VwGH vom 25.05.2016, Ro 2015/11/0017

VwGH vom 25.05.2016, Ro 2015/11/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Dr. S W in W, vertreten durch Mag. Dr. Rainer W. Böhm, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Trauttmansdorffgasse 52 Top 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AB-14-0743, betreffend Krankenunterstützung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Ärztekammer für Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (durch Bestätigung des Spruchpunktes 2. des Bescheides der belangten Behörde vom ) der Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Krankenunterstützung für den Zeitraum vom bis "aufgrund Erreichens der Gesamtbezugsdauer" gemäß § 43 Abs. 1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (Satzung) abgewiesen.

Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, die Revisionswerberin habe als Angehörige der Ärztekammer für Niederösterreich mit Schreiben vom die Gewährung der Krankenunterstützung (auf Grund von frühzeitigem Mutterschutz ab ) beantragt. Diesem Antrag sei - soweit er den Zeitraum vom 17. Dezember bis (somit 11 Tage) betroffen habe - mit dem in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt 1. des genannten Bescheides vom stattgegeben worden.

Die gegenständliche, mit Beschwerde bekämpfte Abweisung des Antrages bezüglich des Zeitraumes vom bis beruhe darauf, dass die Revisionswerberin bereits für folgende Zeiträume (insgesamt 354 Tage) Krankenunterstützung in Anspruch genommen habe:


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-
vom bis (40 Tage)
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vom bis (271 Tage) und
-
vom bis (43 Tage).
Rechtlich verwies das Verwaltungsgericht auf § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung, wonach die "Gesamtbezugsdauer an Krankenunterstützung innerhalb von drei Jahren 365 Tage nicht übersteigen" dürfe.
Gegenständlich sei einzig strittig, von welchem Zeitpunkt die in der genannten Bestimmung normierte Zeitspanne von 3 Jahren zurückzurechnen sei und ob daher im vorliegenden Fall der höchstzulässige Bezug an Krankenunterstützung (365 Tage) bereits ausgeschöpft sei.
Der "Beginn der Zurückrechnung" hänge offenkundig nicht vom Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ab, weil dieser von verschiedenen Zufälligkeiten beeinflusst werde.
Die belangte Behörde vertrete die Ansicht, dass bei der Zurückrechnung des dreijährigen Zeitraumes vom Zeitpunkt des Beginns des (antragsgegenständlichen) Krankenstandes auszugehen sei. Demgegenüber vertrete die Revisionswerberin die Ansicht, dass die Frage, ob die 365 Tage innerhalb des Rahmens von 3 Jahren ausgeschöpft seien, hinsichtlich jedes (antragsgegenständlichen) Krankheitstages zu beurteilen sei, weil in § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung kein fixer Stichtag für die Zurückrechnung des dreijährigen Zeitraumes normiert sei. Nach Ansicht der Revisionswerberin dürfe daher die Gewährung der Krankenunterstützung nur für den betreffenden Krankheitstag versagt werden, wenn innerhalb des dreijährigen Zeitraumes (zurückgerechnet von diesem Krankheitstag) bereits die Krankenunterstützung im Ausmaß von 365 Tagen erteilt worden sei (wird von den Parteien als "rollierende" Berechnung bezeichnet).
In der rechtlichen Beurteilung schloss sich das Verwaltungsgericht der Rechtsposition der belangten Behörde an, die "nicht unschlüssig" gegen die rollierende Ermittlung eingewendet habe, es fiele dadurch zwingend "der erste Krankheitstag eines drei Jahre zurückliegenden Krankenstandstages aus der Berechnung heraus". Außerdem würde sich damit im Fall der Revisionswerberin das Erreichen der maximalen Gesamtbezugsdauer (§ 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung) erst mit ergeben. Schließlich sprächen für ein Abstellen auf den Zeitpunkt des Beginns des Krankenstandes auch andere Bestimmungen der Satzung, die "primär den jeweiligen Krankheits- oder Unfall und nicht einzelne Krankheitstage in den Vordergrund stellen" (Hinweis auf die §§ 40, 43 und 63 der Satzung).
Demnach könne der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, dass die Revisionswerberin ab dem aufgrund des Erreichens der Gesamtbezugsdauer keinen Anspruch auf Krankenunterstützung habe.
Zur Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, es fehle Judikatur zur Frage der Auslegung der Gesamtbezugsdauer iSd § 43 Abs. 1 der Satzung.

2.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die wegen des Fehlens von hg. Rechtsprechung zur Berechnung der genannten Gesamtbezugsdauer zulässig ist, und zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.2. Zunächst ist davon auszugehen, dass die Ansprüche auf Gewährung von Krankenunterstützung zeitraumbezogen zu beurteilen sind (vgl. etwa die bei Hengstschläger/Leeb , AVG, Rz 85 zu § 66, referierte hg. Judikatur, sowie den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/11/0050), sodass folgende, im gegenständlichen Antragszeitraum geltende Vorschriften maßgebend sind:

2.2.1. Das Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in der Fassung BGBl. I Nr. 81/2013 (ÄrzteG 1998), lautet auszugsweise:

" Unterstützungsleistungen

§ 105. Aus dem Wohlfahrtsfonds sind neben den im § 98 Abs. 1 angeführten Versorgungsleistungen Krankenunterstützung und sonstige Unterstützungsleistungen zu gewähren.

§ 106. (1) Kammerangehörigen, die durch Krankheit oder Unfall unfähig sind, den ärztlichen oder zahnärztlichen Beruf auszuüben, wird eine Krankenunterstützung, die sich nach der Dauer der Krankheit richtet, gewährt.

(2) Die Höhe der Krankenunterstützung und die Anspruchsvoraussetzungen sind in der Satzung festzusetzen.

(3) Die Krankenunterstützung wird für die in der Satzung festgesetzte Dauer, höchstens jedoch für einen Zeitraum von 52 Wochen, berechnet.

...

(5) Bei weiblichen Kammerangehörigen, die den ärztlichen oder zahnärztlichen Beruf nicht in einem Anstellungsverhältnis ausüben (§ 45 Abs. 2 und § 47 Abs. 1), ist die Zeit des Beschäftigungsverbotes gemäß den §§ 3 und 5 des Mutterschutzgesetzes bis zur Höchstdauer von 20 Wochen einer Berufsunfähigkeit im Sinne des Abs. 1 gleichzuhalten.

..."

2.2.2. Die hier maßgebende Fassung der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich lautet auszugsweise:

" § 40

Krankenunterstützung

(1) WFF-Mitgliedern, die durch Krankheit oder Unfall unfähig sind, den ärztlichen oder zahnärztlichen Beruf auszuüben, wird eine Krankenunterstützung gewährt. Der Berufsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall ist ein unmittelbar anschließender Kur- oder Rehabilitationsaufenthalt gleichzuhalten.

...

§ 42

Krankenunterstützung während des Mutterschutzes

(1) Bei weiblichen WFF-Mitgliedern ist die Zeit des Beschäftigungsverbotes gemäß den §§ 3 und 5 Mutterschutzgesetz 1979 bis zur Höchstdauer von 16 Wochen einer Berufsunfähigkeit im Sinne des § 40 gleichzuhalten.

(2) Erfolgt die Geburt mittels Kaiserschnitts oder liegt eine Frühgeburt oder eine Mehrlingsgeburt vor, so ist die Krankenunterstützung für mindestens 12 Wochen nach dem gemäß § 42 Abs. 1 tatsächlichen Geburtstermin zu gewähren.

(3) Die Dauer des Bezuges der Krankenunterstützung für die Zeit des Beschäftigungsverbotes kann gemäß § 3 Abs. 3 Mutterschutzgesetz 1979 überschritten werden, sofern eine amtsärztliche Bestätigung über das Bestehen der Gefahr für Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind vorliegt.

(4) Die Regelung des § 42 Abs. 1 bis 3 kommt entsprechend auch für WFF-Mitglieder zur Anwendung, die den ärztlichen oder zahnärztlichen Beruf als freien Beruf ausüben.

§ 43

Karenzfristen

(1) Die Krankenunterstützung wird für die Dauer der Berufsunfähigkeit gewährt. Die Gesamtbezugsdauer an Krankenunterstützung innerhalb von drei Jahren darf 365 Tage nicht übersteigen, wobei jeder abgerechnete Krankenstandstag auf die Gesamtbezugsdauer im Sinne dieser Bestimmung anzurechnen ist.

(2) Die Krankenunterstützung wird im Falle der Hausbehandlung ab dem vierten Krankheitstag, bei stationärer Behandlung in einer Krankenanstalt ab dem ersten Krankheitstag berechnet.

...

(4) Die Krankenunterstützung wird gewährt, wenn das WFF-Mitglied die Beiträge gemäß § 10 Beitragsordnung für mindestens 3 Monate vor dem Ereigniseintritt oder bei kürzerer Mitgliedschaftsdauer seit Beginn der Mitgliedschaft entrichtet oder unverschuldet nicht entrichtet hat.

§ 44

Leistungshöhe

(1) Die Krankenunterstützung wird auf Grund der Gesamtzahl der unterstützungsfähigen Krankheitstage oder der Krankenhausverpflegstage berechnet.

(2) Der Tagsatz für die Berechnung der Krankenunterstützung beträgt EUR 34,88 brutto.

...

§ 63

Antrag

...

(4) Anträge auf Krankenunterstützung sowie Kurkostenzuschuss sind frühestens am letzten Tag der Berufsunfähigkeit und spätestens binnen vier Wochen nach Ende der Berufsunfähigkeit infolge Erkrankung oder Unfall einzubringen, andernfalls sie als verspätet eingebracht zurückzuweisen sind. Bei ausreichender Begründung der Fristversäumnis kann das Versäumen der Antragsfrist nachgesehen werden. Anzuschließen ist im Falle der Hauspflege eine Bestätigung des behandelnden Arztes, bei stationärer Behandlung eine Bestätigung der Krankenanstalt, wobei jeweils die Diagnose anzuführen ist.

(5) In Fällen des Mutterschutzes gemäß § 42 sowie in dem Fall, dass ein Ende der Berufsunfähigkeit nicht absehbar und von einer mindestens 2-monatigen Dauer der Berufsunfähigkeit auszugehen ist, kann die Krankenunterstützung auch vor Ende des Krankenstandes beantragt und ohne Nachweis eines Endes der Berufsunfähigkeit - vorbehaltlich der Höchstbezugsdauer gemäß § 43 Abs. 1 - gewährt und unter der Voraussetzung des Abs. 6 in Teilen ausbezahlt werden.

..."

3.1. Zunächst ist (insoweit mit der Revisionsbeantwortung) davon auszugehen, dass § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung eine Obergrenze für die Gewährung der Krankenunterstützung innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren festlegt.

Während in § 106 Abs. 1 und 3 ÄrzteG 1998 die Krankenunterstützung "nach der Dauer der Krankheit" und "höchstens für einen Zeitraum von 52 Wochen" (das höchstzulässige Ausmaß gilt also offensichtlich pro Krankheitsfall) vorgesehen ist, schränkt § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung die Gewährung der Krankenunterstützung dahin ein, dass die "Gesamtbezugsdauer" (demnach bei mehreren Krankheitsfällen) an Krankenunterstützung innerhalb von drei Jahren 365 Tage nicht überschreiten darf (vgl. demgegenüber etwa § 27 Abs. 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien und § 26 Abs. 1 der Satzung der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für Oberösterreich, die eine solche zusätzliche Einschränkung auf 365 Tage nicht vorsehen).

3.2. Im vorliegenden Fall geht es ausschließlich um die Frage, wie im Zuge der Gewährung von Krankenunterstützung in einem ersten Schritt der soeben genannte Zeitrahmen von drei Jahren zu bestimmen ist, sodass anschließend in einem zweiten Schritt beurteilt werden kann, ob in diesem Zeitrahmen bereits das höchstzulässige Ausmaß von 365 Tagen an Krankenunterstützung gewährt wurde.

Wenn das Verwaltungsgericht mit der belangten Behörde davon ausgeht, man müsse, um den Zeitrahmen von drei Jahren festzulegen, vom Beginn des antragsgegenständlichen Krankheitsfalles drei Jahre zurückrechnen, so findet sich dafür im Wortlaut des § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung - in dem ein eindeutiger Anhaltspunkt, wie der dreijährige Zeitrahmen festzulegen ist, fehlt - keine Grundlage. Dies kann auch nicht als Versehen des die Satzung beschließenden Organes gedeutet werden, weil im Abs. 4 leg. cit. bei der Festlegung des dort normierten Zeitraumes (drei Monate im Zusammenhang mit der Beitragszahlung) sehr wohl jener Zeitpunkt ("vor dem Ereigniseintritt") bestimmt wurde, von dem die genannte dreimonatige Zeitspanne zurückzurechnen ist.

Hätte also der Normerzeuger in § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung den in Rede stehenden dreijährigen Zeitrahmen, wie das Verwaltungsgericht meint, durch Zurückrechnung ab dem Zeitpunkt des Beginns des Krankheitsfalls vor Augen gehabt, so hätte er dies (ebenso wie in Abs. 4 leg. cit.) durch Hinzufügen der Wortfolge "vor dem Ereigniseintritt" oder einer ähnlichen Konkretisierung deutlich gemacht. Dies ist offensichtlich nicht geschehen.

Die Zusammenschau der ersten beiden Sätze des § 43 Abs. 1 der Satzung ergibt aber jedenfalls, dass die Krankenunterstützung grundsätzlich "für die Dauer der Berufsunfähigkeit", wenngleich begrenzt auf 365 Tage, gewährt wird. Schon der Gedanke, dass die Krankenunterstützung erst mit dem 366. Tag entfallen soll, spricht für eine tageweise Betrachtung.

3.3. Gegen die dargestellte Auslegung des § 43 Abs. 1 zweiter Satz der Satzung durch das Verwaltungsgericht spricht aber auch, dass im Falle aufeinander folgender Krankheitsfälle der Anspruch auf Krankenunterstützung für den zeitlich jüngsten Krankheitsfall - zur Gänze - entfiele, wenn auch nur am ersten Tag dieses neuerlichen Krankheitsfalles (von dem der dreijährige Zeitrahmen nach Meinung des Verwaltungsgerichts zurückzurechnen sei) das Ausmaß von 365 Tagen (noch) ausgeschöpft war (Ähnlich auch der vorliegende Fall). Mangels eindeutigen Wortlautes kann es dem die Satzung beschließenden Organ der Ärztekammer Niederösterreich nicht unterstellt werden, eine gegenüber § 106 Abs. 3 ÄrzteG 1998 derart tiefgreifende Beschränkung der Krankenunterstützung beabsichtigt zu haben.

3.4. Nicht zuletzt spricht für die Rechtsansicht der Revisionswerberin, dass die Berechnung der Krankenunterstützung gemäß § 44 Abs. 1 und 2 der Satzung nach Tagsätzen erfolgt (ebenso stellt § 43 Abs. 2 der Satzung bei der Wartefrist auf einzelne Krankheitstage ab). Es liegt daher nahe, die tageweise Betrachtung auch bei der Vollziehung des § 43 Abs. 1 der Satzung anzuwenden und daher (nur) für solche Krankheitstage einen entsprechenden Tagsatz zuzusprechen, an denen - innerhalb der letzten drei Jahre, gerechnet ab dem betreffenden Tag - das höchstzulässige Ausmaß (Krankenunterstützung von 365 Tagen) nicht ausgeschöpft war.

4. Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung (eine solche fand bereits vor dem Verwaltungsgericht statt) konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am