig nachzuvollziehen". Diesbezüglich ausreichende Sachverhaltsermittlungen seien seitens des AMS in diesem Vorfragenbereich unterblieben. Verwiesen werde insbesondere auf die Unterlagen betreffend die ausländischen Pensionsversicherungszeiten bzw. die sonstigen pensionsrelevanten Zeiten, außerdem auf widersprüchliche Auskünfte der PVA, die für sich zudem keine verbindliche Vorfragenentscheidung darstellten. Da insoweit Ermittlungen in wesentlichen Sachverhaltselementen fehlten und derartige Ermittlungen für das Gericht "umfangreich und extrem zeitaufwändig" wären, sei das Vorgehen gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Ro 2014/03/0063 jedenfalls zulässig.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision des AMS. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens und die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses vom vorgelegt. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Vorab ist festzuhalten, dass die Erhebung der Revision schon vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses zulässig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/04/0068).

2. Das revisionswerbende AMS macht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Es liege keine der Voraussetzungen vor, die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Behebung und Zurückverweisung berechtigt hätten. Für das AMS habe keinerlei Veranlassung bestanden, zu den im gesamten Verfahren überhaupt nicht strittigen Pensionsversicherungszeiten der Mitbeteiligten Ermittlungen anzustellen. Es treffe auch nicht zu, dass die Ermittlungen zur Feststellung der Pensionsversicherungszeiten umfangreich und extrem zeitaufwändig wären, weil diese ohne großen Aufwand bei der PVA erfragt werden könnten. Als schwierig könne sich allenfalls die Beantwortung der Vorfrage erweisen, ob auf Grund der in- und ausländischen Pensionsversicherungszeiten ab ein Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bestanden habe. Die Aufhebung und Zurückverweisung zur Beurteilung einer Rechtsfrage sei in § 28 Abs. 3 VwGVG allerdings nicht vorgesehen. Krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die zu einer Zurückverweisung ermächtigen würden, lägen nicht vor. Vielmehr habe das Bundesverwaltungsgericht die widersprüchlichen Schreiben der PVA - ungeachtet der Auflösung des Widerspruchs durch die PVA - dahin gewürdigt, dass die Mitbeteiligte möglicherweise doch nicht über die für die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension am erforderlichen Versicherungszeiten verfüge. Wenn aber das Bundesverwaltungsgericht Beweisergebnisse in eine andere Richtung würdige als die Verwaltungsbehörde und sich infolgedessen die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ergebe, stelle dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0029) keine Unterlassung der Ermittlungstätigkeit durch die Verwaltungsbehörde dar. Das Bundesverwaltungsgericht hätte vielmehr selbst weitere Ermittlungen vornehmen und deren Ergebnisse einer meritorischen Entscheidung zu Grunde legen müssen.

3. Die Revision ist zulässig, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes abgewichen ist.

Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen ist auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063, zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat darin dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Derartige Ermittlungsmängel sind im vorliegenden Fall nicht zu sehen. Der Widerspruch zwischen verschiedenen Schreiben der PVA in Bezug auf den Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension wurde durch das AMS mittels Nachfrage bei der PVA aufgeklärt. Es ist nicht aktenkundig, dass die Mitbeteiligte an der ihr zur Kenntnis gebrachten Auflösung des Widerspruchs durch die PVA Zweifel geäußert hätte. Vielmehr hat sie - durch ihren Vertreter - den Verdacht der Altersdiskriminierung durch den Ausschluss vom Arbeitslosengeldbezug bei Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension in den Raum gestellt, sodass das AMS davon ausgehen konnte, dass der Anspruch als solcher nicht (mehr) strittig war.

Das Bundesverwaltungsgericht legt auch nicht dar, warum allfällige weitere Ermittlungen zur Feststellung des Anspruchs auf eine vorzeitige Alterspension besonders aufwändig wären und nicht etwa in Form einer Anfrage bei der PVA hinsichtlich der (in- und ausländischen) Versicherungszeiten durchgeführt werden könnten.

4. Da das Bundesverwaltungsgericht somit zu Unrecht eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG getroffen hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Wien, am