VwGH vom 02.06.2016, Ro 2015/08/0030

VwGH vom 02.06.2016, Ro 2015/08/0030

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Höhl, über die Revision des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger in Wien, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W123 2009534- 1/10E, betreffend Aufnahme in den Erstattungskodex (weitere Partei: Bundesminister für Gesundheit, Stubenring 1, 1010 Wien; mitbeteiligte Partei: L GmbH in W, vertreten durch die Gillhofer Plank Rechtsanwälte GesBR in 1010 Wien, Herrengasse 6- 8/3/5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei beantragte mit Schriftsatz vom die Aufnahme der von ihr vertriebenen Arzneispezialität "Selincro 18mg Filmtabletten" (mit dem Wirkstoff Nalmefen) in den gelben Bereich des Erstattungskodex. Dabei stufte sie die Arzneispezialität gemäß § 23 Abs. 2 Z 7 der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g ASVG - VO-EKO ("Mit der beantragten Arzneispezialität ist die erstmalige medikamentöse Behandlung einer Erkrankung möglich, welche bisher nichtmedikamentös behandelt wurde.") und gemäß § 24 Abs. 2 Z 6 VO-EKO ("Die beantragte Arzneispezialität hat einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für die Mehrzahl der Patienten/Patientinnen, welche für die Behandlung mit dem beantragten Mittel in Frage kommen, im Vergleich zu therapeutischen Alternativen.") ein. Die Aufnahme wurde zu einem Fabriks-/Depotabgabepreis von EUR 25,91 (Packung a 7 Stück) und EUR 50,98 (Packung a 14 Stück) sowie mit folgender Verwendung beantragt:

"RE I, OPII - Zur Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet, bei denen keine körperlichen Entzugserscheinungen vorliegen und für die keine sofortige Entgiftung erforderlich ist. Die Behandlung darf nur bei Patienten eingeleitet werden, deren Alkoholkonsum sich 2 Wochen nach einer initialen Untersuchung weiterhin auf einem hohen Risikoniveau befindet. Eine Weiterverordnung ist möglich, wenn der Patient ein Trinktagebuch führt. Wenn zwei Monate lang keine dauerhafte Reduktion der Trinkmenge gegenüber dem Behandlungsbeginn erzielt wird, ist Selincro® abzusetzen."

Mit dem Antrag wurden zwei klinische Studien (klinische Studie 1 und 2) vorgelegt. Nachgereicht wurde das Konsensus-Statement der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) und der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) "Alkoholkrankheit - State of the Art 2013".

2 Mit Schriftsatz vom teilte der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger - die nunmehr revisionswerbende Partei - der mitbeteiligten Partei mit, dass auf Grund der Aktenlage die Möglichkeit bestehe, eine vom Antrag abweichende Entscheidung zu treffen. Dabei ging der Hauptverband davon aus, dass die Arzneispezialität nicht unter § 23 Abs. 2 Z 7 VO-EKO, sondern nur unter § 23 Abs. 2 Z 5 VO-EKO ("Die beantragte Arzneispezialität hat einen neuen Wirkstoff einer im Erstattungskodex angeführten Wirkstoffgruppe mit einheitlich definiertem Wirkprinzip.") falle. Außerdem sei eine Zuordnung gemäß § 24 Abs. 2 VO-EKO nicht möglich. Davon ausgehend seien die Wirtschaftlichkeit und damit die Voraussetzungen für die Aufnahme in den gelben Bereich des Erstattungskodex nicht gegeben.

3 Die mitbeteiligte Partei nahm dazu mit Schriftsatz vom Stellung und wies darauf hin, dass der von der zuständigen Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) erlassene Bescheid, der ein positives Nutzen-Risikoprofil für Selincro bestätigt habe, Bindungswirkung für den Hauptverband entfalte. Entgegen der Einschätzung des Hauptverbandes entsprächen die durchgeführten Post-hoc Subgruppenanalysen dem "State of the Art". Es sei nicht nachzuvollziehen, warum der Hauptverband auf der Abstinenz als einzigem Therapieziel beharre, wenn der derzeitige Stand der Medizin auch das Therapieziel der "Reduktion des schädlichen Alkoholgebrauchs" verfolge. Für das im Antrag näher genannte Therapieziel "zur Reduktion des Alkoholkonsums" stünden keine im Erstattungskodex angeführten Alternativen zur Verfügung. Es gebe daher kein Vergleichsprodukt im Sinne der VO-EKO.

4 Die vom Hauptverband sodann befasste Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) kam in ihrer Empfehlung vom zum Ergebnis, dass der im Antrag angegebene Innovationsgrad gemäß § 23 Abs. 2 Z 7 VO-EKO nicht zutreffe. Die Tatsache, dass Nalmefen für ein intermediäres Ziel auf dem Weg zur Abstinenz, die Reduktion des Alkoholkonsums, zugelassen sei, könne nicht als Rechtfertigung für eine Einstufung nach § 23 Abs. 2 Z 7 VO-EKO herangezogen werden, die Nalmefen die "erstmalige medikamentöse Behandlung einer Erkrankung" zuerkenne. Zutreffend sei daher eine Einstufung nach § 23 Abs. 2 Z 5 VO-EKO. Nalmefen werde zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit verwendet. Zur Behandlung dieser Erkrankung seien mehrere Arzneispezialitäten im Erstattungskodex angeführt. Das antragstellende Unternehmen habe keine Präparate zum Vergleich mit der Schlüsselstärke herangezogen. Jedoch würden drei näher genannte, im grünen Bereich des Erstattungskodex angeführte Arzneispezialitäten mit dem Wirkstoff Naltrexon ebenfalls zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit eingesetzt und seien vom Wirkmechanismus her gut mit Nalmefen vergleichbar.

Die im Antrag angegebene Fallgruppe § 24 Abs. 2 Z 6 VO-EKO sei nicht nachvollziehbar. Zur näheren Begründung dieser Ansicht setzte sich die HEK mit den drei im EPAR (European Public Assessment Report) zu Selincro enthaltenen Studien (zwei 6 Monats- und eine 12Monats-Studie) auseinander. Sie ging auch auf den vom antragstellenden Unternehmen der EMA zur Unterstützung seiner Argumentation, der klinische PatientInnennutzen von Selincro sei gegeben, vorgelegten "Alcohol Consumption Modelling Report" ein und erörterte die gegenteilige Ansicht im EPAR.

Im von der mitbeteiligten Partei am nachgereichten Konsensus-Statement "Alkoholkrankheit - State of the Art 2013" werde behauptet, im Gegensatz zu Naltrexon sei in der Therapie mit Nalmefen die Abstinenz nicht das Ziel. In der Fachinformation von Selincro werde jedoch unter Punkt 4.4. festgestellt, dass die Reduktion des Alkoholkonsums ein intermediäres Ziel auf dem Weg zur Abstinenz sei. Übergeordnetes Ziel bleibe somit die Abstinenz.

5 Zusammenfassend sei ein klinisch relevanter "PatientInnennutzen" von Nalmefen in den prospektiven, randomisierten Studien nicht nachgewiesen worden.

Eine Post-hoc-Analyse sei eine statistische Auswertung, die zu Studienbeginn nicht vorgesehen gewesen sei. Auf diese Weise diene sie der Hypothesengenerierung. Derart gewonnene Hypothesen müssten in einer neuen Studie überprüft werden, da durch die nachträgliche Hypothesenaufstellung auch zufällige Ergebnisse als signifikant ausgewiesen werden könnten. Eine Post-hoc Subgruppenanalyse könne daher die Hypothese begründen, dass (auch nach zwei Wochen) schwerer betroffene PatientInnen stärker von Nalmefen profitierten. Der tatsächliche Nachweis des PatientInnennutzens in dieser PatientInnengruppe bzw. die Ermittlung der Größe eines allfälligen klinisch relevanten PatientInnennutzens sollte daher in einer prospektiv geplanten Studie von geeignetem Design erfolgen.

6 Weiters habe die Antragstellerin keine valide Evidenz vorgebracht, ab welchem Ausmaß eine Alkoholreduktion (g/Tag) von klinisch relevantem Nutzen sei. Es fehle überdies ein Nachweis eines günstigen Einflusses von Selincro auf harte klinische Endpunkte.

Selincro sei nicht vorrangig für PatientInnen bestimmt, deren Therapieziel eine sofortige Abstinenz sei. Vielmehr sei es laut Fachinformation von Selincro das intermediäre Ziel, den Alkoholkonsum auf dem Weg zur Abstinenz zu reduzieren. In diesem Kontext sei jedoch nicht nachgewiesen worden, dass Abstinenz unter Verwendung von Selincro (in Kombination mit der in der Fachinformation geforderten psychosozialen Unterstützung, die auf eine Reduktion des Alkoholkonsums ziele) zumindest gleich schnell bzw. zumindest gleich erfolgreich erreicht werde wie bei direktem Anstreben der Abstinenz mit geeigneten psychosozialen Maßnahmen und, falls erforderlich, medikamentöser Unterstützung (mehrere Arzneispezialitäten im EKO). Eine Zuordnung gemäß § 24 Abs. 2 VO-EKO sei daher nicht möglich.

Dass es keine therapeutischen Alternativen im Erstattungskodex gebe, sei nicht nachvollziehbar. Ungeachtet der exakten Zieldefinition (Abstinenz sofort versus Abstinenz später versus intermediäre Alkoholreduktion) hätten alle genannten Vergleichsprodukte den gleichen Wirkmechanismus, ähnliche Effekte und dienten alle der Behandlung der Alkoholabhängigkeit.

7 Die beantragte Verwendung werde aus medizinischer Sicht nicht akzeptiert, da kein nachvollziehbarer Nachweis eines "PatientInnennutzens" für Nalmefen bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit vorgelegt worden sei. Eine Aufnahme von Nalmefen in den Erstattungskodex auf Basis der vorgelegten Datenlage sei daher nicht zweckmäßig. Die HEK spreche sich somit gegen eine Aufnahme der Arzneispezialität Selincro in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex aus.

Die vorgelegte pharmakoökonomische Studie beruhe aus medizinischer Sicht nicht auf validen medizinisch-therapeutischen Angaben. Da, wie ausgeführt, eine Zuordnung gemäß § 24 Abs. 2 VO-EKO nicht möglich sei, fehle die Voraussetzung für die Festlegung der Fallgruppe nach § 25 Abs. 2 VO-EKO. Ohne positive medizinische Bewertung könne aber die Wirtschaftlichkeit (unabhängig vom Fabriksabgabepreis) nicht gegeben sein. Die Wirtschaftlichkeit der beantragten Arzneispezialität sei somit mangels positiver medizinischer Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben.

8 Der Hauptverband erließ schließlich den Bescheid vom , mit dem er den Antrag auf Aufnahme der Arzneispezialität Selincro 18 mg Filmtabletten in den Erstattungskodex (gelber Bereich) gemäß § 27 Abs. 1 VO-EKO abwies und die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex (roter Bereich) strich. Zur Begründung wurden die Argumente aus der Stellungnahme der HEK herangezogen.

9 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie erneut auf die Maßgeblichkeit ("Vorgreiflichkeit") der Zulassungsentscheidung der EMA hinwies und die Meinung vertrat, dass richtigerweise ein Patientennutzen für Selincro durch die im Verfahren vorgelegten Unterlagen bewiesen sei. Derzeit sei nur Selincro als pharmakotherapeutischer Ansatz zur Behandlung von Alkoholkranken mit dem Ziel der Reduktion des Alkoholkonsums zugelassen. Aus den im Verfahren vorgelegten Unterlagen erkenne die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP), dass Selincro eine therapeutische Innovation für jene Patienten darstelle, die keine abstinenzorientierte Therapie verfolgen könnten. Selincro sowie der Therapieansatz "Reduktion des Alkoholkonsums" entsprächen dem Stand der Wissenschaft.

Weiters habe die Zulassungsbehörde EMA eine Subgruppen-Analyse (Post hoc) für Patienten, die aus Sicht der EMA von Selincro profitierten, vorgeschlagen. Die Ansicht des Hauptverbandes, wonach diese Analyse lediglich der Hypothesengenerierung diene, stehe im Widerspruch dazu. Es sei vielmehr durchaus üblich, sich bei der Zulassung auf Empfehlung der EMA auf Post-hoc Subgruppenanalysen zu stützen. Daher sei nicht nachvollziehbar, warum diese Vorgangsweise ausgerechnet für Selincro nicht zulässig sein sollte, andere Produkte aber sehr wohl aufgrund solcher Studiendaten in den Erstattungskodex aufgenommen worden seien. Außerdem habe der Hauptverband das Ermittlungsverfahren generell und insbesondere zur Frage des Patientennutzens für Selincro sehr einseitig zu Lasten der mitbeteiligten Partei gestaltet. Mit den für sie günstigeren Sachverhaltsmomenten habe er sich, wenn überhaupt, nur teilweise und in nicht nachvollziehbarer Weise beschäftigt. Dem Bescheid fehle jedes objektive Abwägen der wechselseitigen Argumente.

Die mitbeteiligte Partei schloss der Beschwerde eine 22-seitige Stellungnahme von Univ. Doz. Dr. M. vom zur Bewertung des klinischen Nutzens von Selincro (Wirkstoff Nalmefen) sowie ein dreiseitiges Statement der ÖGPP vom zur Ablehnung der Aufnahme von Selincro 18 mg Filmtabletten in den Erstattungskodex an.

10 In seiner Stellungnahme vom beantragte der Hauptverband, unter gleichzeitiger Vorlage der Verwaltungsakten, mit ausführlicher Begründung die Abweisung der Beschwerde.

11 Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine mündliche Verhandlung durch, in der der Hauptverband eine zweiseitige Stellungnahme von Dr. B. vom vorlegte und diese kurz zusammenfasste. Die mitbeteiligte Partei korrigierte in der Verhandlung die Einstufung des Medikaments im Rahmen der pharmakologischen Evaluation auf § 23 Abs. 2 Z 5 VO-EKO ("Die beantragte Arzneispezialität hat einen neuen Wirkstoff einer im Erstattungskodex angeführten Wirkstoffgruppe mit einheitlich definiertem Wirkprinzip.") sowie die Einstufung im Rahmen der medizinisch-therapeutischen Evaluation auf § 24 Abs. 2 Z 3 VO-EKO ("Die beantragte Arzneispezialität hat einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für eine Untergruppe von Patienten/Patientinnen, welche für die Behandlung mit dem beantragten Mittel in Frage kommen, im Vergleich zu therapeutischen Alternativen."). Weiters bestätigte der Hauptverband, dass Grund der Ablehnung nicht das Therapieziel "Reduktion der Trinkmenge", sondern die methodischen Mängel gewesen seien.

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, warum im Rahmen des Prüfverfahrens der Vergleich zu therapeutischen Alternativen nicht durchgeführt oder gefordert worden sei, führte der Hauptverband im Wesentlichen aus, dass schon das eigene Dossier des Produktes solche Mängel aufgewiesen habe, dass die Experten der HEK sogar gegen Placebo zu keiner positiven Bewertung gekommen seien; der Nutzen habe nicht quantifiziert werden können. Eine direkte Vergleichsstudie - versus Naltrexon - habe es nicht gegeben und somit wäre auch ein indirekter Vergleich, der methodisch schon schwierig sein könne, in diesem Fall nicht zweckmäßig gewesen. Der Gutachter Univ. Doz. Dr. M. nahm zu den vom Hauptverband vorgebrachten Kritikpunkten an der Methode der behandelten Studie wie folgt Stellung (Wiedergabe aus dem Verhandlungsprotokoll):

"Suchtkranke Menschen sind eine schwierig zu untersuchende Population. Hohe Verlustraten sind häufig zu beobachten. 80% erfolgreiche Studienteilnahme ist ein wünschenswertes Ziel, ist aber nicht immer zu erreichen. Das Nichterreichen der 80% macht die Studie für sich nicht notwendigerweise ungültig. Der Umgang mit diesen fehlenden Daten folgt auch wissenschaftlichen Prinzipien. Diese Daten werden nicht einfach erfunden, sondern es gibt Methoden hinter denen Annahmen stehen. Da man nicht weiß, welche Annahme richtig ist, verwendet man mehrere dieser Methoden. So auch hier. Das Expertengremium (Anmerkung: der EMA Zulassungsbehörde) hat beschlossen, dass diese Sensitivitätsanalysen die Wirksamkeit bestätigen."

12 Mit dem angefochtenen Beschluss vom behob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des Hauptverbands und verwies die Sache gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an diesen zurück (Spruchpunkt A.). Unter Spruchpunkt B. erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

13 In der Begründung führte es unter der Überschrift "Feststellungen" Folgendes aus:

"Der Senat des Bundesverwaltungsgerichtes kommt zu dem Schluss, dass die belangte Behörde den Antrag auf Aufnahme des Präparates Selincro nicht mit weitreichender Sorgfalt geprüft und eine nicht nachvollziehbare Entscheidung - Ablehnung des Antrags auf Aufnahme des Erstattungskodex - getroffen hat. Die belangte Behörde hat sich beim Prüfverfahren weitgehend auf formal statistische Überlegungen beschränkt, hat das Prüfverfahren vorzeitig beendet, ohne sich auf das Gesamtumfeld der Behandlung der Patienten mit problematischem Alkoholkonsum im Hinblick auf therapeutische Alternativen einzulassen, ohne mögliche positive Aspekte von Nalmefen zu berücksichtigen und ohne den von ihr selbst vorgeschlagenen Vergleich mit Naltrexon einzufordern. Im Umfeld einer medikamentösen Therapiegruppe, in der seit mehr als 15 Jahren kein neuer Wirkstoff und kein neues pharmakotherapeutisches Therapiekonzept zugelassen wurde, und in dem dringender Handlungsbedarf besteht (Handbuch Alkohol Österreich 2011, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit; S 3 Leitlinie ‚Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen', herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland AWMF-Register Nr. 076-001, Stand ), ist ein differenzierter Zugang und eine neuerliche Prüfung der Erstattung von Selincro notwendig."

14 Im Anschluss daran finden sich unter dem Titel "Beweiswürdigung" folgende Ausführungen:

"Der Sachverhalt ergibt sich schlüssig aus dem Verfahrensakt bzw. den Stellungnahmen der Parteien. Bei der Beweiswürdigung haben sich gegen die Echtheit und Richtigkeit der vorliegenden Unterlagen keine Bedenken ergeben."

15 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht zu Spruchpunkt A. Folgendes aus:

"Zu den Aufgaben des Hauptverbandes iS des § 31 Abs. 2 Z 1 ASVG gehört nach § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich.

Zu den Voraussetzungen für die Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Erstattungskodex gehört daher neben dem Vorliegen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung u.a. auch, dass ihre Anwendung einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung annehmen lässt. Diese Voraussetzungen sind vom Hauptverband im Verfahren zur Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Erstattungskodex zu prüfen.

In diesem Sinne stellt der VfGH in seinem Erkenntnis vom zu B 446/05 ua unter Punkt 4.1. der Entscheidungsgründe fest, dass


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dem arzneimittelrechtlichen Zulassungsbescheid nur insoweit Tatbestandswirkung zukommt, als nur zugelassene Arzneispezialitäten für die Aufnahme in den Erstattungskodex in Betracht kommen und
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es somit dem Hauptverband obliegt, die Frage des therapeutischen Nutzens einer Arzneispezialität selbständig - aus dem Blickwinkel des § 133 Abs. 2 ASVG (‚Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.') - zu beurteilen.
Ferner hält der VfGH in diesem Erkenntnis fest, dass aus dem Umstand, dass dem Antrag auf Zulassung stattgegeben wurde, nicht folgt, dass die Frage der Wirksamkeit einer Arzneispezialität im Verfahren betreffend ihre Aufnahme in den Erstattungskodex eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstellt und daher vom Hauptverband nicht abweichend vom arzneimittelrechtlichen Zulassungsbescheid beurteilt werden dürfe.
Soweit die mitbeteiligte Partei ausführt, dass es beim zitierten VfGH-Erkenntnis ,lediglich um die (zusätzliche) Ökonomieprüfung gehe', so sind ihr die oben zitierten Feststellungen des VfGH entgegenzuhalten. Darin werden Obliegenheiten des Hauptverbandes festgehalten, die sich nicht nur auf eine ,Ökonomieprüfung' beschränken."
16 Nach Wiedergabe des § 28 Abs. 4 VwGVG führte das Bundesverwaltungsgericht sodann aus:
"Im Sinne dieser Bestimmung wird die belangte Behörde bei Erlassung eines neuen (geänderten) Bescheids folgende Aspekte zu berücksichtigen haben:
Der Senat hat sich mit den Argumenten, die im Rahmen des Zulassungsverfahrens von Selincro vorgebracht wurden, auseinandergesetzt und kommt zum Schluss dass - in Übereinstimmung mit der für Selincro erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen (Zulassung) nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 - für die in der Fachinformation definierte PatientInnengruppe ein klinisch relevanter Nutzen gegeben ist.
Zur Feststellung des klinisch relevanten Nutzens von Selincro verweist der Senat auf die Bewertung durch das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP, Ausschuss für Humanarzneimittel) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Die vom CHMP zu Rate gezogene Psychiatry Scientific Advisory Group (SAG) kommt zu folgender im European Public Assessment Report (EPAR) auf Seite 53 wiedergegebenen Schlussfolgerung:
,The SAG confirmed that, however modest, the effect size of NMF (Nalmefen) was clinically meaningful. Additionally, the SAG recognised the validity of the
post-hoc analysis defining the target population. Whilst it was acknowledged that post-hoc analyses are not ideal, it was stated that they are commonly used in clinical trials for psychiatric drugs, given the high dropout rates encountered in these populations. The SAG also acknowledged that the reduction in alcohol consumption is an appropriate goal in a subgroup of alcohol dependent patients with high or very high drinking risk level (HDRL, VHDRL) without physiological signs of withdrawal and not requiring any immediate detoxification procedure.'
Der Senat schließt sich dieser Feststellung an.
Ob man Subgruppenanalysen für die Definition eines therapeutischen Nutzens akzeptiert, hängt vom Erkrankungsbild und vom aktuellen Standard der Medizin ab. Zur Post-hoc Subgruppenanalyse gibt es noch keine gültigen europäischen Richtlinien (Guidelines), sondern nur einen Entwurf (EMA/CHMP/539146/2013, 23 January 2014, Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), Guideline on the investigation of subgroups in confirmatory clinical trials, Draft), sodass im Rahmen der Zulassung Ermessensentscheidungen zu treffen waren. Selbst Univ.-Prof. Dr. B., dessen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung am von der belangten Behörde vorgelegt wurde und der die angefochtene Entscheidung der belangten Behörde grundsätzlich nachvollziehen kann, räumt ein, dass ‚das Pendel derzeit wieder mehr in Richtung von Expertenentscheidungen weg von formalen (statistischen) Kriterien auszuschwingen scheint. Hier ist die Idee der individualisierten Medizin ein Anstoß, Subgruppen mehr Augenmerk zu geben ....'
Der Senat folgt der Argumentation des CHMP, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit fehlenden Daten, die LOCF (last observation carried forward)-Analyse anzuwenden, die einen signifikanten Vorteil für Nalmefen gegenüber Placebo ergeben hat, und nicht wie die belangte Behörde argumentiert, die BOCF (baseline observation carried forward)-Analyse. Die LOCF ist aus zweierlei Gründen gerechtfertigt: erstens, da für die Mehrzahl der PatientInnen der Alkoholkonsum vor dem Ausscheiden aus der Studie stabil oder abnehmend war, und zweitens, da die PatientInnen, die in Schlüsselstudie 1 (6 Monats-Studie (12014A) (Mann et al. 2013) nach der 6-monatigen aktiven Behandlungsphase an der 4-wöchigen verblindeten Run-out Phase teilnahmen, nach dem Switch von Nalmefen auf Placebo den niedrigen Alkoholkonsum ohne Anstieg beibehielten (...). Die Annahme der belangten Behörde, dass die Studienteilnehmer/innen nach dem Drop-out aus der Studie in ähnlichem Ausmaß weitertranken wie vor Studienbeginn, wird durch diese Studie nicht gestützt.
Die Bewertungen angesehener nationaler Institutionen anderer EU-Mitgliedstaaten kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Im Folgenden wird auf die Bewertungen von Selincro durch das britische NICE (National Institute for Health and Care Excellence), das deutsche IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) und den Gemeinsamen Bundesausschuss (das höchste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands), und der französischen Bewertungsagentur HAS (Haute Autorite de Sante) eingegangen.
NICE hat einen dokumentierten und erstattungswürdigen PatientInnennutzen für Selincro anerkannt, d.h. eine Erstattung im Rahmen des britischen Gesundheitssystems ist vorgesehen.
Aus den veröffentlichten Bewertungen von Selincro durch das deutsche IQWIG und den Gemeinsamen Bundesausschuss ist ebenfalls ersichtlich, dass das Anwendungsgebiet für Selincro, ‚Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet', anerkannt wurde. Als zweckmäßige Vergleichstherapie wurde Naltrexon herangezogen und bei der Bewertung des Zusatznutzens wurde anhand eines indirekten Vergleichs mit Naltrexon zwar festgestellt, dass ein ‚Zusatznutzen nicht belegt' ist. Das bedeutet aber, dass der klinische Nutzen von Nalmefen selbst nicht in Frage gestellt, sondern dass kein Zusatznutzen zu Naltrexon festgestellt wurde. In Deutschland wurde entschieden, Selincro unter bestimmten Voraussetzungen zu erstatten (siehe Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über ein Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage III Nr. 2 - Alkoholentwöhnungsmittel).
Das Transparenzkomittee der französischen HAS sah einen bescheidenen Nutzen und einen geringen Zusatznutzen von Nalmefen. Es wurde empfohlen, unter bestimmten Voraussetzungen Selincro zu erstatten, mit einer Reevaluierung nach einem Jahr.
Die belangte Behörde hat als Ergebnis der pharmakologischen Evaluation (§ 23 VO-EKO) als therapeutische Alternative den Wirkstoff Naltrexon bezeichnet, ohne jedoch den Vergleich von der Beschwerdeführerin zu fordern, und das Verfahren ohne Bewertung nach § 24 VO-EKO, somit vorzeitig, abgebrochen. Betrachtet man nämlich publizierte Daten von Naltrexon, so sieht man, dass klinische Studien zu Naltrexon im Vergleich mit Placebo hinsichtlich der Reduktion des Alkoholkonsums bzw. Verhinderung eines Rückfalls keinesfalls ,bessere' Daten, als sie für Nalmefen vorliegen, erbrachten: (...)
Somit kann die Effektgröße von Naltrexon als bestenfalls ,moderat' in Bezug auf Reduktion des Risikos für einen Rückfall zum Alkoholkonsum, und als ,nicht unterschiedlich zu Placebo' in Bezug auf Reduktion des Risikos der Rückkehr zum Trinken eingestuft werden. Die Autoren der Metaanalyse betonen, dass eine Naltrexon-Behandlung nur unter Einschluss unterstützender Maßnahmen wie psychosozialen Support, Anhaltung zur Therapietreue und Management der Nebenwirkungen Sinn machen kann. Unterstützende Maßnahmen, die auch für Nalmefen notwendig sein werden. Zusammenfassend spricht sich der Senat daher dafür aus, die Aufnahme von Selincro in den Erstattungskodex neuerlich zu prüfen."
17 Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass es "an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt".
18 Gegen diesen Beschluss richtet sich die ordentliche Revision des Hauptverbandes (der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht), die dem Verwaltungsgerichtshof mit den Verfahrensakten und der von der mitbeteiligten Partei erstatteten Revisionsbeantwortung vorgelegt worden ist. Die mitbeteiligte Partei hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere schriftliche Äußerung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 1. Der Revisionswerber führt unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG aus, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob dem Bundesverwaltungsgericht die Befugnis zustehe, den Ermessensspielraum, der dem Hauptverband als der den Bescheid erlassenden Behörde gesetzlich eingeräumt sei, anstelle der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde selbst auszuüben und diese in ihrer Ermessensentscheidung zu korrigieren, obwohl das Ermessen im Rahmen des Gesetzes ausgeübt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht sei lediglich dazu befugt, nachträglich zu überprüfen, ob die belangte Behörde im Rahmen des ihr gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums agiert habe, und dürfe nur dann korrigierend einschreiten, wenn die erstinstanzliche Behörde diesen Ermessensspielraum überschritten habe. Es habe die Zuständigkeit, zu prüfen, ob Ermessen richtig (im Sinn des Gesetzes) ausgeübt worden sei, sei aber nicht berechtigt, sein Ermessensergebnis an die Stelle jenes der vor ihm belangten Behörde zu setzen.

In den Revisionsgründen wird ergänzend dazu insbesondere die mangelhafte Begründung des angefochtenen Beschlusses gerügt. Außerdem werden verschiedene Mängel der rechtlichen Beurteilung konkretisiert: So habe die mitbeteiligte Partei in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht den verfahrenseinleitenden Antrag entgegen § 351h Abs. 4 ASVG eingeschränkt, indem der pharmakologische Innovationsgrad unter § 23 Abs. 2 Z 5 VO-EKO statt - wie ursprünglich - unter § 23 Abs. 2 Z 7 VO-EKO und der medizinisch-therapeutische Nutzen unter § 24 Abs. 2 Z 3 statt - wie ursprünglich - unter § 24 Abs. 2 Z 3 VO-EKO subsumiert worden sei; das Bundesverwaltungsgericht habe seiner rechtlichen Beurteilung diese unzulässige Einschränkung zugrunde gelegt. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts könne auch nicht von einem "vorzeitigen Abbruch" des erstinstanzlichen Verfahrens die Rede sein: Gemäß § 351c Abs. 3 ASVG habe der Antragsteller pharmakologische, medizinisch-therapeutische und gesundheitsökonomische Unterlagen vorzulegen, auf Grund deren der Hauptverband beurteilen könne, inwieweit ein wesentlicher therapeutischer Nutzen oder eine wesentliche therapeutische Innovation vorliege. Das Gesetz ordne hier also eine das antragstellende Unternehmen treffende Darlegungs- und Beweislast an. Ein Antrag könne vom Hauptverband abgelehnt werden, wenn der Antragsteller nicht durch ausreichend verlässliche Unterlagen nachweise, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Erstattungskodex erfüllt seien. Unzutreffend seien auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der LOCF-Analyse (wird näher ausgeführt); gerade bei der Behandlung dieser komplexen Frage, für deren Beantwortung fundierte medizinische, pharmakologische und statistische Kenntnisse erforderlich seien, zeige sich deutlich, weshalb die Beurteilung des therapeutischen Nutzens "den Spezialisten der HEK und des Hauptverbandes im Rahmen des eingeräumten Ermessensspielraums vorbehalten" sei und in Form eines bestimmten, in der VO-EKO geregelten Verfahrens erfolgen müsse. Zusammenfassend führt der revisionswerbende Hauptverband aus, dass er seine Entscheidung auf Basis der Studienlage zur gegenständlichen Arzneispezialität getroffen habe. Dabei seien deutliche Mängel in den Studien offensichtlich geworden, die eine Quantifizierung eines PatientInnennutzens nicht ermöglichten. Dies sei unter Anwendung des aktuellen Standes der Wissenschaft der Evidence Based Medicine ausführlich und nachvollziehbar begründet worden. Der Hauptverband habe daher sein Ermessen nachvollziehbar ausgeübt und seinen Ermessensspielraum nicht überschritten.

20 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

21 2. Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 130 Abs. 3 B-VG liegt - von hier unbeachtlichen Ausnahmen abgesehen - Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Die Entscheidung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme in den Erstattungskodex ist, wie sich insbesondere aus § 351d Abs. 1 ASVG ("im Rahmen des ihm nach diesem Bundesgesetz eingeräumten Ermessens") ergibt, eine Ermessensentscheidung des Hauptverbandes. Die rechtmäßige Ausübung dieses Ermessens setzt voraus, dass der Hauptverband die einzelnen gesetzlich festgelegten und durch die VO-EKO konkretisierten Kriterien - insbesondere betreffend den pharmakologischen Innovationsgrad, den medizinisch-therapeutischen Nutzen und die Wirtschaftlichkeit - ordnungsgemäß festgestellt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0017).

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seiner Rechtsprechung zu Art. 130 Abs. 2 B-VG idF vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 betont, dass die Ermessensübung einer - nach der alten Rechtslage unmittelbar bei ihm selbst angefochtenen - letztinstanzlichen Verwaltungsbehörde nur dann als rechtswidrig erkannt werden könne, wenn diese nicht "im Sinne des Gesetzes", also nicht im Sinne der im Gesetz festgelegten Kriterien der Ermessensübung entschieden habe. Im Hinblick auf diese Einschränkung seiner Befugnis habe der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der im Gesetz festgelegten Kriterien (noch) eine vertretbare Lösung gefunden habe oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden müsse, d. h. ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/08/0244, mwN). Bei Ermessensentscheidungen wie der vorliegenden ist die Behörde, wie bereits erwähnt, verpflichtet, in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Überlegungen und Umstände insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und für die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/10/0236, mwN).

23 Diese auf Art. 130 Abs. 2 B-VG aF gestützte Überlegung ist angesichts des Art. 130 Abs. 3 B-VG auf die Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen durch ein Verwaltungsgericht zu übertragen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/11/0106).

24 Es war demnach Aufgabe des Verwaltungsgerichtes zu überprüfen, ob sich die Versagung der Aufnahme der beantragten Arzneispezialität in den gelben Bereich des Erstattungskodex durch den Hauptverband als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erwies. Ist dies der Fall, so ist die Beschwerde - ohne dass das Verwaltungsgericht befugt wäre, in eine eigene Ermessenentscheidung einzutreten - abzuweisen.

Erst wenn sich die behördliche Ermessensübung im Ergebnis als nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt erwiesen hätte - was insbesondere auch der Fall wäre, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden - wäre das Verwaltungsgericht befugt gewesen, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 28 Abs. 2 VwGVG) eigenes Ermessen zu üben. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst wäre nach § 28 Abs. 4 VwGVG vorzugehen gewesen (vgl. dazu erneut das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0063, Punkt 2.6.1. der Entscheidungsgründe).

25 3. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses ist derart mangelhaft, dass schon dieser Umstand zu seiner Aufhebung zu führen hat. Sie lässt grundlegende rechtsstaatliche Anforderungen an die Begründung von gerichtlichen Entscheidungen gänzlich vermissen (zu den im Vergleich zur UHK geltenden höheren Begründungsstandards für das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach den §§ 351c ff ASVG und der VO-EKO vgl. Grabenwarter/Fister , Das neue Rechtsmittelverfahren in Angelegenheiten des Erstattungskodex, RdM 2014/51, Heft 2, S. 60).

26 Das Bundesverwaltungsgericht gliedert seine Entscheidung zwar mittels Überschriften formal in "Feststellungen", "Beweiswürdigung" und "Rechtliche Beurteilung". Unter der Überschrift "Feststellungen" finden sich jedoch keine Sachverhaltsfeststellungen, sondern es wird zusammengefasst die Meinung des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf den Bescheid des Hauptverbandes kundgetan. Ebenso findet auch - entgegen der entsprechenden Überschrift - keine Beweiswürdigung statt.

27 Unter der Überschrift "Rechtliche Beurteilung" nimmt das Bundesverwaltungsgericht dann ausführlich zur wissenschaftlichen Methodik bei der Erstellung von klinischen Studien Stellung; dabei handelt es sich aber um eine Frage, die im vorliegenden Zusammenhang nicht Teil der rechtlichen Beurteilung, sondern in erster Linie der Tatsachenfeststellung ist und nicht ohne spezifischen Sachverstand geklärt werden kann. Außerdem werden Bewertungen durch ein Gremium der EMA und weiterer "angesehener nationaler Institutionen anderer EU-Mitgliedstaaten" wiedergegeben, ohne dass ersichtlich wäre, inwieweit diese Bewertungen für eine gesetzmäßige Entscheidung über die Aufnahme in den Erstattungskodex maßgeblich sein könnten. Die "rechtliche Beurteilung" mündet abschließend darin, dass sich der Senat dafür "ausspricht", die Aufnahme von Selincro in den Erstattungskodex neuerlich zu prüfen. Eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Voraussetzungen für die getroffene Entscheidung - sei es im Hinblick auf die materiellen Bestimmungen betreffend die Aufnahme in den Erstattungskodex, sei es im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Vorgangsweise gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG - fehlt im angefochtenen Beschluss jedoch fast gänzlich.

28 Für eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 4 VwGVG wäre konkret aufzuzeigen gewesen, welche Ermittlungen vom Hauptverband noch vorzunehmen sind. Das kann selbstverständlich nicht losgelöst von den anzuwendenden materiellen und formellen Normen erfolgen: So hätte das Bundesverwaltungsgericht etwa auf die das antragstellende Unternehmen treffenden Mitwirkungspflichten im Verfahren vor dem Hauptverband (vgl. insbesondere § 22 VO-EKO) und auf die Unzulässigkeit von Antragseinschränkungen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 351h Abs. 4 ASVG) Bedacht nehmen müssen. Hätte sich vor diesem Hintergrund herausgestellt, dass die Ermittlungen des Hauptverbandes ausreichend waren, so wären vom Bundesverwaltungsgericht (nur) noch die Beweiswürdigung und - anhand des dafür geltenden eingeschränkten Maßstabes - die Ermessensübung zu prüfen gewesen; lediglich im Fall einer fehlerhaften Beweiswürdigung bzw. einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmissbrauchs wäre das Bundesverwaltungsgericht zu einer abändernden Entscheidung gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG berechtigt (und verpflichtet) gewesen.

29 4. Das Fehlen einer nachvollziehbaren gesetzmäßigen Begründung hindert indes eine Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

30 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

31 Ein Aufwandersatz findet nicht statt, weil der Hauptverband selbst Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist. Wien, am