VwGH vom 06.04.2016, Ra 2015/08/0071
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Salzburger Gebietskrankenkasse in Salzburg, vertreten durch die Niederhuber Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Wilhelm-Spazier-Straße 2a, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , L503 2011400-1/2E, betreffend Zurückverweisung in einer Sozialversicherungsangelegenheit (mitbeteiligte Partei: F H in U, vertreten durch die Stolz Schartner Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H., in 5550 Radstadt, Schernbergstraße 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse (SGKK) vom wurden dem Mitbeteiligten gemäß § 35 Abs. 1 ASVG Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 3.934,47 sowie Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG in Höhe von EUR 898,23, vorgeschrieben. Begründet wurde dies mit Melde- und Beitragsdifferenzen auf Grund von nicht in der Lohnverrechnung berücksichtigten Trinkgeldern, welche im Rahmen einer GPLA für den Zeitraum bis festgestellt worden seien. Aufzeichnungen über den Trinkgeldbezug seien nicht geführt worden. Es sei Faktum, dass im Taxigewerbe Trinkgelder lukriert würden. Unter Zugrundelegung einer Aufstellung von vollversicherten Dienstnehmern und solchen, die nur der Teilversicherung unterlegen seien, sei ein Tagessatz in Höhe von EUR 5,00 täglich als Trinkgeld und Bemessungsgrundlage zur Sozialversicherung bei Dienstnehmern, welche der Vollversicherung unterlagen, geschätzt worden.
Bezüglich der Schätzung von Trinkgeldern orientierte sich die SGKK an einer Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , 43 R 508/80, hinsichtlich des dort ermittelten Trinkgeldpauschales.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Schreiben vom legte die SGKK dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde vor.
3 Über diese Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Beschluss den bekämpften Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Gebietskrankenkasse zurückverwiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
4 Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus, dass es zutreffend sei, dass Trinkgelder im Taxigewerbe branchenüblich seien und die SGKK bei fehlenden Aufzeichnungen zur Schätzung berechtigt sei. Allerdings sei die Schätzung des Trinkgeldes mit EUR 5,00 pro Arbeitstag nicht hinreichend nachvollziehbar. Der für den Abschluss des gegenständlichen Verfahrens erforderliche Sachverhalt stehe nicht fest und könne seitens des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht festgestellt werden. Es lägen nämlich keine Unterlagen über die Arbeitstage der der Vollversicherung unterlegenen Personen und der exakten Beitragsgrundlagen im relevanten Zeitraum vor bzw. verfüge das Bundesverwaltungsgericht auch über keine entsprechenden EDV-Programme, die eine zahlenmäßig exakte Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ermöglichen würden.
5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision der Gebietskrankenkasse. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG - zulässig, weil das Bundesverwaltungsgericht, wie die SGKK in der Revision zutreffend aufzeigt, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen ist.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in zahlreichen Erkenntnissen, beginnend mit jenem vom , Ro 2014/03/0063, zur Befugnis der Verwaltungsgerichte zur Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG Stellung genommen.
8 Demnach stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0042, mwN), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind. In Anbetracht dessen, dass die Verwaltungsgerichte in ihrer Konzeption nun die erste gerichtliche Tatsacheninstanz sind, haben sie auf Basis von vorhandenen Ermittlungsergebnissen und allfälligen Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden.
10 Im Hinblick auf die (oben zusammengefasst wiedergegebenen) Feststellungen der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse lagen dem Bundesverwaltungsgericht brauchbare Ermittlungsergebnisse vor (wie bspw. der Prüfbericht), die von ihm allenfalls zu vervollständigen gewesen wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0012, mwN).
Gravierende Ermittlungslücken werden auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht aufgezeigt, sondern es ergibt sich vielmehr aus den Ausführungen im angefochtenen Beschluss selbst, dass die bereits vorliegenden Unterlagen zu ergänzen wären. In Anbetracht der materiell-rechtlichen Verteilung der Mitwirkungspflichten der Parteien eines Verfahrens wird zunächst mit diesen zu erörtern sein, welche rechtlich relevanten tatsächlichen Umstände strittig sind bzw. bleiben. Daran hat sich ein auf die (rechtlich) relevanten Fragen konzentriertes Ermittlungsverfahren anzuschließen, das insbesondere die Vernehmung von Parteien bzw. Zeugen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht umfasst. Sodann ist ein Erkenntnis zu fällen, das den Anforderungen des hg. Erkenntnisses vom , 2013/08/0060, gerecht wird.
Die Präzisierung der Arbeitstage, die Ermittlung der exakten Beitragsgrundlagen sowie die Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht über kein entsprechendes EDV-Programm verfügt, ist kein Grund für die Zurückverweisung im Sinne der genannten Judikatur. Sollten Neuberechnungen notwendig sein, wird die Gebietskrankenkasse aber im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entsprechend mitzuwirken haben. Zu den Ermittlungsergebnissen wird selbstverständlich Parteiengehör zu gewähren sein, sodass die vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Rechtsschutzbedenken nicht nachvollziehbar sind.
11 Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Beschluss als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am