VwGH vom 31.01.2011, 2007/11/0175
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der L GmbH in W, vertreten durch Dr. Eike Lindinger, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Argentinierstraße 20A/2A, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-MIX/27/6505/2006-28, betreffend Auftrag nach § 9 der Reinhalteverordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Unstrittig ist die Beschwerdeführerin Eigentümerin der Liegenschaft (Gebäude) in Wien 1., Bauernmarkt 21. Mit Bescheid vom , der Beschwerdeführerin zugestellt am , erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1./8. Bezirk, der Beschwerdeführerin gemäß § 9 der Reinhalteverordnung 1982 folgenden Auftrag:
"Gemäß § 9 Reinhalteverordnung - RHVO - 1982, Abl. Nr. 21/1982 idgF trägt das Magistratische Bezirksamt für den 1./8. Bezirk der Eigentümerin des Gebäudes in Wien 1, Bauernmarkt 21, EZ … der Katastralgemeinde Innere Stadt, der (Beschwerdeführerin), die Beseitigung des im Stiegenhaus und Kellerbereich dieses Gebäudes vorliegenden sanitären Übelstandes, nämlich die Entfernung von Bauschutt bzw. Bauschuttresten. Taubenexkrementen, Taubenfedern, Taubenkadavern, Altpapier, Injektionsspritzen samt Nadeln und Sperrmüll innerhalb von 4 Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides auf."
Die erstinstanzliche Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, am sei festgestellt worden, dass sämtliche unbenützte und für jedermann zugängliche Einheiten im Inneren des Gebäudes in Wien 1, Bauernmarkt 21 durch Taubenkot und Taubenkadaver stark verunreinigt gewesen seien. Eine weitere Überprüfung am habe ergeben, dass im Eingangsbereich des Stiegenhauses überfüllte Papier- und Restmüllcontainer einen üblen Geruch verbreitet hätten. Der Boden des Eingangsbereiches und des Stiegenhauses sei mit Bauschuttresten, Taubenmist, Taubenfedern, Papier und Werbezeitschriften stark verunreinigt gewesen. Im Abgang zum Keller sei eine Injektionsspritze am Boden gelegen, der Kellerbereich sei ebenfalls mit Bauschutt, Federn und Taubenexkrementen stark verunreinigt gewesen. Es lägen somit ein Verstoß gegen die Reinhalteverordnung sowie ein sanitärer Übelstand und eine Geruchsbelästigung vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung -
der von der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen, nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Bestimmungen der Reinhalteverordnung damit, auf Grund des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides in den allgemein zugänglichen Teilen des in Rede stehenden Hauses (inklusive des Hofbereiches) eine Taubenplage durch nistende und tote Tauben und Taubenkot bestanden habe, sowie eine Geruchsbelästigung, hervorgerufen durch verrichtete Notdurft im Eingangsbereich. Der Gang- und Stiegenbereich sei bis zum ersten Geschoss durch Reste von Bauschutt sowie Zeitungen und Werbematerial verschmutzt, im Gangbereich des Erdgeschosses die ausgebaute Liftkabine mit Bauschutt gefüllt abgestellt gewesen. Auf Grund der im Abgang zum Kellerbereich vorgefundenen (Injektions )Spritze liege die Vermutung nahe, dass dieser Bereich des Hauses von Suchtgiftkranken benützt werde. Es liege eine Verunreinigung im Sinne des § 5 der Reinhalteverordnung vor, die nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens nicht allfälligen Mietern, sondern der Beschwerdeführerin als alleiniger Hauseigentümerin zuzurechnen sei. Es sei erforderlich gewesen, eine Ausbreitung der Taubenplage und eine weitere Verwahrlosung des Hauses zu verhindern. Da die Beschwerdeführerin ihrer Verpflichtung zur Beseitigung des Übelstandes nicht entsprochen habe, sei die erstinstanzliche Behörde berechtigt gewesen, die Beseitigung aufzutragen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Folgende Bestimmungen der - auf Grund der §§ 76 und 108 der Wiener Stadtverfassung erlassenen - Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend die Reinhaltung von Grundstücken und Baulichkeiten (Reinhalteverordnung 1982), Amtsblatt Nr. 21/1982, in der Fassung Amtsblatt Nr. 43/2000, sind für die Erledigung des Beschwerdefalles (auszugsweise) von Interesse:
" Reinhaltung von im Privateigentum stehenden Gebäuden, Höfen und Grundstücken
§ 4. Das Innere von im Privateigentum stehenden Gebäuden, dessen Benützung auf Grund eines Privatrechtes bestimmten Personen vorbehalten bleibt und das anderen Hausbewohnern oder hausfremden Personen nicht frei zugänglich ist (insbesondere Wohnungen, dazugehörige sanitäre Anlagen und Kellerabteile), muß so reingehalten werden, daß durch die Art und das Ausmaß der Benützung weder ein die Sicherheit oder Gesundheit von Menschen gefährdender Mißstand noch eine unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft (zum Beispiel durch üblen Geruch oder Ausbreitung von Ungeziefer) entsteht.
§ 5. Das Verunreinigen von anderen als den im § 4 genannten Teilen (zum Beispiel von Stiegenanlagen, Gängen und Hausfluren sowie von nicht der individuellen Benützung vorbehaltenen Keller- und Dachbodenteilen) der im Privateigentum stehenden Gebäude sowie von im Privateigentum stehenden Höfen und Grundstücken ist verboten. Als Verunreinigen gilt das Wegwerfen und Ausgießen sowie jegliches Ablagern von Abfällen, wie insbesondere Schutt, Aushubmaterial, altem Hausrat, Gerümpel, Fahrzeug-, Maschinen- und Gerätewrack oder Teilen davon, alten Fahrzeugreifen, Haus- und Hofkehricht, Asche und Schlacke, Ruß, Speisen oder Speiserückständen, Lumpen, Scherben, Knochen, Metallen, Blechdosen, Altpapier sowie hauswirtschaftlichen, pflanzlichen und betrieblichen Abfallprodukten und von anderen, für den bestimmungsgemäßen oder einen sonstigen sinnvollen Gebrauch augenscheinlich nicht mehr geeigneten oder solchen Gegenständen, deren sich der Inhaber nach den Umständen des Falles offenbar entledigen wollte, ferner das Verrichten der Notdurft außerhalb von sanitären Anlagen. Das Streuen von zur Tierfütterung bestimmten Substanzen gilt nicht als Verunreinigung, sofern zu erwarten ist, daß diese im Hinblick auf ihre Art und geringe Menge sowie auf den Ort des Streuens von Vögeln rasch aufgenommen werden.
…
§ 7. (1) Übelstände im Sinne der §§ 4 bis 6 hat der Eigentümer (Miteigentümer) des Gebäudes, außerhalb von Gebäuden der Grundeigentümer (Grundmiteigentümer), im Falle einer Verpachtung, Vermietung oder sonstigen Überlassung zur Nutzung jedoch der Pächter, Mieter oder Nutzungsberechtigte, ohne unnötigen Aufschub zu beseitigen.
(2) Diese Verpflichtung trifft den Stellvertreter (Verwalter des Gebäudes oder Grundstückes) an Stelle des Eigentümers (Miteigentümers), wenn der Übelstand ohne Veranlassung und Vorwissen des Eigentümers besteht. Der Eigentümer (Miteigentümer) ist neben dem Stellvertreter verantwortlich, wenn er es bei dessen Auswahl oder Aufsicht an der nötigen Sorgfalt fehlen ließ.
(3) Verunreinigungen durch tierische Ausscheidungen in Gebäuden und Höfen hat der Tierhalter unverzüglich zu beseitigen. Kommt der Tierhalter dieser Verpflichtung nicht nach oder ist ein solcher nicht vorhanden, finden Abs. 1 und 2 sinngemäß Anwendung.
…
Behördliche Aufträge und Anordnungen
§ 9. Wird der Verpflichtung zur Beseitigung eines Übelstandes im Sinne der §§ 4 bis 8 nicht entsprochen, hat der Magistrat aus öffentlichen Rücksichten, unbeschadet zivilrechtlicher Ersatzansprüche und der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit, dem Eigentümer (Miteigentümer) des Gebäudes oder der Grundfläche mit Bescheid die Beseitigung des Übelstandes aufzutragen. Im Falle einer Verpachtung, Vermietung oder sonstigen Überlassung von Gebäuden, Gebäudeteilen oder Grundflächen zur Nutzung ist dieser Auftrag auch dem Pächter, Mieter oder Nutzungsberechtigten zu erteilen.
…"
Die beschwerdeführende Partei wendet - unter anderem - auch die Unzuständigkeit der belangten Behörde ein. Damit ist sie im Ergebnis im Recht.
Wie bereits oben ausgeführt, wurde die Reinhalteverordnung auf Grund der §§ 76 und 108 der Wiener Stadtverfassung erlassen. Nach der Z 7 der erstgenannten Bestimmung sind der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich die behördlichen Aufgaben insbesondere auch in Angelegenheiten der örtlichen Gesundheitspolizei gewährleistet. Nach § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung hat der Magistrat in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde das Recht, ortspolizeiliche Verordnungen nach freier Selbstbestimmung zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstände zu erlassen sowie deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären. Gemäß § 99 Abs. 1 der Wiener Stadtverfassung entscheidet in den zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gehörenden Angelegenheiten der Berufungssenat über Rechtsmittel gegen Verfügungen oder Entscheidungen des Magistrats. Die näheren Bestimmungen über den Berufungssenat finden sich in den §§ 48a ff. der Wiener Stadtverfassung.
Im vorliegenden Fall liegt ein vom Magistrat der Stadt Wien nach § 9 der Reinhalteverordnung 1982 im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde erteilter Auftrag zur Beseitigung eines Mißstandes vor (vgl. etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0084). Damit erweist sich aber die belangte Behörde zur Entscheidung über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid als unzuständig, weil darüber nach der oben dargestellten Rechtslage der Berufungssenat der Stadt Wien zu entscheiden hätte (vgl. etwa auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 96/05/0296 VwSlg. Nr. 15.456 A, und Zl. 2000/05/0100). Eine gesetzliche Übertragung der Zuständigkeit an den unabhängigen Verwaltungssenat im Sinne des Art. 129a Abs. 1 B-VG, § 67a Z 1 AVG liegt nicht vor.
Wegen seiner Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde war der angefochtene Bescheid somit schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-93327