VwGH vom 21.02.2012, 2011/23/0288
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/382.239/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein 1956 geborener serbischer Staatsangehöriger, verfügte ab September 1988 zunächst über Sichtvermerke und anschließend bis 1996 über befristete Aufenthaltsbewilligungen.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen rechtskräftigen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer wegen strafgerichtlicher Verurteilungen und verwaltungsbehördlicher Bestrafungen gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und 2 Fremdengesetz 1997 ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Am heiratete der Beschwerdeführer in Wien eine österreichische Staatsbürgerin.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde das gegen den Beschwerdeführer bestehende Aufenthaltsverbot gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aufgehoben.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die belangte Behörde führte dazu - nach Darstellung des eingangs wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalts - aus, dass zuletzt ein am gestellter Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen worden sei. Nach dessen Begründung sei der Beschwerdeführer von Jänner 2005 bis Mai 2008 mit kurzen Unterbrechungen bei mehreren Firmen als (teilweise geringfügig beschäftigter) Arbeiter erwerbstätig gewesen. Seit sei er laufend als Arbeiter illegal bei einer Firma in Salzburg beschäftigt. Er halte sich seit dem Ende seiner letzten Aufenthaltsbewilligung im Jahr 1996 unrechtmäßig in Österreich auf. Da er über keinen Aufenthaltstitel verfüge, seien die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG - gegeben.
Der Beschwerdeführer - so führte die belangte Behörde weiter aus - sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und lebe mit dieser und deren beiden Töchtern im gemeinsamen Haushalt. Vor diesem Hintergrund sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Unter den gegebenen Umständen sei der Beschwerdeführer, auch wenn er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, nicht in der Lage, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Inland aus zu legalisieren. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Die Erlassung der Ausweisung sei daher dringend geboten und somit iSd § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände - so führte die belangte Behörde abschließend aus - sei auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Ausweisung Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Oktober 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Da der Beschwerdeführer unstrittig über keinen Aufenthaltstitel verfügt, ist die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, nicht rechtswidrig.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
Vorweg ist zu den in der Beschwerde angesprochenen gleichheitsrechtlichen Bedenken betreffend die aufenthaltsrechtliche Stellung von drittstaatszugehörigen Familienangehörigen von Österreichern auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 18.968, zu verweisen.
Die Beschwerde betont jedoch abermals, dass der Beschwerdeführer sich bereits seit 1988 in Österreich aufhalte und seit 2001 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, womit sie im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel aufzeigt.
Zwar ist die belangte Behörde insoweit im Recht, als sie im Verhalten des Beschwerdeführers (insbesondere in seinem unrechtmäßigen Verbleib in Österreich trotz Verhängung des Aufenthaltsverbots) eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Auch trifft es zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt.
Diesem öffentlichen Interesse kommt jedoch kein absoluter Charakter zu. Vielmehr ist zur Prüfung, ob eine Ausweisung iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des erwähnten öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen (vgl. zu all dem das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0035, mwN).
Im konkreten Fall ist einerseits das persönliche Interesse des Beschwerdeführers - wie die belangte Behörde zutreffend festhielt - insoweit gemindert, als er trotz bestehenden Aufenthaltsverbots im Bundesgebiet blieb und dadurch gegen das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen damals in gravierender Weise verstieß. Andererseits darf im Rahmen der durchzuführenden Gesamtbetrachtung jedoch auch nicht außer Acht gelassen werden, dass das Aufenthaltsverbot inzwischen - vorzeitig - aufgehoben wurde. Es ist daher von einer insoweit mittlerweile vollkommen geänderten Situation auszugehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/23/0287). Ebenso ist es schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht vertretbar, dem durch Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bereits im Jahr 2001 entstandenen Familienleben - mag es auch während unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden sein - überhaupt kein Gewicht beizumessen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0009).
Es darf im Zusammenhang mit dem (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung) bereits zwanzigjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, der zunächst auch rechtmäßig war, aber auch nicht gänzlich unbedacht bleiben, dass die Fremdenpolizeibehörden es trotz bestehender Möglichkeit über viele Jahre unterließen, den unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zu beenden, wodurch es zum Entstehen des dargestellten Familienlebens und des insgesamt besonders langen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kommen konnte. Auch die in dieser Zeit entstandenen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet hätten somit - wie erwähnt - in die Interessenabwägung einfließen müssen.
Schließlich ist die belangte Behörde auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach sich die Fremdenpolizeibehörde in Konstellationen wie der vorliegenden, also bei aufrechter Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin (und einem Familienleben auch mit deren Kindern), mit den konkreten Auswirkungen einer Ausweisung auf die Situation des Fremden und seiner Familienangehörigen zu befassen und nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen zu treffen hat (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2007/21/0493 und Zl. 2009/21/0031; siehe etwa auch das schon genannte ebenfalls die hier belangte Behörde betreffende Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/23/0287).
Die belangte Behörde hat die gebotene Interessenabwägung demnach nur unzureichend vorgenommen und den angefochtenen Bescheid dadurch mit einem relevanten Begründungsmangel belastet.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-93389