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VwGH vom 27.04.2017, Ra 2015/07/0117

VwGH vom 27.04.2017, Ra 2015/07/0117

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des J O in A, vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1A, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG- 2014/19/3459-3, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Kufstein; mitbeteiligte Partei: Gemeinde Angerberg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom bestätigte das Landesverwaltungsgericht Tirol - durch Abweisung einer Beschwerde des Revisionswerbers - Spruchteil A des Bescheides der belangten Behörde vom , mit dem der mitbeteiligten Partei die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer bestimmten Oberflächenentwässerung in deren Gemeindegebiet erteilt worden war.

2 Dieser Entscheidung legte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass bei der projektierten Oberflächenentwässerungsanlage die anfallenden Niederschlagswässer über insgesamt sieben Regenwasserkanäle gesammelt und zunächst in einem Sandfangbauwerk vorgereinigt würden; anschließend werde das Niederschlagswasser über ein Stahlbetonrohr in eine Sickermulde eingeleitet. Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers in dessen Beschwerde hätten sich keine Hinweise dafür ergeben, dass Wasser im Zuge der geplanten Versickerung in der Sickermulde in das dem Revisionswerber gehörende L.-Moos gelange.

3 Aufgrund des zugrunde liegenden Projektes erfolge keine direkte Ableitung der gereinigten Oberflächenwässer in das südlich gelegene L.-Moos und damit auf im Eigentum des Revisionswerbers stehende Grundstücke. Die in Fällen von über einem zugrunde gelegten einjährlichen Bemessungsereignis liegenden Niederschlägen auftretenden Niederschlagswässer, welche dabei Richtung L.-Moos abflössen, füllten zunächst den Freibord der vorhandenen Sickermulde aus, träten dann über und flössen dann dem L.-Moos zu. Das in solchen Fällen dem L.-Moos zufließende Oberflächenwasser stamme aus dem natürlichen Einzugsgebiet des L.-Mooses. Die projektierte Anlage entspreche dem Stand der Technik.

4 Aus den beweiswürdigenden Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses wird deutlich, dass das Verwaltungsgericht seine Überzeugung, dass die vom beantragten Projekt vorgesehene Bemessungswassermenge zur Gänze in der Sickermulde versickere und nicht in das L.-Moos abgeleitet werde, maßgeblich auf die Ausführungen des bereits in der Verhandlung vor der belangten Behörde am und wiederum in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am befragten siedlungswasserbautechnischen Amtssachverständigen DI M.R. stützte.

5 In den im Erkenntnis wörtlich wiedergegebenen Darlegungen von DI M.R. in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht relativierte dieser etwa eine Wendung des im Bescheid der belangten Behörde vom wiedergegebenen wasserfachlichen Befundes, dem zufolge das gereinigte Oberflächenwasser in das südlich gelegene L.-Moos abgeleitet werde; DI M.R. führte dazu aus, es könne theoretisch zu einer Ausleitung kommen, wenn sich das Ende des Drainagerohres freispüle. Die Dimensionierung der Sickermulde sei nach den einschlägigen Regelwerken und Normen erfolgt. Anzeichen dafür, dass das versickerte Wasser aufgrund von Dichtschichten in Richtung L.-Moos abgeleitet werde, seien nicht vorgelegen.

6 Aus diesen - zentral auf die Einschätzung durch den Amtssachverständigen DI M.R. gestützten - Feststellungen folgerte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, dass die vom Revisionswerber geltend gemachte Verletzung seiner Rechte nicht zu besorgen sei; insbesondere gehe dessen Vorbringen, das aufgrund des gegenständlichen Projektes in das L.-Moos gelangende Wasser weise eine andere chemische Zusammensetzung auf, als das auf natürlichem Weg dem L.-Moos zufließende Wasser, "ins Leere".

7 Die Revision ließ das Verwaltungsgericht unter bloßem Hinweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zu.

8 2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung der Revision beantragt. Die belangte Behörde hat ebenfalls eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision und schließlich in eventu beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 1. Nach Art. 133 Abs. 4-BVG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 2. Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit (unter anderem) vor, der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom mit einem bestimmten konkreten Vorbringen darauf hingewiesen, dass der Amtssachverständige DI M.R. in einem Naheverhältnis zu Ing. R.E. stehe, welcher zum einen einer der Eigentümer des Wohngebietes, welches durch die bewilligte Maßnahme entwässert werden solle, und zum anderen Gemeinderat der mitbeteiligten Partei sei. Deshalb habe der Revisionswerber in seiner Beschwerde den wassertechnischen Sachverständigen DI M.R. ausdrücklich "als befangen abgelehnt".

13 Mit der somit geltend gemachten Befangenheit des Amtssachverständigen habe sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis überhaupt nicht auseinandergesetzt; auch im Verhandlungsprotokoll habe das Verwaltungsgericht lediglich begründungslos durch Ankreuzen eines bestimmten Passus festgehalten, ein Befangenheitsgrund im Sinn des § 7 AVG liege nicht vor. Es sei allerdings das Vorliegen des Befangenheitsgrundes in keiner Weise überprüft worden, was eine "Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften" darstelle. Dem schließlich erstatteten Gutachten des Amtssachverständigen komme im vorliegenden Verfahren ganz zentrale Bedeutung zu, weil sich das gesamte angefochtene Erkenntnis im Wesentlichen auf dessen Ausführungen stütze.

14 3. Die vorliegende Revision ist zulässig und erweist sich auch als berechtigt.

15 3.1. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (unter anderem) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sinngemäß anzuwenden.

16 Gemäß § 53 Abs. 1 erster Satz AVG ist auf Amtssachverständige § 7 AVG anzuwenden.

17 Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 3 AVG haben sich Verwaltungsorgane der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn "sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihr volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen".

18 3.2. Den Parteien des Verfahrens kommt bezüglich der Amtssachverständigen ein formelles Ablehnungsrecht nicht zu, allerdings haben die Parteien die Möglichkeit, Umstände, die gegen den Amtssachverständigen sprechen, im Verfahren vorzutragen. Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht hat ein diesbezügliches Vorbringen auf seine Berechtigung hin zu prüfen und die diesbezüglichen Erwägungen in der Entscheidungsbegründung darzulegen, sofern eine Befangenheit nicht von vornherein auszuschließen ist (vgl. etwa die Nachweise aus der hg. Rechtsprechung bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 53 Rz 12).

19 Zum Vorliegen des Befangenheitsgrundes nach § 7 Abs. 1 Z. 3 AVG genügen Umstände, die die volle Unbefangenheit als zweifelhaft erscheinen lassen können, die somit eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befangenheit begründen können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/12/0109). Auch im Zusammenhang mit der Befangenheit von Amtssachverständigen hat der Gerichtshof bereits darauf abgestellt, ob konkrete Umstände "zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist" (vgl. etwa das hg. Erkenntnis , Zl. 2007/07/0050 = VwSlg 17.716A, sowie die weiteren Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 7 Rz 14).

20 Den Verfahrensbestimmungen zu den Befangenheitsgründen kommt besondere rechtsstaatliche Bedeutung zu, sollen sie doch der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive entgegenwirken (vgl. die Judikaturnachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 7 Rz 1).

21 Wenn ein Revisionswerber eine Rechtsfrage des Verfahrensrechtes als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG releviert, liegt eine derartige Bedeutung jedenfalls dann vor, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/07/0052 sowie die Rechtsprechungsnachweise bei Eder/Martschin/Schmid, Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 E 240 zu § 34 VwGG).

22 3.4. Einen derartigen Verstoß gegen tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes zeigt die vorliegende Revision auf:

23 Tatsächlich hat der Revisionswerber in seiner durch das angefochtene Erkenntnis erledigten Beschwerde mit Blick auf den Amtssachverständigen DI. M.R. ein konkretes Vorbringen "wegen bestehender Interessenkollision und mangelnder Unbefangenheit" erstattet und dabei im Wesentlichen behauptet, dieser sei der Vorgesetzte von Ing. R.E., welcher einerseits Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde sowie andererseits "einer der Eigentümer des Wohngebietes, welches durch die bewilligte Maßnahme entwässert werden" solle, sei.

24 Damit hat der Revisionswerber im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht konkrete Umstände behauptet, die zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Das Verwaltungsgericht hat sich allerdings mit diesen Behauptungen inhaltlich überhaupt nicht befasst und derart tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes verletzt (zur Pflicht zur Prüfung eines Befangenheitsvorwurfs gegenüber einem Amtssachverständigen vgl. etwa auch den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2016/02/0055).

25 Die mögliche Relevanz des darin gelegenen Verfahrensmangels liegt mit Blick auf die zentrale Bedeutung der fachlichen Einschätzung des Amtssachverständigen DI. M.R. für das angefochtene Erkenntnis (vgl. die Wiedergabe oben, insbesondere unter Rz 4 ff) auf der Hand.

26 4. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

27 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Verfahrensbestimmungen Befangenheit offenbare Unrichtigkeiten Befangenheit von Sachverständigen Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von Beweisen Ablehnung wegen Befangenheit Ablehnung wegen Befangenheit Rechtsanspruch Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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