VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0181
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des C in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/211.656/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (belangte Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am nach Österreich gelangt. Auf Grund des am darauf folgenden Tag gestellten Asylantrages habe der Beschwerdeführer bis zu der am erfolgten Zurückziehung seiner gegen den erstinstanzlichen negativen Bescheid des Bundesasylamtes vom erhobenen Berufung über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 verfügt.
Am habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin B. geheiratet. Diese habe bei ihrer am erfolgten Vernehmung gestanden, sowohl mit dem Beschwerdeführer als auch zuvor mit einem anderen indischen Staatsangehörigen eine Scheinehe eingegangen zu sein.
In weiterer Folge - so die belangte Behörde - sei gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom ein auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 FPG gestütztes, für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
Dieses Aufenthaltsverbot sei mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom behoben worden.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom sei der vom Beschwerdeführer am gestellte und auf seine Ehefrau bezogene Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen worden.
Obwohl der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Aufenthaltsehe mit seiner österreichischen Ehefrau bestreite, bestehe auf Grund der Aktenlage, insbesondere der am erfolgten niederschriftlichen Vernehmung von B., der dringende Verdacht, dass die Ehe aus dem alleinigen Zweck geschlossen worden sei, dem Beschwerdeführer einen Zugang zum Arbeitsmarkt und einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, jedoch die Eheleute zu keiner Zeit ein Familienleben geführt hätten. Der Beschwerdeführer habe auch am in einem beim Landeshauptmann von Wien anhängigen Verfahren betreffend einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 NAG angegeben, zum aktuellen Zeitpunkt mit seiner Lebensgefährtin, einer polnischen Staatsangehörigen, im gemeinsamen Haushalt zu leben.
In ihren rechtlichen Erwägungen hielt die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer seit der Zurückziehung seiner Berufung im Asylverfahren und dem "Widerruf" der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Da er auch später nicht in den Besitz eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels gelangt sei, lägen die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG vor.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG durchgeführten Interessenabwägung ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer noch immer mit der österreichischen Staatsbürgerin B. verheiratet sei, jedoch nach eigenen Angaben derzeit mit einer polnischen Staatsangehörigen in Lebensgemeinschaft wohne. Zur "offenbaren Scheinehegattin" würden aktuell keine familiären Beziehungen behauptet. Seit sei der Beschwerdeführer laufend als Arbeiter beschäftigt.
Im Hinblick auf seinen mehrjährigen, jedoch zuletzt seit über vier Jahren unrechtmäßigen inländischen Aufenthalt und auf die behauptete Lebensgemeinschaft mit der polnischen Staatsangehörigen sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das "Privat-, Familien- bzw. Berufsleben" des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff erweise sich jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens und Arbeitsmarktes - als dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe sowohl die angeblichen familiären Beziehungen zur österreichischen Ehefrau als auch seine Beziehung zur nunmehrigen polnischen Lebensgefährtin zu einem Zeitpunkt begründet, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei er nicht in der Lage, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren.
Der Beschwerdeführer habe seine gesamte Kindheit im Heimatland verbracht und vor seiner Einreise nach Österreich sieben Jahre im elterlichen Betrieb als Landarbeiter gearbeitet. Er habe auch nicht behauptet, dass er seine sozialen Kontakte zu seinen im Heimatland aufhältigen Eltern bereits abgebrochen hätte. Auch seine berufliche Integration sei schon dadurch als relativiert anzusehen, dass er über keinen für die aus fremdenrechtlicher Sicht legale Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit erforderlichen Aufenthaltstitel verfüge.
Mangels sonstiger, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe auch keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im September 2009 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
Unstrittig verfügt der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel.
In der vorliegenden Beschwerde weist der Beschwerdeführer allerdings unter Bezugnahme auf seine Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin B. darauf hin, dass er als Angehöriger eines "EU-Bürgers" bis zum Inkrafttreten der Bestimmungen des NAG am in Österreich Niederlassungsfreiheit genossen habe. Dem ist zu entgegnen, dass - auch wenn Fremde im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 als Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers (und somit als begünstigte Drittstaatsangehörige) einen Niederlassungsbewilligungsantrag im Inland stellen durften - zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts eine konstitutiv wirkende Niederlassungsbewilligung erforderlich war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0411, mwN). Im Übrigen gibt es weder einen Hinweis darauf noch wurde ein Vorbringen des Inhalts erstattet, dass B. von ihrem im Unionsrecht begründeten Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Die Richtlinie 2004/38/EG ist daher entgegen dem Beschwerdevorbringen auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0127, und den dortigen Hinweis auf die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom , Rs C-256/11, Dereci u.a., Rz 52 ff.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, aber nicht § 86 Abs. 2 FPG iVm § 87 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung - die Beschwerde nennt "§ 86 (1) FPG" - voraus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0458, mwN).
Die belangte Behörde hat daher zutreffend den - hier maßgeblichen - Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG als erfüllt erachtet.
Das in der Beschwerde als "parallel laufend" erwähnte Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits rechtskräftig negativ beendet (vgl. den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom ). Weder dieser Antrag noch der weitere, auf § 43 Abs. 2 NAG gestützte Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" (vgl. dazu § 44b Abs. 3 NAG) begründeten ein Aufenthalts- oder Bleiberecht des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Die Anträge standen der Erlassung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegen.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2011/23/0458, mwN).
Der Beschwerdeführer bringt - unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK -vor, er habe sich im Zeitpunkt der Knüpfung familienrechtlicher Bindungen durch Eheschließung sicher sein können, im Inland einen Aufenthaltstitel zu erlangen, "weshalb auf die Bindungen entsprechend Rücksicht zu nehmen" sei. Ferner führt der Beschwerdeführer aus, die "offensichtlich angestellten Erhebungen in Bezug auf eine (mögliche) Scheinehe" seien ihm im Zuge des Verfahrens nicht vorgehalten worden. Er habe deshalb keine Möglichkeit gehabt, Beweismittel zu benennen, die die Rechtmäßigkeit der Ehe nachzuweisen vermögen.
Damit zeigt der Beschwerdeführer jedoch nicht auf, welche konkreten Beweismittel er zum Nachweis der "Rechtmäßigkeit der Ehe" mit der österreichischen Staatsbürgerin B. im Falle des von ihm vermissten Vorhalts durch die Behörde angeboten hätte, weshalb die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufgezeigt wird. Vielmehr legt die Beschwerde Umstände, aus denen - insbesondere im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - auf ein Familienleben des Beschwerdeführers mit B. geschlossen werden könnte, nicht einmal ansatzweise dar. Im Gegenteil verweist der Beschwerdeführer selbst auf eine seit rund zwei Jahren bestehende Lebensgemeinschaft mit einer polnischen Staatsangehörigen. Angesichts dessen ist es aber nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde allfälligen aus der - von ihr als aufrecht angenommenen - Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin abzuleitenden privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet kein maßgebliches Gewicht zugemessen hat.
Im Hinblick auf das bereits mit rechtskräftig negativ beendete Asylverfahren durfte die belangte Behörde im Rahmen ihrer Interessenabwägung auch berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bei der - unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens gegen Ende des Jahres 2007 erfolgten - Begründung der Lebensgemeinschaft mit einer polnischen Staatsangehörigen nicht darauf vertrauen durfte, sich mit seiner Lebensgefährtin rechtmäßig im Bundesgebiet niederlassen zu können.
Auch unter Berücksichtigung der geltend gemachten familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner polnischen Lebensgefährtin, seines ca. siebeneinhalb Jahre dauernden Aufenthaltes im Bundesgebiet, seiner Unbescholtenheit und seiner beruflichen Tätigkeit in Österreich, die ihm nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde jedoch nur durch den Abschluss einer Aufenthaltsehe ermöglicht wurde, stellen sich die vorliegenden Umstände daher insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung des Beschwerdeführers hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass er mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Soweit er in der Beschwerde unter Hinweis auf das ca. eineinhalb Jahre dauernde Berufungsverfahren vor der belangten Behörde bemängelt, er wäre zur Darlegung "seiner allfälligen Bindungen zu Österreich" zu hören gewesen, legt er erneut nicht dar, auf Grund welcher konkreten Umstände die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG dann zu seinen Gunsten hätte ausgehen müssen.
Zusammenfassend ist es somit fallbezogen nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben angesehen hat.
Auch die Ermessensübung durch die belangte Behörde begegnet keinen Bedenken.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
OAAAE-93124