VwGH vom 20.12.2011, 2011/23/0254
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 16/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/110.376/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender serbischer Staatsangehöriger, reiste am mit seiner damaligen Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern (geboren am , und am ) illegal in das Bundesgebiet ein; der am selben Tag gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit erstinstanzlichem Bescheid vom rechtskräftig abgewiesen. Nach Scheidung dieser ersten Ehe des Beschwerdeführers im Dezember 2002 heiratete er am eine österreichische Staatsbürgerin. Über seinen Antrag wurden dem Beschwerdeführer zunächst Niederlassungsbewilligungen und zuletzt ein bis gültiger Niederlassungsnachweis erteilt. Am wurde auch die zweite Ehe des Beschwerdeführers geschieden.
Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des teils versuchten teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 2, § 15 StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer durch das gewaltsame Öffnen von Umkleidekästchen mittels eines Schraubenziehers bzw. mittels eines widerrechtlich erlangten Schlüssels in Amstetten am (drei) näher genannten Personen Bargeldbeträge von insgesamt EUR 175,-- sowie eine Armbanduhr und zwei Mobiltelefone nicht mehr feststellbaren Werts, am (drei) näher genannten Personen Bargeldbeträge von insgesamt EUR 495,--, am (drei) näher genannten Personen Bargeldbeträge von insgesamt EUR 285,--, wobei es einmal beim Versuch blieb, am (vier) näher genannten Personen einen Bargeldbetrag von EUR 120,--, wobei es zweimal beim Versuch blieb, sowie am in Laa/Thaya einer näher genannten Person einen Bargeldbetrag von EUR 800,-- und eine Armbanduhr im Wert von etwa EUR 250,-- sowie (drei) unbekannten Personen Bargeldbeträge - wobei es beim Versuch blieb - wegnahm bzw. wegzunehmen versuchte.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde im Hinblick auf das Strafurteil aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - "im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG" gegeben seien.
Der Beschwerdeführer sei geschieden und für drei Kinder sorgepflichtig; die Obsorge obliege beiden Elternteilen gemeinsam. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer Straftaten, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch die Vielzahl der dem genannten Urteil zu Grunde liegenden Straftaten seine offenbare Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften zu erkennen gegeben. Die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sei auch nicht dadurch zu relativieren, dass er - in Entsprechung der mit genanntem Urteil gleichzeitig ergangenen Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche - einer Geschädigten Schadenswiedergutmachung geleistet habe. Der seit der Verurteilung verstrichene Zeitraum sei angesichts der über einen Zeitraum von etwa einem Jahr erstreckten Straftaten selbst unter Zugrundelegung vollständigen Wohlverhaltens jedenfalls zu kurz, um begründet von einem künftigen Wohlverhalten des Beschwerdeführers ausgehen zu können. Gleiches gelte für das Berufungsvorbringen, wonach der Beschwerdeführer nun erneut mit seiner (zweiten) geschiedenen Gattin zusammenlebe, habe ihn doch auch die seinerzeitige Ehe nicht davon abgehalten, strafbar zu werden. Die für den Beschwerdeführer anzustellende Verhaltensprognose müsse daher zu seinen Ungunsten ausfallen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei dringend geboten und im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Zur Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG führte die belangte Behörde aus, es sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei jedoch zu bedenken, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert werde. Es liege auch keine nachhaltige Integration des Beschwerdeführers am heimischen Arbeitsmarkt vor, weil er zum einen seit nicht mehr aufrecht beschäftigt sei und zum anderen keine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz besitze. Die familiäre Bindung zu seinen drei Kindern wiege zwar schwer, es komme dem Beschwerdeführer jedoch nicht das alleinige Obsorgerecht zu und er lebe mit den Kindern nicht im gemeinsamen Haushalt. Die Existenz einer Schwester, zu der familiäre Bindungen geltend gemacht worden seien, habe anhand der Angaben in der Berufung nicht verifiziert werden können. Selbst unter Zugrundelegung dieser Bindung könne dies die Interessenlage des Beschwerdeführers jedoch nicht entscheidend zu seinen Gunsten verstärken, sei er - wie vermutlich auch seine Schwester - doch längst volljährig und liege kein gemeinsamer Haushalt vor.
Das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet erweise sich daher als gewichtig, keinesfalls jedoch als besonders ausgeprägt. Bei Abwägung der Interessenlagen würden die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen als das in seinem Fehlverhalten gegründete, hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fernbleibe. Dabei sei auch berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer einen - wenn auch eingeschränkten - Kontakt zu seinen Familienangehörigen auch vom Ausland aus wahrnehmen könne; diese Einschränkung habe er im öffentlichen Interesse zu tragen. Ebenso könne er vom Ausland aus seinen Sorgepflichten nachkommen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei daher auch im Sinne des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Mangels sonstiger, besonders zu seinen Gunsten sprechender Umstände sehe die belangte Behörde keine Veranlassung, von der Erlassung des Aufenthaltsverbots im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Weder die abgeschlossene Lebensversicherung noch Kreditverbindlichkeiten stellten solche besonderen Umstände dar. Auch wegen der beim Beschwerdeführer durchgeführten Bandscheibenoperation sei nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen, sei doch nicht ersichtlich, dass deren Folgen seiner Ausreise unüberwindlich entgegenstünden.
Die Befristung des Aufenthaltsverbots mit zehn Jahren sei nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt, weil im Hinblick auf das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers auch unter Berücksichtigung seiner aktenkundigen Lebenssituation vor Ablauf dieser Frist nicht erwartet werden könne, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Die Beschwerde wendet sich überwiegend gegen die von der belangten Behörde nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung und bringt in diesem Zusammenhang im Ergebnis zutreffend vor, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den Auswirkungen einer zehnjährigen Trennung des Beschwerdeführers von seinen Kindern auseinandergesetzt habe. So sei der Beschwerdeführer wegen der zwischen ihm und der Mutter der Kinder geteilten Obsorge und infolge einer Obsorgevereinbarung intensiv in den Alltag seiner Kinder eingebunden. Er erledige mit ihnen ihre Schulaufgaben und überprüfe diese, wozu die Mutter der Kinder wegen mangelhafter Deutschkenntnisse nicht in der Lage sei. Der Beschwerdeführer sei somit nachhaltig am Schulerfolg seiner Kinder beteiligt. Er habe ein inniges Verhältnis zu seinen Kindern. Auch wenn sie mit ihm nicht ständig im gemeinsamen Haushalt lebten, seien sie jedes zweite Wochenende bei ihm und er übernehme sämtliche Freizeitaktivitäten der Kinder. Auch in den Sommerferien seien die Kinder im Schnitt zwei bis drei Wochen beim Beschwerdeführer, über den sie auch in der Krankenkasse mitversichert seien. Schließlich leiste er regelmäßig die vereinbarten Unterhaltszahlungen, auf welche die Kinder und deren Mutter angewiesen seien.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG darf eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1, 3 und 4 FPG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Gemäß § 60 Abs. 6 FPG gilt das sinngemäß auch für Aufenthaltsverbote.
Bei ihrer Interessenabwägung ist die belangte Behörde zwar zutreffend davon ausgegangen, dass wiederholte Eigentumsdelikte das maßgebliche Interesse am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - erheblich beeinträchtigen, wiewohl dem Beschwerdeführer nur eine Verurteilung zur Last liegt, das Strafgericht eine zur Gänze bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe ausgesprochen hat und bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids ein Wohlverhalten seit der letzten Tat von eineinhalb Jahren gegeben ist. Die belangte Behörde hat aber vor allem das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen, nicht ausreichend einbezogen. Dazu hätte es nämlich weiterer Erhebungen und Feststellungen bedurft. So reicht die von der belangten Behörde getroffene Feststellung der gemeinsamen Obsorge des Beschwerdeführers und der Kindesmutter nicht aus, um das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben des Beschwerdeführers und seiner Kinder - und damit das der Erlassung eines Aufenthaltsverbots entgegenstehende Interesse - ausreichend zu beurteilen.
Mit den in der Beschwerde angesprochenen Fragen der Betreuung der Kinder durch den Beschwerdeführer hätte sich die belangte Behörde aber bereits im Hinblick auf das mit der Berufung im Verwaltungsverfahren vorgelegte Protokoll des Pflegschaftsgerichts samt dessen die Obsorgevereinbarung genehmigenden Beschluss auseinanderzusetzen gehabt. Schon aus diesen ergibt sich nämlich, dass die Eltern die Kinder im etwa gleichen Ausmaß betreuen würden. Weiters wird auf Sprachschwierigkeiten der Mutter der Kinder hingewiesen; diese würden auch von der Ehefrau des Beschwerdeführers bei den Hausaufgaben unterstützt.
Gerade wenn ein Kind auf die Pflege und Obsorge durch einen Elternteil angewiesen ist, könnte nämlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen diesen Elternteil eine Verletzung nach Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Kind eine Ausreise mit diesem nicht zumutbar wäre (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/23/0933, mit weiteren Hinweisen auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes). Die belangte Behörde hätte daher im Hinblick auf die zwischen den Eltern geteilte Obsorge Feststellungen zu treffen gehabt, in welcher Weise der Beschwerdeführer in die Pflege und Erziehung seiner Kinder eingebunden ist. Erst damit wäre eine ausreichende Grundlage dafür geschaffen worden, das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben zu bewerten. An Hand dieser Feststellungen wäre auch beurteilbar gewesen, inwiefern es dem Beschwerdeführer und seinen Kindern zumutbar wäre - worauf die belangte Behörde verwies - vom Ausland aus Kontakt zu den Kindern zu halten und von dort aus die Obsorge auszuüben. Dass eine Rückkehr der Kinder in den Herkunftsstaat nicht in Betracht kommt, ergibt sich aber schon aus dem ihnen zuerkannten Flüchtlingsstatus.
Überdies wäre auch im Rahmen der Interessenabwägung die Mitteilung des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, wieder mit seiner (zweiten) geschiedenen Frau, einer österreichischen Staatsbürgerin, zusammenzuwohnen, ausdrücklich zu berücksichtigen gewesen, ergibt sich doch auch daraus ein einzubeziehender Aspekt des Familienlebens des Beschwerdeführers.
Der angefochtene Bescheid war daher schon angesichts der aufgezeigten Mängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
OAAAE-93244