VwGH vom 24.11.2011, 2011/23/0294
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der V, vertreten durch Dr. Norbert Wess, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/388.487/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin verfüge seit über eine unbefristete deutsche Aufenthaltserlaubnis. Seit sei sie im Bundesgebiet behördlich gemeldet und studiere nach eigenen Angaben an der Universität Wien. Sie lebe in Lebensgemeinschaft mit einem Österreicher. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin - wenn vielleicht auch nur vorübergehend für die Absolvierung eines Studiums - in Österreich befinde, weshalb sie einen österreichischen Aufenthaltstitel benötige. Vor diesem Hintergrund sei es nicht von Relevanz, ob sie regelmäßig ausreise, um ihren Aufenthalt im Bundesgebiet zu unterbrechen. Die Beschwerdeführerin halte sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen.
Auf Grund der anschließenden, im angefochtenen Bescheid näher ausgeführten Interessenabwägung nach § 66 FPG gelangte die belangte Behörde schließlich zum Ergebnis, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Ausreise aus dem Bundesgebiet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
Die mit "Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet" überschriebene Bestimmung des § 31 Abs. 1 FPG (in der maßgeblichen Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
...
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;
..."
Vertragsstaat iSd § 31 Abs. 1 Z 3 FPG ist gemäß § 2 Abs. 4 Z 7 FPG ein Staat, für den das Übereinkommen vom über den Beitritt Österreichs zum Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl. III Nr. 90/1997, in Kraft gesetzt ist. Zu den Vertragspartnern zählt auch die Bundesrepublik Deutschland (vgl. die Kundmachung des Bundeskanzlers vom , BGBl. III Nr. 202/1997).
Art. 21 SDÜ (idF vor der Änderung durch die Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates vom , Nr. 265/2010) hat folgenden Wortlaut:
"Artikel 21
(1) Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, können sich auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen.
(2) Das gleiche gilt für Drittausländer, die Inhaber eines von einer der Vertragsparteien ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitels und eines von dieser Vertragspartei ausgestellten Reisedokuments sind.
(3) Die Vertragsparteien übermitteln dem Exekutivausschuss die Liste der Dokumente, die sie als Aufenthaltserlaubnis oder vorläufigen Aufenthaltstitel und als Reisedokument im Sinne dieses Artikels ausstellen.
(4) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten unbeschadet des Artikels 22."
Unstrittig steht fest, dass die Beschwerdeführerin bei Erlassung des angefochtenen Bescheides seit über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Bundesrepublik Deutschland verfügte. Die Beschwerdeführerin wandte in ihrer Berufung gegen die erstinstanzliche Feststellung, sie halte sich seit dem (gemeint wohl: durchgehend) im Bundesgebiet auf, ein, dass sie regelmäßig aus dem Bundesgebiet ausgereist und erst in der Folge wieder nach Österreich eingereist sei. Mit diesem Berufungsvorbringen setzte sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf Grund ihrer eingangs dargestellten Rechtsansicht nicht weiter auseinander.
So ging die belangte Behörde in keiner Weise auf die der Beschwerdeführerin erteilte, unbefristete deutsche Aufenthaltsberechtigung ein und befasste sich auch nicht mit dem deshalb bestehenden Recht auch zum Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0436, sowie zur Umsetzung des Schengener Durchführungsübereinkommens und dessen Verhältnis zu dieser Bestimmung das (noch zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 31 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 ergangene) Erkenntnis vom , Zl. 2005/18/0093). Vielmehr sprach sie diesem Vorbringen ausdrücklich die Relevanz ab. Demzufolge unterließ die belangte Behörde auch eine Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen, dass sie regelmäßig aus dem Bundesgebiet nach Deutschland ausgereist sei, und sie traf auch keine Feststellungen dazu, ob die erlaubten Aufenthaltszeiten nach Art. 21 SDÜ überschritten worden seien. Nach der dargestellten Rechtslage kommt jedoch der Frage Bedeutung zu, in welchen Zeiträumen sich die Beschwerdeführerin tatsächlich in Österreich aufgehalten hat und ob dies in Ausübung einer Berechtigung nach dem Schengener Durchführungsüberkommen geschehen ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2002/21/0156). Aus einer Meldebestätigung allein kann in diesem Zusammenhang noch nicht ohne weiteres abgeleitet werden, zu welchen Zeiten die Beschwerdeführerin tatsächlich im Inland aufhältig war (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom ).
Da sich die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage, wonach der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet infolge ihres aufrechten deutschen Aufenthaltstitels gemäß § 31 Abs. 1 Z 3 FPG grundsätzlich als rechtmäßig anzusehen war, mit dem dargestellten Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt und dazu keine Feststellungen getroffen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-93421