VwGH vom 09.09.2015, Ra 2015/08/0052

VwGH vom 09.09.2015, Ra 2015/08/0052

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wiener Neustadt in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 36, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W209 2002527- 1/5E, betreffend Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: R T in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom stellte die revisionswerbende Partei (im Folgenden: AMS) fest, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 38 iVm. § 17 Abs. 1 und § 58 iVm. § 46 AlVG der Bezug der Notstandshilfe ab dem gebühre, weil er den Anspruch erst mit Antrag von diesem Tag geltend gemacht habe.

1.2. In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Mitbeteiligte vor, es sei ihm leider nicht möglich gewesen, einen - die Bezüge ab dem 17. (richtig: 18.) Oktober 2013 sichernden - neuen Antrag zu stellen, weil er auf Grund seiner mit akuten starken Schmerzen verbundenen Erkrankung nicht im Stande gewesen sei, "den Antrag zu verlängern und persönlich vorzusprechen". Er ersuche daher um Nachzahlung der Bezüge vom

17. (richtig: 18.) Oktober bis zum 7. (richtig: 6.) November 2013.

Der Mitbeteiligte schloss seiner Berufung eine Bestätigung über einen Ambulanzbesuch am an. Weiters legte er eine ärztliche Bestätigung vom vor, worin seine Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit ab diesem Tag festgehalten wurde; in der Urkunde wurde ferner (von der Gebietskrankenkasse) am bestätigt, dass die Arbeitsunfähigkeit am Vortag endete.

2.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht dem - als Beschwerde behandelten - Rechtsmittel Folge, indem es die Notstandshilfe im gesetzlichen Ausmaß (bereits) ab dem gewährte.

2.2. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dem Mitbeteiligten sei zuletzt ab dem für 52 Wochen Notstandshilfe im gesetzlichen Ausmaß zuerkannt worden. Er habe diese Leistung mit Unterbrechungen bezogen und am das Höchstausmaß erreicht.

Mit Schreiben vom 26. Juni und habe das AMS den Mitbeteiligten über das Höchstausmaß informiert und auf die erforderliche neue Antragstellung bis spätestens hingewiesen. Der Mitbeteiligte habe jedoch erst am den Antrag auf Weitergewährung der Notstandshilfe gestellt.

Der Mitbeteiligte sei in der Zeit vom 10. Oktober bis zum wegen einer zervikalen Dystonie mit torticollis spasmodicus, einer Skoliose mit Zervikalsyndrom, chronischer Cluster-Kopfschmerzen und einer Zwerchfellhernie arbeitsunfähig gewesen.

2.3. In der rechtlichen Würdigung führte das Verwaltungsgericht aus, nach § 46 Abs. 1 AlVG sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Es gebe aber Gründe - wie etwa eine Verhinderung wegen Arbeitsantritts oder Krankheit - die eine persönliche Vorsprache entbehrlich machten. Vorliegend sei daher entscheidend, ob es dem Mitbeteiligten im Hinblick auf seine Erkrankung möglich gewesen sei, das AMS aufzusuchen und den Antrag fristgerecht abzugeben.

Nach den Feststellungen sei der Mitbeteiligte vom 10. Oktober bis zum wegen seiner Krankheit als arbeitsunfähig gemeldet gewesen. Laut dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 96/08/0076, liege ein triftiger Hinderungsgrund für eine persönliche Vorsprache dann nicht vor, wenn der Betroffene in der Lage sei, andere Termine wahrzunehmen. Im konkreten Fall seien aber keine Anhaltspunkte gegeben, wonach der Mitbeteiligte trotz seiner Erkrankung andere Termine hätte wahrnehmen können. Folglich liege ein triftiger Grund vor, der ihn an der fristgerechten persönlichen Vorsprache beim AMS gehindert habe. In einem solchen Fall sei analog zu § 46 Abs. 5 AlVG die persönliche Vorsprache binnen einer Woche ab Wegfall des Hindernisses nachzuholen, um als rechtzeitig anerkannt zu werden. Der Mitbeteiligte habe am persönlich beim AMS vorgesprochen, folglich sei davon auszugehen, dass seine Verhinderung mit jenem Tag weggefallen und seine Vorsprache rechtzeitig gewesen sei.

Auf Grund der rechtzeitigen Antragstellung gebühre der Fortbezug der Notstandshilfe (bereits) ab dem . 2.4. Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Die gegenständliche Entscheidung folge dem (schon zitierten) Erkenntnis 96/08/0076. Es liege somit eine Rechtsprechung zur wesentlichen Frage vor, inwieweit eine Erkrankung einen triftigen Grund für das Absehen von einer persönlichen Vorsprache beim AMS darstelle.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision des AMS mit dem Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Das AMS macht geltend, das Verwaltungsgericht weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab. Der Mitbeteiligte habe die für den lückenlosen Fortbezug der Notstandshilfe erforderliche rechtzeitige Antragstellung unterlassen. § 46 AlVG enthalte eine umfassende Regelung der Folgen fehlerhafter oder verspäteter Antragstellung, eine Bedachtnahme auf Fälle eines unverschuldet unterbliebenen Antrags sei ausgeschlossen. § 46 Abs. 5 AlVG sei nicht anzuwenden, weil der Mitbeteiligte seit vom Krankengeldanspruch ausgesteuert gewesen sei und kein Krankengeld bezogen habe, sodass auch kein Ruhen des Notstandshilfebezugs während des Krankenstands ab eingetreten sei.

3.2. Der Mitbeteiligte begehrt in seiner Revisionsbeantwortung erkennbar, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist - aus den vom AMS angeführten Gründen - zulässig und berechtigt.

5.1. Voranzustellen ist, dass für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung das Antragsprinzip gilt. Zum materiellrechtlichen Anspruch muss der Formalakt der Geltendmachung hinzutreten (vgl. Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz (11. Lfg.) § 46 Rz 791).

Nach § 17 Abs. 1 AlVG gebührt das Arbeitslosengeld - abgesehen von der Rückwirkung auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag bei Geltendmachung am darauffolgenden Werktag, sowie der Rückwirkung auf den Eintritt einer vorab gemeldeten Arbeitslosigkeit bei Geltendmachung und persönlicher Vorsprache binnen zehn Tagen - grundsätzlich erst ab dem Tag der Geltendmachung.

Dem entspricht § 46 Abs. 4 letzter Satz AlVG, wonach die Leistung erst dann gewährt werden kann, wenn die regionale Geschäftsstelle dem Arbeitslosen keine zumutbare Arbeit vermitteln kann. Die Geltendmachung des Anspruchs ist also auch insoweit erforderlich, als damit die Meldung als arbeitssuchend und die zwingende Zurverfügungstellung für die Arbeitsvermittlung (§ 7 Abs. 1 Z 1 AlVG) verbunden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 97/08/0428).

5.2. § 46 AlVG regelt die näheren Voraussetzungen, unter denen ein Sachgeschehen als "Geltendmachung des Anspruches", an welche das Gesetz den Beginn des Bezugs von Leistungen knüpft, zu erachten ist:

5.2.1. § 46 Abs. 1 AlVG sieht vor, dass der Anspruch bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle mit dem bundeseinheitlichen Antragsformular grundsätzlich persönlich geltend zu machen ist. Der Arbeitslose muss zumindest einmal persönlich vorsprechen und das vollständig ausgefüllte Formular übermitteln, damit der Anspruch als geltend gemacht gilt. Das Arbeitsmarktservice kann aber vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen.

Personen, die über ein eAMS-Konto verfügen, können den Anspruch auch auf elektronischem Weg geltend machen, wenn die erforderlichen Daten dem Arbeitsmarktservice (auf Grund einer Arbeitslosmeldung oder einer Vormerkung zur Arbeitssuche) bereits bekannt sind. Sie haben grundsätzlich binnen zehn Tagen nach der elektronischen Übermittlung persönlich vorzusprechen, wobei jedoch das Arbeitsmarktservice Abweichendes verfügen kann.

§ 46 Abs. 1 AlVG bestimmt weiters, dass eine persönliche Vorsprache insbesondere dann nicht erforderlich ist, wenn der Arbeitslose aus zwingenden Gründen - wie etwa durch Arbeitsaufnahme oder Krankheit - verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Daraus ist insbesondere abzuleiten, dass der Anspruch in einem solchen Fall auch anderweitig (zB durch einen bevollmächtigten Vertreter) geltend gemacht werden kann.

5.2.2. § 46 Abs. 3 AlVG betrifft Fälle, in denen - abweichend von Abs. 1 - von einer rückwirkenden Geltendmachung auszugehen ist (Rückwirkung auf die Vorsprache bei einer unzuständigen Geschäftsstelle im Fall der Antragseinbringung bei der zuständigen Stelle binnen angemessener Frist; Rückwirkung auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit im Fall der Vorsprache am nächsten Amtstag;

Rückwirkung auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit bei späterer Verlegung des Wohnsitzes/Aufenthalts im Fall der Vorsprache bei der nunmehr zuständigen Geschäftsstelle binnen angemessener Frist;

Rückwirkung auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit bei verspäteter Kenntnis von der Beendigung eines Lehrverhältnisses nach einzelnen Tatbeständen des BAG bzw. LAG im Fall der Vorsprache bei der Geschäftsstelle binnen einer Woche).

5.2 3. § 46 Abs. 5 bis 7 AlVG betrifft Fälle, in denen nach einer erfolgten Unterbrechung des Bezugs oder einem eingetretenen Ruhen des Anspruchs nach § 16 AlVG das Arbeitslosengeld - mit oder ohne neuerliche Geltendmachung bzw. Wiedermeldung - weiter bezogen wird. Dabei sieht § 46 Abs. 5 und 6 AlVG insofern eine Rückwirkung vor, als das Arbeitslosengeld erst ab der Wiedermeldung gebührt, wenn diese nicht binnen einer Woche nach Ende des Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraums oder nach Beginn der Unterbrechung (bei einem gemeldeten aber nicht eingetretenen Tatbestand) erfolgt.

5.3. Gemäß den §§ 38 und 58 AlVG sind die soeben aufgezeigten Bestimmungen der §§ 17 und 46 auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt die - soweit hier wesentlich oben überblicksweise dargelegte - Bestimmung des § 46 AlVG eine umfassende Regelung der Rechtsfolgen fehlerhafter oder nicht fristgerechter (verspäteter) Antragstellungen dar. Die abschließende Normierung lässt es - selbst im Fall des Fehlens eines Verschuldens des Arbeitslosen - nicht zu, die Folgen einer (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung nachträglich zu sanieren. Ein Arbeitsloser ist nämlich selbst in jenen Fällen, in denen er auf Grund einer von einem Organ des Arbeitsmarktservice schuldhaft erteilten unrichtigen Auskunft einen - durch die Anwendung des § 46 AlVG nicht abwendbaren - Schaden erleidet, auf die Geltendmachung allfälliger Amtshaftungsansprüche verwiesen. Folglich findet die Fiktion einer dem Gesetz entsprechenden Antragstellung im Hinblick auf die formalisierte Antragstellung im Sinn des § 46 AlVG, der eine abschließende Regelung enthält, keine gesetzliche Grundlage (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2010/08/0103, und vom , 2006/08/0330).

7.1. Vorliegend erreichte der Mitbeteiligte (- nach den vom Verwaltungsgericht unbekämpft getroffenen Feststellungen -) das Höchstausmaß der ihm zuletzt ab dem für 52 Wochen zuerkannten Notstandshilfe am . Obwohl ihn das AMS mit Schreiben vom 26. Juni und vom über das Höchstausmaß informierte und auf die erforderliche erneute Antragstellung bis spätestens hinwies, stellte er erst am einen Antrag auf Weitergewährung der Notstandshilfe. Nach den §§ 17 Abs. 1 und 46 Abs. 1 AlVG steht ihm daher eine weitere Leistung grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung am zu.

7.2. Das Gesetz sieht zwar - wie bereits bei Darlegung der Rechtsgrundlagen erörtert wurde (vgl. oben Punkt 5.) - im § 17 Abs. 1 und vor allem im § 46 AlVG Fälle einer möglichen rückwirkenden Geltendmachung vor. Im gegenständlichen Fall sind jedoch die Voraussetzungen keines dieser Tatbestände gegeben.

Besonders hervorzuheben ist, dass auch § 46 Abs. 5 AlVG nicht zur Anwendung kommt, weil - wie aus dem Akt hervorgeht und unstrittig ist - die Gebietskrankenkasse am die Aussteuerung vom Krankengeldanspruch seit bis laufend meldete, der Mitbeteiligte daher im relevanten Zeitraum kein Krankengeld bezog, folglich ein Ruhen des Notstandshilfebezugs nicht eintrat und damit auch keine Auswirkung auf das Ende des Leistungsbezugs mit bestand.

7.3. Der Mitbeteiligte machte - obwohl ihn das AMS in zwei Schreiben auf die notwendige erneute Antragstellung bis hinwies - den Anspruch erst am geltend. Dabei war er an einer rechtzeitigen Antragstellung auch durch die bescheinigte Erkrankung nicht gehindert, hätte er doch - selbst wenn ihm eine persönliche Vorsprache beim AMS nicht möglich gewesen wäre (ärztlich bestätigt wurde freilich nur "Arbeitsunfähigkeit") - den Anspruch jedenfalls auch anderweitig (zB durch einen bevollmächtigten Vertreter) fristwahrend geltend machen können. Dass ihm dies nicht möglich gewesen wäre, wurde jedenfalls nicht behauptet und auch nicht festgestellt.

Dahingestellt bleiben kann, ob der Mitbeteiligte auch über ein eAMS-Konto verfügte, über das er den Anspruch ebenso hätte geltend machen können.

8. Insgesamt ergibt sich daher - auf Grundlage des bisherigen Vorbringens und der dazu getroffenen Feststellungen -, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer rückwirkenden Geltendmachung des Anspruchs ausging und die Notstandshilfe vom 18. Oktober bis zum zu Unrecht gewährte.

Das angefochtenen Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Wien, am