VwGH vom 16.10.2015, Ra 2015/08/0042
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des Arbeitsmarktservice Horn in 3580 Horn, Pragerstraße 32, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W218 2017322-1/4E, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach dem AlVG (mitbeteiligte Partei: E L in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Mitbeteiligte den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG für die Zeit vom 25. August bis zum verloren habe und Nachsicht nicht gewährt werde.
1.2. Dagegen erhob der Mitbeteiligte am Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Er habe alle Beratungsgespräche eingehalten, keinen Termin versäumt und sich auf alle Stellenausschreibungen beworben. Was das Anbot der H GmbH betreffe, so besitze er keinen Autokran-Schein und auch keinen C95 Schein für das Lenken eines LKW. Er habe sich daher dort nicht beworben.
2.1. Die zuständige AMS-Betreuerin hielt in einer internen Stellungnahme vom fest, das Bewerbungs- und Rückmeldeverhalten des Mitbeteiligten sei nicht ausreichend gewesen. Die Stelle bei der H GmbH sei ihm am mitgeteilt worden, eine dortige Anfrage am habe jedoch ergeben, dass er sich nicht beworben habe, obwohl er gute Aussichten auf die Stelle gehabt hätte. Der C95 Schein sei damals noch nicht zwingend vorgesehen gewesen; der Mitbeteiligte habe selbst bekannt gegeben, dass er über einen Ladekran-Schein verfüge. Der Ausspruch des Leistungsverlusts sei daher zu Recht erfolgt.
2.2. Mit Schreiben vom gab das AMS dem Mitbeteiligten - unter Einräumung einer Stellungnahme bis zum - die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wie folgt bekannt:
Im Rahmen der Betreuungsvereinbarung am sei festgelegt worden, dass sich der Mitbeteiligte auf zugewiesene Stellenangebote bewerben und eine Rückmeldung binnen acht Tagen erstatten werde. Die Stelle als LKW-Lenker bei der H GmbH sei ihm vereinbarungsgemäß im Wege seines eAMS-Kontos am zugewiesen worden, wobei die Nachricht laut Sendeprotokoll auch empfangen worden sei. Gesucht worden sei ein LKW-Lenker mit Führerschein B, C und E, mit Autokran-Schein, mehrjähriger Berufserfahrung und eigenem PKW; die Entlohnung wäre nach Kollektivvertrag erfolgt, die Arbeitsaufnahme am möglich gewesen. Der C95 Schein sei erst ab dem nötig gewesen, der Mitbeteiligte hätte die erforderliche Weiterbildung bis dahin nachholen können. Folglich sei eine gemäß § 9 Abs. 2 AlVG in jeder Hinsicht zumutbare Beschäftigung vorgelegen.
Mit Nachricht vom habe die zuständige AMS-Betreuerin den Mitbeteiligten nochmals auf die erforderliche Rückmeldung über Bewerbungen zu den am mitgeteilten Stellen hingewiesen.
Da der Mitbeteiligte bis zum keine Rückmeldung erstattete, habe das AMS bei der H GmbH Erhebungen angestellt. Dabei habe sich ergeben, dass er sich nicht beworben habe, obwohl er sämtliche Qualifikationen für die Stelle erfüllte. Mit Nachricht vom habe ihn das AMS daher aufgefordert, die Bewerbung im Hinblick auf die laut H GmbH bereits am 25. August mögliche Arbeitsaufnahme umgehend nachzuholen. Mit einer weiteren Nachricht vom selben Tag sei ihm ein Kontrollmeldetermin beim AMS für den vorgeschrieben worden. Beide im Wege des eAMS-Kontos übermittelten Nachrichten seien auch empfangen worden.
Beim Termin am habe der Mitbeteiligte in der mit ihm aufgenommenen Niederschrift zur unterbliebenen Bewerbung bei der H GmbH erstmals bekannt gegeben, dass er mangels funktionierender WLAN-Verbindung keinen Zugang zu seinem eAMS-Konto gehabt habe; da seine Ehefrau die Mails von ihrem Arbeitsplatz aus prüfe, habe er die zugewiesene Stelle "nicht gesehen". Aus diesen Angaben folge aber - so das AMS weiter -, dass der Mitbeteiligte den Vermittlungsvorschlag jedenfalls im Wege der Ehefrau erhalten habe. Im Übrigen habe er die zeitgleiche Vorschreibung des Kontrolltermins, zu dem er erschienen sei, erhalten, sodass davon auszugehen sei, dass ihm auch die Aufforderung zur umgehenden Bewerbung bei der H GmbH zugegangen sei.
Der Mitbeteiligte hätte daher die Bewerbung bei der H GmbH vornehmen und das Dienstverhältnis mit antreten können. Da dies nicht geschehen sei, habe er die ihm mögliche Arbeitsaufnahme vereitelt.
2.3. Der Mitbeteiligte gab keine Stellungnahme zu diesen ihm bekannt gegebenen Ermittlungsergebnissen ab.
2.4. Das AMS erließ infolge Ablaufs der zehnwöchigen Frist (§ 56 Abs. 2 AlVG) keine Beschwerdevorentscheidung, sondern legte die Beschwerde mit Schreiben vom dem Bundesverwaltungsgericht vor. Es führte dabei im Wesentlichen aus wie im Schreiben an den Mitbeteiligten vom . 3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom auf und verwies die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 3 Z 2 VwGVG an das AMS zur Erlassung eines neuen Bescheids zurück.
3.2. Es traf die Feststellung, dass das AMS die notwendige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts unterlassen habe.
In der Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, das AMS habe keinerlei Ermittlungen zur Frage angestellt, warum sich der Mitbeteiligte nicht bei der H GmbH beworben habe. Es habe keine niederschriftliche Einvernahme der AMS-Betreuerin zur Frage veranlasst, ob die Stelle zumutbar gewesen sei. Es habe auch die Frage, ob ein C95 Schein notwendig (gewesen) sei, nicht mit dem Mitbeteiligten geklärt. Das Parteiengehör sei erst am - zwei Tage vor Ablauf der Frist für eine Beschwerdevorentscheidung - erfolgt, was nahelege, dass das AMS sämtliche Ermittlungen dem Verwaltungsgericht übertragen wollte.
3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, das AMS habe jegliche Ermittlungen unterlassen, ob Arbeitswilligkeit bestehe, ob der Mitbeteiligte der Betreuungsvereinbarung und dem konkreten Auftrag entsprochen habe, ob die Stelle zumutbar gewesen sei und ob eventuell Nachsichtsgründe vorgelegen seien.
Die Verwaltungsgerichte hätten die Funktion einer Rechtsschutzeinrichtung, sie sollten primär die Verwaltung kontrollieren und nicht selbst führen. Der Schwerpunkt der Rechtsverwirklichung liege auf der Ebene der Verwaltungsbehörden, diese hätten den Sachverhalt vollständig zu ermitteln. Es sei daher mit Aufhebung und Zurückverweisung vorzugehen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen unterlassen habe und sohin der Sachverhalt nicht feststehe sowie die Feststellung durch das Verwaltungsgericht auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei.
Laut dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ro 2014/03/0063, habe die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang, die Zurückverweisung bilde die Ausnahme und sei auf den gesetzlich zugewiesenen Bereich zu beschränken. Sie komme nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, wenn die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe oder Ermittlungen unterlassen habe, damit diese (im Sinn einer Delegierung) vom Verwaltungsgericht vorgenommen würden.
Vorliegend seien derartige Ermittlungslücken gegeben, stehe doch der Sachverhalt nicht fest. Eine Feststellung durch das Verwaltungsgericht sei auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, zumal das AMS wesentlich rascher und kostengünstiger die Ermittlungen vor Ort führen (etwa den Mitbeteiligten einvernehmen oder Mitarbeiter befragen) könne. Es sei aber auch davon auszugehen, dass das AMS Ermittlungen unterlassen habe, um diese dem Verwaltungsgericht zu übertragen. So sei nicht nachvollziehbar, warum das Parteiengehör erst zwei Tage vor Ablauf der Frist für eine Beschwerdevorentscheidung eröffnet worden sei, obwohl die Stellungnahme der zuständigen AMS-Betreuerin bereits am vorgelegen sei.
3.4. Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig.
4.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision des AMS mit einem Aufhebungsantrag.
Das AMS macht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, zumal die Voraussetzungen für eine Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nicht gegeben seien.
Das AMS habe den relevanten Sachverhalt umfassend erhoben und die Beschwerde mit einer ausführlichen Stellungnahme unter Zugrundelegung aller notwendigen Verfahrensergebnisse dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Nur das Parteiengehör habe nicht innerhalb der zehnwöchigen Frist abgeschlossen werden können, sodass eine Beschwerdevorentscheidung nicht gefällt werden konnte. Das AMS habe daher keineswegs sämtliche Ermittlungstätigkeiten auf das Verwaltungsgericht übertragen (wollen). Insbesondere habe es den Mitbeteiligten am zur unterlassenen Bewerbung niederschriftlich einvernommen und sich mit seinen Angaben würdigend auseinandergesetzt. Die Zumutbarkeit der vermittelten Beschäftigung stelle eine Rechtsfrage dar, sodass eine Einvernahme der zuständigen AMS-Betreuerin nicht geboten gewesen sei, zudem habe das AMS auch dazu Erhebungen angestellt. Der fehlende C95 Schein sei noch nicht zwingend notwendig gewesen und hätte nachgeholt werden können, der Mitbeteiligte wäre dessen ungeachtet eingestellt worden.
Auf Grund der vorhandenen Ermittlungsergebnisse sei der relevante Sachverhalt festgestanden, das Verwaltungsgericht hätte auf dessen Basis - allenfalls nach einer Ergänzung bzw. Vervollständigung - meritorisch zu entscheiden gehabt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG seien - im Hinblick auf das hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0063 - nicht vorgelegen. Krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken seien nach der Aktenlage jedenfalls nicht gegeben und vom Verwaltungsgericht auch nicht (konkret) aufgezeigt worden.
4.2. Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Folge zu zeigen sein wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs abgewichen ist.
6.1. Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG geltenden Voraussetzungen ist auf das schon erwähnte hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0063 zu verweisen (§ 43 Abs. 2 VwGG).
Der Verwaltungsgerichtshof hat darin dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt also nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
6.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
7.1. Im konkreten Fall sind Ermittlungsmängel, die eine Aufhebung und Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht im soeben aufgezeigten Sinn rechtfertigen könnten, nicht zu sehen.
7.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, dass das AMS umfangreiche Ermittlungen zum maßgeblichen Sachverhalt durchgeführt hat. Die vorgenommenen Ermittlungen und die jeweiligen Ergebnisse wurden in den Schreiben an den Mitbeteiligten vom sowie in der Aktenvorlage an das Verwaltungsgericht vom zusammenfassend festgehalten.
Auf Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse können - allenfalls nach Vervollständigung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - die wesentlichen Tatsachenfeststellungen getroffen werden, um die Voraussetzungen für einen Anspruchsverlust nach § 10 AlVG beurteilen zu können. Insbesondere können auch die Zumutbarkeit der vermittelten Beschäftigung bei der H GmbH und die Gründe für die unterbliebene Bewerbung bzw. die damit verbundene Frage der Arbeitswilligkeit des Mitbeteiligten geprüft werden.
7.3. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann keine Rede davon sein, dass das AMS - im Sinn des Vorliegens krasser bzw. besonders gravierender Lücken - keinerlei oder nur völlig ungeeignete bzw. ansatzweise Ermittlungen zu den wesentlichen Tatsachenfragen angestellt hätte oder naheliegend sämtliche Erhebungen auf das Verwaltungsgericht hätte übertragen wollen.
8. Insgesamt hat das Verwaltungsgericht daher zu Unrecht eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG getroffen, sodass der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.
Wien, am