VwGH vom 10.09.2015, Ro 2015/09/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Höhl, über die Revision des Disziplinaranwalt-Stellvertreters für die Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, vertreten durch Dr. Georg-Christian Gass und Dr. Alexander M. Sutter, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Zimmerplatzgasse 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 49.12-4951/2014-6, betreffend Zurücklegung von Disziplinaranzeigen nach dem Ärztegesetz 1998 (vor dem Landesverwaltungsgericht belangte Behörde: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten; mitbeteiligte Partei: Univ. Doz. Dr. XY in G, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/8; weitere Partei: Bundesministerin für Gesundheit), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenbegehren des Revisionswerbers wird abgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte ist als Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie in die Ärzteliste eingetragen und gehört als ordentlicher Kammerangehöriger der Ärztekammer für Steiermark an.
Am langte bei der Ärztekammer für Steiermark eine anonyme Anzeige ein, die sich auf ein Interview des Mitbeteiligten bezog, das dieser einem Magazin gegeben hatte und das in der Ausgabe vom dieses Magazins abgedruckt war. In diesem Interview erörterte der Mitbeteiligte Methoden von ästhetischen Behandlungen und Operationen, wobei er bestimmte Methoden lobend hervorhob und andere kritisierte, sowie unter anderem auch ausführte, dass er das modernste Gerät der Steiermark zur Wegnahme von Fett und Einführung von Fett in die Brust habe, dabei werde das Fett so schonend wie möglich entnommen.
Mit Schreiben vom ersuchte der Revisionswerber den Mitbeteiligten nach § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 unter gleichzeitiger Übersendung einer Fotokopie der anonymen Disziplinaranzeige vom um schriftliche Äußerung zum behaupteten Sachverhalt und zur Beurteilung in disziplinarrechtlicher Hinsicht. Der Mitbeteiligte erstattete durch seine Anwälte eine Stellungnahme vom . Der Revisionswerber stellte mit dem an die Vorsitzende des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten, gerichteten Schreiben vom den Antrag, ein Disziplinarverfahren nach § 150 Abs. 3 Ärztegesetz 1998 gegen den Mitbeteiligten einzuleiten, weil ein Verstoß gegen die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" vorliege.
Mit dem Schreiben vom zeigte die Vorsitzende der Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten der Vorsitzenden des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit ihre Befangenheit nach § 146 Abs. 5 Ärztegesetz 1998 an.
Am langte eine weitere anonyme Disziplinaranzeige bei der Ärztekammer für Steiermark betreffend das Interview des Mitbeteiligten ein. Dazu wurde der Mitbeteiligte vom Revisionswerber mit Schreiben vom um Stellungnahme nach § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 binnen drei Wochen ersucht, welchem Ersuchen der Mitbeteiligte mit Stellungnahme vom nachkam.
Am richtete der Mitbeteiligte an die Ärztekammer für Steiermark zu Handen des Revisionswerbers das Ersuchen um Bekanntgabe des Verfahrensstandes, dem der Revisionswerber mit Schreiben vom mit dem Hinweis darauf antwortete, dass über die Zuständigkeit in der Causa noch zu entscheiden sein werde. Ein neuerliches Ersuchen des Mitbeteiligten um Mitteilung des Verfahrensstandes vom wurde mit der Mitteilung vom beantwortet, dass der Schriftsatz an die zuständige Österreichische Ärztekammer weitergeleitet worden sei.
Die Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten ersuchte die Österreichische Ärztekammer am um Rückmeldung zu dem im Februar 2013 an das Disziplinarreferat übermittelten Disziplinarakt, da bis dato noch kein Ergebnis eingelangt sei. Die Vorsitzende des Disziplinarsenates hielt in einem undatierten Vermerk fest, dass ihr der Akt, in dem über die Befangenheitsanzeige der Vorsitzenden der Disziplinarkommission vom zu entscheiden sei, erstmals Anfang November 2013 vorgelegt worden sei. Der Akt sei ihr offenbar nicht weitergeleitet worden und habe rekonstruiert werden müssen.
Mit Beschluss vom sprach der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend aus, dass die Vorsitzende der Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten in der gegenständlichen Disziplinarsache befangen sei. Der Disziplinarakt wurde an die Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten zurückgestellt. Am verfügte die Vorsitzende der Disziplinarkommission, dass die Akten dem Vertreter der Vorsitzenden der Disziplinarkommission unter Hinweis auf den Beschluss des Disziplinarsenates vom zu übermitteln seien.
Am richtete der Mitbeteiligte ein neuerliches Ersuchen um Mitteilung des Verfahrensstandes an die Ärztekammer für Wien, worauf der Revisionswerber, an den dieses Ersuchen weitergeleitet worden war, mit Schreiben vom bekannt gab, dass die gegenständliche Disziplinarangelegenheit beim Vorsitzenden, nämlich dem nunmehrigen Vorsitzenden als Stellvertreter zur Bearbeitung liege.
Mit Beschluss vom sprach die Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten aus, dass die am und am eingelangten Disziplinaranzeigen gegen den Mitbeteiligten nach § 151 Abs. 2 Ärztegesetz 1998 zurückzulegen seien. Es liege keine Werbung vor, vielmehr habe der Mitbeteiligte bloß Angebote, die bloß viel kosteten und versprächen und doch wenig Erfolg zeigten, kritisiert. Bloß eine Formulierung grenze an eine übertriebene Darstellung der apparativen Möglichkeiten des Mitbeteiligten, wenn er meine, er selbst habe das modernste Gerät für die schonende Entnahme von Fett. Solche Übertreibungen seien wohl zu unterlassen, änderten jedoch nichts daran, dass der inkriminierte Artikel die Disziplinartatbestände des § 136 Abs. 1 Z. 1 und 2 Ärztegesetz 1998 nicht erfüllten.
Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in welcher er die Zurücklegung des Disziplinarantrages im Hinblick auf die Formulierung des Mitbeteiligten, er habe "das modernste Gerät der Steiermark, wo das Fett so schonend wie möglich entnommen wird", mit einer näheren Begründung anfocht.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen und dies damit begründet, dass der Revisionswerber von der ersten anonymen Disziplinaranzeige spätestens am Kenntnis erlangt habe, an diesem Tag habe er den Mitbeteiligten nämlich um Äußerung dazu ersucht. Von der zweiten am bei der Ärztekammer für Steiermark eingelangten anonymen Anzeige habe der Revisionswerber spätestens am Kenntnis erlangt.
Nach § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 werde die Verfolgung eines Arztes durch Verjährung ausgeschlossen, wenn innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalt keine Verfolgungshandlung gesetzt wurde. Nach § 140 Abs. 2 und § 145 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 sei die Disziplinarkommission zur Durchführung des Disziplinarverfahrens berufen. Wenn sie Grund zur Verfolgung des Beschuldigten finde, habe sie die Durchführung von Erhebungen oder die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu beschließen (§ 151 Abs. 2 Ärztegesetz 1998). Beschließe die Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen, so habe der Vorsitzende nachdem er den Untersuchungsführer mit diesen Erhebungen beauftragt habe, den Beschuldigten unter Bekanntgabe des Namens des Untersuchungsführers und der wesentlichen Verdachtsgründe zu verständigen (§ 151 Abs. 4 Ärztegesetz 1998). Spreche § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 noch vom Angezeigten, so gelte dieser nach § 151 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 erst ab dieser Verständigung als Beschuldigter.
In der gegenständlichen Beschwerdesache hätte somit, um die Verjährung auszuschließen, bis längstens hinsichtlich der ersten anonymen Anzeige und längstens bis zum hinsichtlich der zweiten anonymen Anzeige durch die Disziplinarkommission eine Verfolgungshandlung gesetzt werden müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, weil die Disziplinarkommission bisher weder einen Einleitungsbeschluss gefasst, noch die Durchführung von Erhebungen beschlossen habe, in welchem Fall der Angezeigte unter Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsgründe zu verständigen gewesen wäre. Die beiden Schreiben des Revisionswerbers an den Mitbeteiligten um schriftliche Äußerung nach § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 könnten schon deswegen nicht als Verfolgungshandlungen gelten, weil der Disziplinaranwalt-Stellvertreter keine Verfolgungshandlungen setzen könne. Da der Rücklegungsbeschluss vom somit zu Recht ergangen sei, auch wenn er nicht mit der eingetretenen Verjährung begründet worden sei, sei die Beschwerde wegen Verjährung zurückzuweisen.
Dagegen richtet sich die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des Verfahrens sowie von Revisionsbeantwortungen des Mitbeteiligten und des vor dem Verwaltungsgerichtsgericht belangten Disziplinarrates, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten, vorgelegte Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das Landesverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Erkenntnis im vorliegenden Fall gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für zulässig erklärt, weil keine Entscheidung der Höchstgerichte zur Frage vorliege, welche Verfahrenshandlung in einem Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 als Verfolgungshandlung gelte. Der Verwaltungsgerichtshof ist an diesen Ausspruch und dessen Begründung zwar nicht gebunden (vgl. § 34 Abs. 1a VwGG), er erachtet aber ebenfalls die Zulässigkeit der Revision angesichts des Umstandes als gegeben, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 noch nicht ergangen ist und die Revision von der Auslegung dieser Bestimmung abhängt. Die Revision ist daher zur Gänze zulässig.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 80/2013, lauten:
"§ 137. (1) Durch Verjährung wird die Verfolgung eines Arztes
oder außerordentlichen Kammerangehörigen ausgeschlossen, wenn
1. innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des
Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen
zugrundeliegenden Sachverhalt oder von allfälligen
Wiederaufnahmsgründen keine Verfolgungshandlung gesetzt oder
2. innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines
disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluß gefaßt oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden ist.
(2) Der Lauf der im Abs. 1 genannten Fristen wird gehemmt, wenn
1. wegen des dem Disziplinarvergehen zugrunde
liegenden Sachverhaltes ein Verfahren nach der StPO oder ein Verwaltungsstrafverfahren oder ein Verfahren vor einem anderen Träger der Disziplinargewalt oder vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, für die Dauer dieses Verfahrens,
2. die Berechtigung eines Arztes zur ärztlichen
Berufsausübung während des Laufes der Verjährungsfrist erlischt, bis zu seiner allfälligen Wiedereintragung in die Ärzteliste.
(3) Bildet ein Disziplinarvergehen zugleich eine gerichtlich strafbare Handlung und ist die strafrechtliche Verjährungsfrist länger als die im Abs. 1 Z 2 angeführte Frist, so tritt an deren Stelle die strafrechtliche Verjährungsfrist.
(4) Begeht ein Arzt innerhalb der Verjährungsfrist erneut ein gleichartiges Disziplinarvergehen, so tritt Verjährung nach Abs. 1 nicht ein, bevor auch für dieses Disziplinarvergehen die Verjährungsfrist abgelaufen ist.
...
5. Abschnitt
Disziplinarrat und Disziplinaranwalt
§ 140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.
(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.
(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat bei der Bestellung eines Richters zum Vorsitzenden oder zum Stellvertreter des Vorsitzenden das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz herzustellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.
(4) Die ärztlichen Beisitzer haben dem Vorsitzenden vor Antritt ihrer Tätigkeit die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben.
(5) Die einzelnen Disziplinarkommissionen des Disziplinarrates sind ermächtigt, soweit dies zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur rascheren Durchführung des Verfahrens angezeigt ist, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten jener Ärztekammer auszuüben, der der Beschuldigte angehört.
§ 141. Die Vertretung der Anzeigen beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer sowie beim Verwaltungsgericht des Landes obliegt dem Disziplinaranwalt, der in diesen Verfahren Parteistellung im Sinne des § 8 AVG sowie das Recht der Revision gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG hat. Auf Weisung des Bundesministers für Gesundheit oder des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer ist der Disziplinaranwalt zur Disziplinarverfolgung und zur Ergreifung von Rechtsmitteln verpflichtet. Der Disziplinaranwalt und ein Stellvertreter für jede Disziplinarkommission sind vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen und müssen rechtskundig sein.
...
6. Abschnitt
Verfahren vor dem Disziplinarrat
§ 145. (1) Zur Ausübung der Disziplinargewalt ist jene
Disziplinarkommission zuständig, in deren Sprengel der
Beschuldigte in dem Zeitpunkt, in dem der Disziplinaranwalt vom
Verdacht des Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt,
1. seinen Berufssitz oder
2. im Falle, daß er nur mit Dienstort in der
Ärzteliste eingetragen ist, seinen Dienstort hat oder
3. sofern es sich um einen Wohnsitzarzt handelt, mit
seinem Wohnsitz in der Ärzteliste eingetragen ist.
(2) Hat der Disziplinarbeschuldigte Berufssitze oder Dienstorte in verschiedenen Disziplinarsprengeln, so ist jene Disziplinarkommission zuständig, in deren Sprengel das Disziplinarvergehen begangen worden ist, auch wenn der Erfolg in einem anderen Ort eingetreten ist. Im Zweifel entscheidet hinsichtlich der Zuständigkeit das Zuvorkommen mit der ersten Verfolgungshandlung.
...
(5) Der Disziplinarrat schreitet von Amts wegen ein, sobald er von dem Disziplinarvergehen eines Arztes Kenntnis erhält. Er fällt seine Entscheidungen nach Anhörung des Disziplinaranwaltes.
(6) Der Disziplinarrat und der Disziplinaranwalt haben die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen.
...
§ 150. (1) Alle beim Disziplinarrat, bei den Ärztekammern in den Bundesländern oder bei der Österreichischen Ärztekammer einlangenden Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens sind zunächst dem Disziplinaranwalt zuzuleiten.
(2) Ist der Disziplinaranwalt der Ansicht, dass weder eine Beeinträchtigung des Standesansehens noch eine Berufspflichtverletzung vorliegt oder dass eine Verfolgung wegen Verjährung, mangelnder Strafwürdigkeit oder aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, so hat er die Anzeige zurückzulegen und hievon den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen sowie den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer zu verständigen.
(3) Ist der Disziplinaranwalt der Ansicht, daß die Voraussetzungen für eine Disziplinarverfolgung vorliegen oder wird ihm diese vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales oder vom Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer aufgetragen, so hat er unter Vorlage der Akten beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, die Einleitung des Verfahrens zu beantragen.
(4) Sofern der Inhalt der Anzeige oder die bekanntgewordenen Verdachtsgründe keine ausreichende Beurteilung zulassen, kann der Disziplinaranwalt vorweg eine ergänzende Äußerung des Anzeigers sowie eine Äußerung des Angezeigten einholen und Akten beischaffen.
(5) Solange der Angezeigte keine Äußerung erstattet hat, kann der Disziplinaranwalt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme vorliegen, auch nach Zurücklegung der Anzeige einen Antrag auf Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, auf Einleitung des Verfahrens stellen.
§ 151. (1) Tritt der Vorsitzende des Disziplinarrates dem Antrag des Disziplinaranwaltes auf Durchführung von Erhebungen bei, so hat er den Untersuchungsführer mit der Durchführung der von ihm erforderlich erachteten Erhebungen zu beauftragen. An den Inhalt der Erhebungsanträge des Disziplinaranwaltes ist der Vorsitzende hiebei nicht gebunden. Hält der Vorsitzende der Disziplinarkommission dafür, daß Grund zur Zurücklegung der Anzeige besteht, so hat er die Disziplinarkommission einzuberufen.
(2) Erachtet die Disziplinarkommission anläßlich der Beratung darüber, ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen oder ein Einleitungsbeschluß zu fassen ist, daß ein Disziplinarvergehen nicht vorliegt oder daß die Verfolgung aus einem der in diesem Bundesgesetz genannten Gründe ausgeschlossen ist, so hat sie einen Rücklegungsbeschluß zu fassen. Findet die Disziplinarkommission Grund zur Verfolgung des Beschuldigten, so hat sie die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, sogleich die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu beschließen.
(3) Von dem Rücklegungsbeschluss ist der Disziplinaranwalt zu verständigen, der dagegen Beschwerde erheben kann. Zugleich sind von dem Rücklegungsbeschluss die für den Disziplinarbeschuldigten zuständige Ärztekammer und die Österreichische Ärztekammer sowie der Bundesminister für Gesundheit und Frauen zu verständigen.
(4) Beschließt die Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen, hat der Vorsitzende den Untersuchungsführer mit der Durchführung der von ihm erforderlich erachteten Erhebungen zu beauftragen und hievon den Beschuldigten unter Bekanntgabe des Namens des Untersuchungsführers und der wesentlichen Verdachtsgründe sowie den Disziplinaranwalt zu verständigen.
(5) Die Auswahl des Untersuchungsführers hat aus der vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu erstellenden Liste zu erfolgen.
§ 152. Der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt können den Untersuchungsführer wegen Befangenheit ablehnen, wenn sie Gründe anzugeben vermögen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen (§ 44 Abs. 3 1. Satz StPO). Die Ausschließungsgründe des § 146 Abs. 1 und 2 sind auf Untersuchungsführer sinngemäß anzuwenden. Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Vorsitzende der Disziplinarkommission.
§ 153. (1) Der Untersuchungsführer hat die erforderlichen Erhebungen zu pflegen und dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu geben. Er kann den Beschuldigten und Zeugen vernehmen, Sachverständige beiziehen und Augenscheine vornehmen.
(2) Personen, die als Zeugen vorgeladen werden, sind zum Erscheinen verpflichtet. Hinsichtlich der Vernehmung von Zeugen sind die §§ 155 bis 159 StPO sinngemäß anzuwenden. Die Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen durch den Untersuchungsführer ist unzulässig.
(3) Der Untersuchungsführer kann um die Vornahme von Vernehmungen oder anderen Erhebungen auch die jeweils für Rechtshilfe in Strafsachen zuständige Staatsanwaltschaft ersuchen. Diese hat hiebei nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung vorzugehen. Die Kosten für die Erhebungen sind vorläufig von der Österreichischen Ärztekammer zu tragen. Zu Vernehmungen, Befundaufnahmen und zur Vornahme eines Augenscheins sind der Untersuchungsführer, der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte und dessen Vertreter (§ 156) zu laden. Diesen Personen steht das Fragerecht nach der Strafprozeßordnung zu.
(4) Dem Beschuldigten, seinem Verteidiger sowie dem Disziplinaranwalt steht das Recht der Akteneinsicht zu. Ausgenommen von der Akteneinsicht sind Beratungsprotokolle. Der Untersuchungsführer kann jedoch bis zur Fassung eines Einleitungsbeschlusses einzelne Aktenstücke von der Einsichtnahme durch den Beschuldigten und dessen Verteidiger ausschließen, wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, daß durch eine sofortige Kenntnisnahme von diesen Aktenstücken der Zweck der Untersuchung gefährdet wäre.
§ 154. (1) Nach Abschluß der Untersuchung hat der Untersuchungsführer die Akten dem Disziplinaranwalt zur Stellung weiterer Anträge zuzuleiten. Der Disziplinaranwalt kann sodann beim Untersuchungsführer weitere Erhebungen beantragen oder beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission entweder die Fassung eines Einstellungsbeschlusses oder die Einleitung des Verfahrens beantragen. Über einen solchen Antrag des Disziplinaranwaltes hat die Disziplinarkommission durch Beschluß zu erkennen, ob Grund zu einer Disziplinarbehandlung des Beschuldigten in mündlicher Verhandlung vorliegt.
(2) Der Beschluß, daß Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung vorliegt (Einleitungsbeschluß), hat die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen. Eine Ausfertigung des Beschlusses ist dem Beschuldigten, seinem Verteidiger, dem Disziplinaranwalt sowie der für den Disziplinarbeschuldigten zuständigen Ärztekammer und der Österreichischen Ärztekammer zuzustellen.
(3) Der Beschluss, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), ist dem Disziplinaranwalt zuzustellen, der dagegen Beschwerde erheben kann. Zugleich sind von dem Einstellungsbeschluss die für den Disziplinarbeschuldigten zuständige Ärztekammer, die Österreichische Ärztekammer sowie der Bundesminister für Gesundheit und Frauen zu verständigen.
§ 155. (1) Wurde ein Einleitungsbeschluß gefaßt, so hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission die zur Durchführung der mündlichen Verhandlung erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere hat er Ort, Tag und Stunde der mündlichen Verhandlung zu bestimmen, den Beschuldigten, seinen Verteidiger und die Zeugen zu laden sowie den Disziplinaranwalt zu verständigen. Dem Beschuldigten sind mit der Ladung zur Disziplinarverhandlung die Namen der Mitglieder der Disziplinarkommission mitzuteilen. Dem Beschuldigten sind 14 Tage Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu gewähren.
(2) Der Vorsitzende kann auch noch von Amts wegen oder auf Antrag des Beschuldigten, seines Verteidigers oder des Disziplinaranwaltes Ergänzungen der Erhebungen durch den Untersuchungsführer veranlassen.
(3) Dem Beschuldigten, seinem Verteidiger sowie dem Disziplinaranwalt ist vor der mündlichen Verhandlung die Einsichtnahme in die Akten gestattet. Ausgenommen von der Akteneinsicht sind neben den im § 153 Abs. 4 genannten Aktenteilen Entwürfe des Vorsitzenden für die Berichterstattung in der Disziplinarkommission."
Der Revisionswerber hält den angefochtenen Beschluss deswegen für rechtswidrig, weil nicht nur die Disziplinarkommission, sondern auch der Disziplinaranwalt-Stellvertreter verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 setzen könne. Das Verwaltungsgericht habe daher zu Unrecht die Auffassung vertreten, dass in der gegenständlichen Disziplinarangelegenheit gemäß § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 Verjährung eingetreten sei.
Gemäß § 150 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 seien alle beim Disziplinarrat, bei den Ärztekammern in den Bundesländern oder bei der Österreichischen Ärztekammer einlangenden Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens zunächst dem Disziplinaranwalt zuzuleiten. Daraus ergebe sich, dass der Disziplinaranwalt die zentrale Schaltstelle des erstinstanzlichen Verfahrens sei. Zu den Aufgaben des Disziplinaranwaltes gehöre, die Sachverhalte auf ihre disziplinarrechtliche Relevanz hin zu prüfen, Anzeigen, sofern die Voraussetzungen nach § 150 Abs. 2 Ärztegesetz 1998 vorliegen, zurückzulegen, selbständig die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich seien, die Einleitung des Verfahrens zu beantragen (§ 150 Abs. 3 Ärztegesetz 1998) und unklare Umstände durch eigene Erhebungen gemäß § 150 Abs. 4 leg. cit. durch Einholung einer ergänzenden Äußerung des Anzeigers, durch Einholung einer Äußerung des Angezeigten sowie durch Aktenbeschaffung abzuklären. Dem Disziplinaranwalt unterliege demnach die Initiative zur Einleitung und Vorantreibung des Verfahrens und er sei zur Teilnahme als Verfahrenspartei an den Verhandlungen und zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen berechtigt.
Wegen dieser zentralen Rolle des Disziplinaranwaltes sei jede gegen eine bestimmte Person gerichtete Amtshandlung des Disziplinaranwaltes, wie die Anfrage bzw. Aktenbeschaffung gemäß § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998, ein an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission gestellter Erhebungsantrag gemäß § 150 Abs. 3 leg. cit. und vor allem ein Antrag auf Einleitung des Disziplinarverfahrens als verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 zu verstehen.
Eine die Verfolgungsverjährung unterbrechende Verfolgungshandlung müsse sich auf eine bestimmte physische Person, eine bestimmte Tatzeit, den Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschriften beziehen, insoferne verweist der Revisionswerber auf § 32 Abs. 2 VStG. Alle diese Erfordernisse seien durch den Antrag des Disziplinaranwaltes auf Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Mitbeteiligten erfüllt worden. Dieser Antrag sei vom Disziplinaranwalt-Stellvertreter am gestellt worden, was im Hinblick auf die Kenntnis des Disziplinaranwalt-Stellvertreters von dem einem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalt erstmals mit der am eingelangten anonymen Disziplinaranzeige rechtzeitig gewesen sei.
Gemäß § 137 Abs. 1 Z. 2 Ärztegesetz 1998 trete Verfolgungsverjährung ein, wenn kein Einleitungsbeschluss innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung eines disziplinären Verhaltens gefasst wurde. Das Gesetz normiere somit für den Einleitungsbeschluss eine fünfjährige Frist. Daraus folge, dass der Disziplinarkommission für die Durchführung der ihr nach dem Ärztegesetz 1998 obliegenden Erhebungen, welche Voraussetzung für die Einleitung oder Einstellung des Disziplinarverfahrens seien, und für den Beschluss auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht weniger als eine Frist von fünf Jahren zur Verfügung stehe. Demgegenüber habe der Disziplinaranwalt, der im Gegensatz zur Disziplinarkommission keine oft zeitraubenden Ermittlungen, sondern Verfolgungshandlungen zu setzen habe, ab dem Zeitpunkt, in dem er Kenntnis von einem bestimmten Sachverhalt erlangt habe, eine Jahresfrist zur Verfügung.
Dem hält der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung entgegen, dass sich die Intention des § 150 Abs. 4 Ärztegesetz 1998, wonach der Disziplinaranwalt vorweg eine ergänzende Äußerung des Anzeigers sowie eine Äußerung des Angezeigten einholen und Akten beischaffen kann, in einer Art Vorverfahren erschöpfe, was letztendlich aber keine Verfolgungshandlung darstelle, zumal auf Grund von Unklarheiten bei der Anzeige begrifflicherweise keine vom Gesetz gebotenen konkreten Tatvorwürfe erhoben werden könnten. Im vorliegenden Fall seien die für eine Verfolgungshandlung erforderlichen wesentlichen Tatbestandselemente in den dem Mitbeteiligten übermittelten Anzeigen nicht genannt gewesen.
Selbst wenn man diese Anzeigen insbesondere die zweite Anzeige vom als ausreichend konkret qualifizierte, sei dennoch Verjährung eingetreten, weil der Mitbeteiligte entsprechend der Systematik der disziplinarrechtlichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 zum Zeitpunkt der Übermittlung der anonymen Anzeige nicht die Position eines Beschuldigten, sondern nur die Position eines Angezeigten gemäß § 150 Abs. 4 leg. cit. inne gehabt habe und daher begrifflicherweise und in analoger Anwendung des § 32 Abs. 2 VStG ihm gegenüber noch gar keine Verfolgungshandlung getätigt habe werden können. Jedenfalls sei auch keine taugliche Verfolgungshandlung von der dafür zuständigen Stelle erfolgt, weil der Disziplinaranwalt-Stellvertreter und nicht der Disziplinaranwalt selbst tätig geworden sei. Eine Geschäftsverteilung des Disziplinaranwalts und der Disziplinaranwälte-Stellvertreter sei nicht ersichtlich.
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 auch vom Disziplinaranwalt wirksam gesetzt werden können und bejahendenfalls, ob diese auch vom Disziplinaranwalt-Stellvertreter gesetzt werden können.
Die hier maßgebliche Vorschrift des § 137 Abs. 1 Z. 1 wurde mit der Stammfassung des Ärztegesetzes 1998 geschaffen. Damit sollten Unzulänglichkeiten im Bereich des ärztlichen Disziplinarrechts beseitigt werden (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zum Ärztegesetz 1998 1386 BlgNR 20. GP, 81). Der Gesetzgeber orientierte sich dabei weitgehend am Bundesgesetz über das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (Disziplinarstatut 1990, DSt). Auch in den Erläuterungen zu § 137 führte die Bundesregierung aus, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Verjährungsbestimmung, die an die Stelle der bisherigen Verjährungsbestimmung des § 95 Abs. 6 des geltenden Ärztegesetzes 1984 trat, im Wesentlichen dem § 2 DSt entspreche. Gerade in dieser Hinsicht ist aus der entsprechenden Vorschrift des DSt (näherhin dessen § 2) nichts Entscheidendes zu entnehmen, weil die entsprechende Vorschrift des Disziplinarstatuts 1990 sich gerade im hier maßgeblichen Punkt von § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 insoferne unterscheidet, als nach dem DSt die Verfolgung eines Rechtsanwalts wegen eines Disziplinarverfahrens ausgeschlossen ist, wenn "innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Kammeranwalts (§ 22 Abs. 1) von dem einem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalt oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen kein Untersuchungskommissär bestellt" ist und es nicht - wie im Ärztegesetz 1998 - darauf ankommt, dass innerhalb eines Jahres "keine Verfolgungshandlung gesetzt wurde". Eine Erläuterung dafür ist den Materialien des Gesetzes allerdings nicht zu entnehmen.
Aus der Entstehungsgeschichte des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 ist daher keine Erhellung des Begriffs der "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Vorschrift zu entnehmen.
Das Ärztegesetz 1998 ordnet den Begriff der "Verfolgungshandlung" jedoch der Disziplinarkommission zu. So ist in § 145 Abs. 2 leg. cit. vorgesehen, dass bei mehreren Berufssitzen oder Dienstorten eines Disziplinarbeschuldigten jene Disziplinarkommission zuständig ist, in deren Sprengel das Disziplinarvergehen begangen worden ist, und dass im Zweifel hinsichtlich der Zuständigkeit der Disziplinarkommission "das Zuvorkommen mit der ersten Verfolgungshandlung" entscheidet. Auch dem § 151 Abs. 2 Ärztegesetz 1998 ist zu entnehmen, dass es Sache der Disziplinarkommission ist, darüber zu beraten, "ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen" ist. Daraus ergibt sich, dass das Ärztegesetz 1998 "Verfolgungshandlungen" im Disziplinarrecht der Disziplinarkommission und nicht dem Disziplinaranwalt zuordnet.
Ausgegangen werden kann auch davon, dass mit der Verwendung des Begriffs der "Verfolgungshandlung" in § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 der Gesetzgeber an den mit demselben Wort bezeichneten Begriff anknüpfte, wie er ihn in § 32 Abs. 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, vorfand, der Begriff ist dort wie folgt definiert:
"(2) Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat."
Sowohl der Revisionswerber als auch der Mitbeteiligte rekurrieren in ihren Schriftsätzen auf den Begriff der "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung. Aus dieser Bestimmung geht jedoch eindeutig hervor, dass eine Verfolgungshandlung nur von einer Behörde getroffen werden kann, nicht aber von einer sonstigen Partei des Verfahrens.
Wenn nun auch das Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 dem Disziplinaranwalt insb. in § 150 erhebliche Befugnisse einräumt, vor allem die Befugnis zur Beantragung der Durchführung von Erhebungen oder der Einleitung des Disziplinarverfahrens gemäß Abs. 3 leg. cit., so kommt es zu einer Verfolgung des Beschuldigten erst dann, wenn der Disziplinaranwalt solche Anträge gestellt hat und zur Durchführung von Erhebungen insb. zur Einvernahme des Beschuldigten und von Zeugen gemäß § 153 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 ein Untersuchungsführer bestellt ist. Nur diesem kommen behördliche Befugnisse zu (§ 153 Abs. 2 leg. cit.). Erst der Untersuchungsführer und die Disziplinarkommission sind daher befugt, "Verfolgungshandlungen" im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 im Disziplinarverfahren zu setzen.
Die Auffassung des Revisionswerbers, dass der Disziplinarkommission für die Durchführung der ihr nach dem Ärztegesetz obliegenden Erhebungen bis zum Einleitungsbeschluss in § 137 Abs. 1 Z. 2 Ärztegesetz 1998 eine Frist von fünf Jahren eingeräumt sei und dass es bei Beurteilung der in § 137 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. festgelegten einjährigen, durch die Setzung einer "Verfolgungshandlung" unterbrochene Verjährungsfrist nicht ebenfalls auf der Disziplinarkommission zuzurechnende Akte ankommen könne, ist nicht überzeugend, weil es dabei nicht um Akte der Disziplinarkommission, sondern die erste Verfolgungshandlung durch den Untersuchungsführer ankommt.
Im Übrigen entspricht die Auffassung, dass es sich bei einer "Verfolgungshandlung" im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 nur um der Disziplinarkommission zuzurechnende Akte handeln kann, auch eher der Vorbildbestimmung des § 2 des DSt der Rechtsanwälte. Die gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 DSt die einjährige Verfolgungsverjährungsfrist unterbrechende Bestellung des Untersuchungskommissärs obliegt nämlich ebenfalls der Disziplinarbehörde, gemäß § 27 Abs. 1 Disziplinarstatut dem Präsidenten des Disziplinarrats. Sohin ist es auch nach der Vorbildregelung des DSt nicht in der ausschließlichen Ingerenz des Kammeranwalts gelegen, für eine rechtzeitige Verfolgung des Disziplinarbeschuldigten zu sorgen.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die Auffassung des Verwaltungsgerichts Steiermark, dass Handlungen des Disziplinaranwalts oder des Disziplinaranwalt-Stellvertreters nicht als "Verfolgungshandlungen" im Sinne des § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 zu qualifizieren sind. (Der Disziplinaranwalt-Stellvertreter wird im Grunde des § 141 dritter Satz Ärztegesetz 1998 mit den Befugnissen des Disziplinaranwalts im Bereich jener Disziplinarkommission tätig, für welche er bestellt ist.)
Der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist daher beizutreten, dass im gegenständlichen Fall Verjährung gemäß § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 eingetreten ist.
Bei einer richtigen Betrachtungsweise hätte das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Disziplinaranwaltes aber nicht als unzulässig zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte es in Abänderung des Beschlusses der Disziplinarkommission die Zurücklegung der Disziplinaranzeige ausschließlich wegen Verjährung gemäß § 137 Abs. 1 Z. 1 Ärztegesetz 1998 verfügen müssen. Die Disziplinarkommission besaß nämlich wegen bereits eingetretener Verjährung keine Zuständigkeit, in der Sache selbst über die gegen den Mitbeteiligten erhobenen Vorwürfe zu befinden.
Daher war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Dem Kostenbegehren des Revisionswerbers war im Grunde des § 47 Abs. 4 VwGG iVm Art. 133 Abs. 8 B-VG und § 141 Ärztegesetz 1998 keine Folge zu geben.
Wien, am