VwGH vom 24.04.2015, Ra 2015/08/0016
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
Ra 2015/08/0017
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des Bezirkshauptmanns des Bezirkes G gegen die Erkenntnisse des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichtes vom 1. Zl. LVwG-300546/2 und 2. Zl. LVwG-300547/2, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: D G, H), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1. Mit zwei Bescheiden der beschwerdeführenden Partei jeweils vom wurde die mitbeteiligte Partei für schuldig erkannt, sie habe im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit "Handel mit Pyrotechnikartikel" als Dienstgeberin im Sinn des § 35 Abs. 1 ASVG zwölf bzw. sieben namentlich genannte Personen in näher bezeichneten Zeiträumen mit dem Verkauf von Feuerwerkskörpern an mobilen Verkaufsständen als vollzeitbeschäftigte Dienstnehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen ein Pauschalentgelt von EUR 100,-- pro Arbeitstag plus einer zehnprozentigen Umsatzbeteiligung bei einem Gesamtumsatz von mehr als EUR 5.000,-- beschäftigt. Sie habe die genannten Personen nicht beim zuständigen Sozialversicherungsträger zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemeldet, sondern jeweils mit Beschäftigungsbeginn falsche Meldungen von in der Unfallversicherung teilversicherten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen mit einem die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG nicht übersteigenden Monatsbezug von EUR 140,-- brutto inklusive Provisionen erstattet. Sie habe dadurch gegen § 33 Abs. 1 ASVG verstoßen und werde gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG mit zwölf bzw. sieben Geldstrafen von je EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 112 Stunden) bestraft.
2. Mit den angefochtenen Erkenntnissen hat das Verwaltungsgericht den gegen diese Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden der mitbeteiligten Partei Folge gegeben. Es hob die bekämpften Bescheide gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 VStG auf und stellte die Verwaltungsstrafverfahren ein (Spruchpunkte I). Gemäß § 25a VwGG wurde die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärt (Spruchpunkte II).
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Falschmeldungen auf einem "Verständigungsfehler" mit dem Steuerberater der mitbeteiligten Partei beruhten. Es sei von vornherein klar gewesen, dass die genannten Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer vollversichert gewesen seien.
In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht in beiden Erkenntnissen gleichlautend aus, die Strafbarkeitsverjährungsfrist von drei Jahren gemäß § 31 Abs. 2 VStG würde in den angeführten Fällen mit 27., 28. bzw. enden. Die Akten seien am beim Landesverwaltungsgericht eingelangt und der erkennenden Richterin am 19. bzw. vorgelegt worden. Unter den gegebenen Umständen sei es - bei Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen zur Führung eines ordnungsgemäßen Verfahrens - dem Verwaltungsgericht nicht möglich, ohne Beeinträchtigung der Parteieninteressen das Verfahren bis zum Ablauf der Verjährungsfrist durchzuführen. Damit könnten die der mitbeteiligten Partei zur Last gelegten Taten nicht erwiesen werden. Die Verwaltungsstrafverfahren seien einzustellen.
3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die Revisionen. Das Landesverwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Die mitbeteiligte Partei hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
1. Die revisionswerbende Partei bringt vor, gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG werde die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt werde, in die dreijährige Frist der Strafbarkeitsverjährung nicht eingerechnet. Durch die Anzeige des Finanzamtes G an die Staatsanwaltschaft Wels sei die Verjährung für die Dauer des Strafverfahrens bei der Staatsanwaltschaft gehemmt gewesen. Die Anzeige sei der Staatsanwaltschaft am zugegangen. Die Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft vom sei dem Finanzamt G am zugestellt worden. Gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG sei die Verjährungsfrist vom bis zum (für die Dauer von 372 Tagen) "unterbrochen" gewesen. Unter Berücksichtigung der Unterbrechung trete die Strafbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 VStG am 3. bzw. ein. Bis zum Ablauf dieser Frist hätte ein ordnungsgemäßes Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht durchgeführt werden können.
2. Die Revision ist zulässig, weil die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen. § 31 VStG in der hier maßgeblichen, am in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet samt Überschrift:
"Verjährung
§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.
(2) Die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;
2. die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird;
3. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;
4. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
(3) Eine Strafe darf nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union;
2. Zeiten, in denen die Strafvollstreckung unzulässig, ausgesetzt, aufgeschoben oder unterbrochen war;
3. Zeiten, in denen sich der Beschuldigte im Ausland aufgehalten hat."
3. § 1 Abs. 2 VStG steht einer Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war. Ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip lässt sich auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0120, mwN).
4. Ausweislich des Verwaltungsaktes wurden die zur Rede stehenden Dienstnehmer von der steuerlichen Vertretung der mitbeteiligten Partei am mit Beschäftigungsbeginn als geringfügig Beschäftigte angemeldet. Der Lauf der Frist für die Verjährung der Strafbarkeit von drei Jahren hat bei Erstattung einer falschen Meldung mit dem Einlangen dieser Meldung beim Versicherungsträger begonnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/08/0300).
5. Das Verwaltungsgericht hat in Verkennung der Rechtslage in den Erkenntnissen vom einen unmittelbar bevorstehenden Eintritt der Strafbarkeitsverjährung bzw. die Nichterweisbarkeit der Taten in einem ordnungsgemäßen Verfahren angenommen, ohne Feststellungen über die in die Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG nicht einzurechnende Zeit zu treffen, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft geführt wurde.
6. Die angefochtenen Erkenntnisse waren gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Wien, am