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VwGH vom 31.01.2013, 2011/23/0191

VwGH vom 31.01.2013, 2011/23/0191

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/29A, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/472.416/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Dem im Oktober 1990 geborenen Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde erstmals mit ein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt. Er lebte ab diesem Zeitpunkt bei seinem Vater, dem nach der Scheidung der Eltern des Beschwerdeführers im Jahr 1993 die Vormundschaft über diesen übertragen worden war, und der damaligen österreichischen Ehefrau des Vaters in Wien. Nach der Scheidung des Vaters von der österreichischen Staatsbürgerin im Jänner 2002 wurde dem Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt, die zuletzt bis verlängert wurde. Am stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB und des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, wovon ein Teil in der Dauer von 18 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

Der Beschwerdeführer war zwischen und gemeinsam mit einem Mittäter und zwei strafunmündigen Personen in das Lager eines Unternehmens eingebrochen und hatte mehrere Waren (Autoradios, Uhren, Radiorekorder, Haarschneidemaschinen, TV-Apparate) im Gesamtwert von unter EUR 3.000,-- gestohlen. Am hatten der Beschwerdeführer und ein strafunmündiger Mittäter Bargeld in der Höhe von EUR 6,-- geraubt, wobei der Mittäter ein Messer verwendet hatte. Am selben Tag hatten der Beschwerdeführer und der genannte Mittäter einem Jugendlichen Bargeld geraubt, wobei sie dem Jugendlichen nachgelaufen waren, der Beschwerdeführer diesem ein Bein gestellt hatte, sodass er zu Sturz gekommen war, der Beschwerdeführer ihn am Aufstehen gehindert sowie der Mittäter EUR 25,-- und der Beschwerdeführer EUR 200,-- aus der Geldbörse des Tatopfers entnommen hatten. Am hatten der Beschwerdeführer und der strafunmündige Mittäter auf ein weiteres Tatopfer eingeschlagen, es in eine Mauernische gedrängt und Geld verlangt. Das Tatopfer hatte jedoch kein Geld bei sich.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der mit dem Urteil vom verhängte unbedingte Strafteil im Ausmaß von sechs Monaten - nachdem bereits in der Hauptverhandlung auf Antrag ein Strafaufschub zum Zwecke des Schulabschlusses gewährt worden war - dahingehend nachträglich gemildert, dass er unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Gestützt auf das genannte strafgerichtliche Urteil vom und die zugrunde liegenden Tathandlungen erließ die belangte Behörde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde unter anderem aus, der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen bestünden zu seinem Vater, mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebe, sowie zu einer mit ihrer Familie in Wien lebenden Schwester. Weitere Bindungen bestünden zu "diversen Halbgeschwistern", bei denen es sich um Kinder des Vaters aus verschiedenen Beziehungen handle. Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, zur Sicherung des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, gerade wenige Jahre in Österreich aufhältig sei und im jugendlichen Alter in derartigem Ausmaß straffällig werde, lasse seine außerordentliche Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Eine zugunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose sei nicht möglich gewesen, weil der seit seinen Taten bzw. der Verurteilung verstrichene Zeitraum des Wohlverhaltens (größtenteils während der Probezeit) dafür angesichts der Schwere der Straftaten nicht hinreiche. Dies sei auch nicht durch das Berufungsvorbringen zu relativieren, wonach der Beschwerdeführer den Kontakt zum alten Freundeskreis abgebrochen und sich zum Erwerb der Externistenmatura eingeschrieben habe. Der Beschwerdeführer habe nämlich die Maturaschule seit Juni 2008 nicht mehr besucht und keine Zulassungsprüfung abgelegt. Vielmehr gehe er - jedoch ohne Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz - seit einer Beschäftigung nach.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, die familiären Bindungen des Beschwerdeführers (im Bundesgebiet) seien keinesfalls "unter zu bewerten". Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer längst volljährig sei und auf Grund des schwerwiegenden strafbaren Verhaltens seine ihm insgesamt zuzurechnende Integration keinesfalls jenes Ausmaß erreiche, welches die Dauer seines bisherigen Aufenthaltes indizieren würde. Auch die unrechtmäßig ausgeübte Beschäftigung vermöge seine Interessen nicht zu stärken. Es sei auch nicht aktenkundig, dass einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimat unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden. Dass der Beschwerdeführer dort keinerlei soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte mehr hätte, sei nicht behauptet worden und auch nicht anzunehmen, weil der Beschwerdeführer dort bis zu seinem zehnten Lebensjahr gelebt habe, obwohl dem in Österreich lebenden Vater die Vormundschaft zugekommen sei. Das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet sei zwar erheblich, aber nicht so gewichtig, dass demgegenüber das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten in den Hintergrund zu treten hätte.

Mangels sonstiger, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände bestehe auch keine Veranlassung, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Bereits das in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) erstattete Vorbringen führt diese zum Erfolg. Der Beschwerdeführer verweist auf seinen "fast zehnjährigen" Aufenthalt in Österreich und bringt vor, hier sozial vollkommen integriert zu sein und mit seinem Vater im gemeinsamen Haushalt zu leben. Die belangte Behörde habe nicht entsprechend berücksichtigt, dass das Strafgericht auch den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen habe. Er besuche Jugendzentren, gehe sportlichen Aktivitäten nach und halte die Bewährungshilfetermine pünktlich ein. Es bestehe ein geregeltes Leben innerhalb der Familie und des Freundeskreises. Die dreijährige Probezeit sei bereits abgelaufen.

Die - zum Teil mit der Ausübung von körperlicher Gewalt verbundenen - Straftaten des Beschwerdeführers dürfen keineswegs verharmlost werden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sämtliche Straftaten vom Beschwerdeführer im Alter von 14 Jahren begangen wurden. Auch der unbedingt verhängte Strafteil wurde schließlich bedingt nachgesehen. Der Beschwerdeführer hat sich seit der Begehung der Straftaten - bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides über einen Zeitraum von fast fünf Jahren -

wohlverhalten und - entgegenstehende Feststellungen der belangten Behörde liegen nicht vor - auch die Bewährungshilfeauflagen eingehalten. Seit mehr als neun Jahren hält sich der Beschwerdeführer rechtmäßig in Österreich auf. Er hat hier ab seinem zehnten Lebensjahr die Schule besucht und die Hauptschule sowie das Polytechnikum positiv abgeschlossen. Im Bundesgebiet bestehen maßgebliche familiäre Bindungen zu seinem Vater, mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebt, zu einer Schwester und zu mehreren Halbgeschwistern.

Entgegen den behördlichen Erwägungen kann ohne nähere Feststellungen nach einer mehr als neunjährigen Abwesenheit des Beschwerdeführers von seiner Heimat nicht ohne weiteres vom dortigen Bestehen sozialer oder familiärer Anknüpfungspunkte ausgegangen werden. Insbesondere könnte der im angefochtenen Bescheid erwähnte Umstand, dass der Beschwerdeführer erst in seinem zehnten Lebensjahr seine Heimat verlassen und zu seinem Vater nach Österreich gezogen sei, auch gegen die Annahme sprechen, dass nach wie vor familiäre Bindungen in der Türkei bestehen.

Vor allem aber legte die belangte Behörde ihrer Interessenabwägung unzutreffend zu Grunde, dass der Beschwerdeführer zu diesem Thema kein Vorbringen erstattet habe. Vielmehr hat er jedoch bereits in seiner Stellungnahme vom unter anderem darauf hingewiesen, dass er in der Türkei keine Familie mehr habe. Überdies teilte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom in Beantwortung einer entsprechenden behördlichen Anfrage mit, dass keinerlei Kontakt mehr zu seiner Mutter und zu deren Familie bestehe und neben dem Vater auch die väterlichen Großeltern in Österreich lebten.

Trotz der Schwere der Straftaten erweist sich das verhängte Aufenthaltsverbot sohin angesichts des im Alter von 14 Jahren gesetzten Fehlverhaltens, das nur zu einer Verurteilung, deren Probezeit abgelaufen ist, geführt hat, sowie im Hinblick auf die dargelegten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, wo er sich seit mehr als neun Jahren rechtmäßig aufhält, und das Fehlen konkreter familiärer Anknüpfungspunkte im Heimatland als unverhältnismäßig (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0282).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das den zuerkannten Betrag übersteigende Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschbeträgen der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am