VwGH vom 09.03.2016, Ra 2015/08/0025

VwGH vom 09.03.2016, Ra 2015/08/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des Arbeitsmarktservice Baden in 2500 Baden bei Wien, Josefsplatz 7, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W216 2013325-1/4E, betreffend Behebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach dem AlVG (mitbeteiligte Partei: J B in B), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

I.

1 Mit Bescheid der revisionswerbenden regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice B (im Folgenden: AMS) vom wurde gegenüber der Mitbeteiligten der Verlust der Notstandhilfe gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 iVm § 38 AlVG für den Zeitraum 7. Juli bis ausgesprochen, weil die Mitbeteiligte die Arbeitsaufnahme als Reinigungskraft beim Dienstgeber A. verweigert habe. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. Sie brachte im Wesentlichen vor, sie habe den Termin, bei welchem sie sich als Reinigungskraft beim AMS hätte melden müssen, nicht wahrgenommen, weil zu diesem Zeitpunkt ihr Operationstermin für den schon festgestanden sei. Weiters sei auch ihr stationärer Aufenthalt vom 22. Juli bis zur Voruntersuchung für ihre Operation festgelegt worden. Somit wäre sie nicht im Stande gewesen, sofort für diese Firma zur Verfügung zu stehen. Auch Frau G. (Anmerkung: Mitarbeiterin des AMS) habe ihr anlässlich einer Rücksprache am , die auch eine psychologische/medizinische Untersuchung für sie in Wege geleitet habe, gesagt, dass es keinen Sinn ergeben würde, derzeit weiter Vorstellungsgespräche für Tätigkeiten, die sie physisch nicht ausüben könne, anzutreten.

3 Mit Beschwerdevorlage vom legte das AMS die eingebrachte Beschwerde und den gegenständlichen Akt vor. Da die Recherchen in diesem Fall nicht innerhalb der Frist von zehn Wochen hätten abgeschlossen werden können, werde die Beschwerde zuständigkeitshalber dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

Nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsverfahrens wurde in der Beschwerdevorlage darauf hingewiesen, dass aufgrund des Beschwerdevorbringens der Mitbeteiligten die Zumutbarkeit der Beschäftigung in gesundheitlicher Hinsicht zu überprüfen sei. So sei das Anforderungsprofil der zugewiesenen Stelle als Reinigungskraft bei dem Unternehmen A. erhoben und in Erfahrung gebracht worden, dass eine Reinigungskraft für die tägliche Büroreinigung gesucht werde. Die konkreten Arbeitsaufgaben würden die tägliche Mistkübelausleerung, Bodenreinigung, Arbeiten mit Besen, feucht aufwischen - daher Tragen eines Wasserkübels - und die nicht wöchentliche Fensterreinigung beinhalten. Da es auch große Kästen gäbe, die gereinigt werden müssten, sei auch eine Überkopftätigkeit umfasst. Schweres Heben oder Arbeiten in ungewöhnlichen Positionen würden nicht dazugehören. Aufgrund des langen Krankengeldbezuges der Mitbeteiligten bis sei es dem AMS bis dato nicht möglich gewesen, ein amtsärztliches Gutachten durchführen zu lassen. Nach Durchführung eines solchen werde dies dem Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet werden. Zweifelsfrei stehe fest, dass die Mitbeteiligte weder am Tag der Jobbörse am noch am Tag der Arbeitsaufnahme am vorübergehend arbeitsunfähig gewesen sei. Daher sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Mitbeteiligte nicht zur Jobbörse am erschienen sei. Ihr Vorbringen in der Niederschrift am , sie sei aus Versehen nicht zur "BewerberInnenvorauswahl" gegangen, stelle jedenfalls keinen berücksichtigungswürdigen Grund gemäß § 10 Abs. 3 AlVG dar.

4 Mit Schreiben vom legte das AMS das zwischenzeitlich eingeholte amtsärztliche Gutachten vom vor, mit dem Hinweis, dass vom befundenden Arzt eine volle Arbeitsfähigkeit der Mitbeteiligten diagnostiziert worden sei. Lediglich schweres Heben ab 15kg und Tragen ab 15kg seien vorübergehend zu vermeiden.

5 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des revisionswerbenden AMS auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.

6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde ausgehend von §§ 9, 10 AlVG zunächst den Sachverhalt zu ermitteln gehabt hätte, um beurteilen zu können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine sanktionierbare Vereitelung des Zustandekommens einer Beschäftigung im Sinn des § 10 AlVG vorliege. Sie habe im angefochtenen Bescheid lediglich ausgeführt: "Sie haben die Arbeitsaufnahme als Reinigungskraft beim Dienstgeber A verweigert. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen liegen nicht vor bzw. können nicht berücksichtigt werden." Eine weitergehende Begründung enthalte der Bescheid nicht.

Wie der in dem Verwaltungsakt befindlichen Gesprächsnotiz vom zu entnehmen sei, habe die Mitbeteiligte im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim AMS am auf gesundheitliche Probleme hingewiesen. Der belangten Behörde seien somit diese bekannt gewesen und wäre u.a. die Zumutbarkeit der Beschäftigung in gesundheitlicher Hinsicht bereits vor Erlassung des Bescheides zu prüfen gewesen.

Dass die belangte Behörde das zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sanktionierbare Vereitelung des Zustandekommens einer Beschäftigung im Sinn des § 10 AlVG notwendige Ermittlungsverfahren erst nach Erlassung des Bescheides geführt und dieses dann dem Bundesverwaltungsgericht dargelegt habe, reiche jedenfalls nicht. Ein Mangel in der Bescheidbegründung könne nicht durch Ausführungen bzw. Nachtragungen in der Gegenschrift behoben werden. Es sei in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde als Tatsacheninstanz, zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen. Es sei Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes die angefochtene Entscheidung zu "überprüfen" und es sei somit in erster Linie Kontrollinstanz.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspreche demnach nicht den Anforderungen an den Umfang der Ermittlungspflichten im Sinn des § 60 AVG und werde die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren das von ihr begonnene Ermittlungsverfahrens abzuschließen, das Ermittlungsergebnis der Mitbeteiligten zur Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen und zu entscheiden haben, ob sämtliche Voraussetzungen für den Ausschluss der Notstandshilfe vorliegen.

Aus den dargelegten Gründen sei unter Anwendung des § 28 Abs. 3

2. Satz VwGVG spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung abweiche noch es an Rechtsprechung fehle bzw. diese uneinheitlich sei. Zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG bestehe einheitliche Judikatur, welche der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 VwGVG fortführe.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

II.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch das Bundesverwaltungsgericht - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht. Die Revision ist auch berechtigt.

10 Gegenstand des angefochtenen Beschlusses war eine Aufhebung und Zurückweisung des Verwaltungsgerichts gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG.

11 Mit der zugrunde liegenden Frage, unter welchen Voraussetzungen das jeweilige Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann, hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063, auseinandergesetzt.

12 Demnach ist Zielsetzung des § 28 VwGVG, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

13 Hinsichtlich der näheren Ausführungen dazu wird auf das Erkenntnis Ro 2014/03/0063 im Sinn des § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

14 Im konkreten Fall sind Ermittlungsmängel, die eine Aufhebung und Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht im soeben aufgezeigten Sinn rechtfertigen könnten, nicht zu erkennen.

15 Aus den Verwaltungsakten geht hervor, dass das AMS umfangreiche Ermittlungen zum maßgeblichen Sachverhalt durchgeführt hat. Die vorgenommenen Ermittlungen und die jeweiligen Ergebnisse wurden in der Aktenvorlage an das Verwaltungsgericht bzw. in der Nachreichung zusammenfassend festgehalten.

16 Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes für die Aufhebung des Bescheides ist vage, wenn nicht dargelegt wird, welche weiteren Ermittlungen fehlen würden, sondern lediglich die Fortsetzung des begonnenen Ermittlungsverfahrens und die neuerliche Entscheidung gefordert wird. Mit diesem "Auftrag" werden letztlich keine Ermittlungslücken aufgezeigt, die den eigenen Ermittlungshorizont des BVwG übersteigen würden (vgl das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/18/0099).

17 Wenn das Bundesverwaltungsgericht die nicht ausreichende Begründung im angefochtenen Bescheid moniert, ist auf Folgendes hinzuweisen:

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/08/0005, und vom , Ra 2015/08/0042), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

19 Angewendet auf den nunmehrigen Revisionsfall können daher auf Grundlage der bereits vorliegenden Ermittlungsergebnisse - allenfalls nach Vervollständigung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - die wesentlichen Tatsachenfeststellungen getroffen werden, um die Voraussetzungen für einen Anspruchsverlust nach § 10 AlVG beurteilen zu können. Insbesondere können auch die Zumutbarkeit der vermittelten Beschäftigung beim Unternehmen A. und die Gründe für die unterbliebene Bewerbung geprüft werden.

20 Krasse oder besonders gravierende Ermittlungslücken liegen aktenkundig nicht vor und werden vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht aufgezeigt. In Anbetracht dessen, dass die Verwaltungsgerichte in ihrer Konzeption nun die erste gerichtliche Tatsacheninstanz sind, haben sie auf Basis von vorhandenen Ermittlungsergebnissen und allfälligen Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden.

21 Insgesamt hat das Bundesverwaltungsgericht daher zu Unrecht eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG getroffen, sodass der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.

Wien, am