VwGH vom 29.03.2012, 2011/23/0180

VwGH vom 29.03.2012, 2011/23/0180

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Andreas Duensing, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/362.964/2009, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Wien erließ mit Bescheid vom gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) gegen den Beschwerdeführer, einen mazedonischen Staatsangehörigen, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Der Bescheid wurde dem damals ausgewiesenen Vertreter, Rechtsanwalt Dr. J., am zugestellt.

Mit Schreiben vom teilte der für Dr. J. zum einstweiligen Stellvertreter bestellte Rechtsanwalt Mag. S. der Bundespolizeidirektion Wien mit, dass Dr. J. infolge Rücklegung der Rechtsanwaltsbefugnis (Emeritierung) seit nicht mehr befugt sei, als Vertreter für den Beschwerdeführer einzuschreiten oder für diesen rechtsverbindlich Zustellungen entgegenzunehmen. Auch Mag. S. als einstweiliger Stellvertreter besitze kein Mandat des Beschwerdeführers. Es werde daher um Zustellung des genannten Bescheides an den Beschwerdeführer selbst ersucht.

Die daraufhin von der Bundespolizeidirektion Wien veranlasste Zustellung ihres Bescheides vom an den Beschwerdeführer erfolgte am durch Hinterlegung mit Beginn der Abholfrist am selben Tag.

Mit Anwaltsschriftsatz vom wurde der Bundespolizeidirektion Wien bekanntgegeben, dass der Beschwerdeführer mit der "weiteren Vertretung im Berufungsverfahren" Rechtsanwalt Mag. D. beauftragt habe.

In weiterer Folge beantragte der Beschwerdeführer mit an die Bundespolizeidirektion Wien adressiertem und am zur Post gegebenen Schriftsatz vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und erhob unter einem Berufung gegen den Bescheid vom . Begründet wurde der Wiedereinsetzungsantrag mit dem Vorbringen, der Beschwerdeführer sei im Hinblick darauf, dass die Vertretung durch Dr. J. im fremdenpolizeilichen Verfahren vereinbart gewesen sei und er für diese auch eine Akontozahlung geleistet habe, davon ausgegangen, dass Dr. J. die Berufung gegen den Bescheid vom einbringe. Dem Beschwerdeführer sei nicht bekannt gewesen, dass Dr. J. nicht mehr als Rechtsanwalt tätig bzw. emeritiert sei. Es liege daher ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis vor. Die Einstellung der Tätigkeit als Rechtsanwalt durch Dr. J. und die daher nicht erfolgte Einbringung einer Berufung sei für den Beschwerdeführer nicht vorauszusehen gewesen. Von dem Umstand, dass die Berufung nicht erhoben worden sei, habe der Beschwerdeführer anlässlich seiner persönlichen Vorsprache bei der Behörde am Kenntnis erlangt, weshalb die Frist zur Erhebung des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den, den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 und 2 AVG abweisenden Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom keine Folge.

In ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen zur Darlegung eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses bzw. eines Hindernisses, die Berufung fristgerecht durch ihn bzw. seinen nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreter einzubringen, nicht ausreiche. Es wäre zunächst dem Beschwerdeführer selbst oblegen, anlässlich der an ihn erfolgten Bescheidzustellung mit seinem früheren bzw. seinem nunmehrigen Rechtsvertreter ehestens Kontakt aufzunehmen und die Sachlage zu klären. Weder der Beschwerdeführer noch sein Rechtsvertreter hätten darauf vertrauen können, dass Dr. J. Berufung erhoben habe. Angesichts der an den Beschwerdeführer selbst erfolgten Zustellung des Bescheides sei die Mutmaßung, der Bescheid über das Aufenthaltsverbot sei (auch) an Dr. J. zugestellt worden und dieser habe dagegen Berufung erhoben, nicht gerechtfertigt gewesen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seinem nunmehrigen Rechtsvertreter den Bescheid (offenbar im Original) bei seiner Vorsprache am übergeben habe, hätte Zweifel an den Darstellungen des Beschwerdeführers gegenüber seinem nunmehrigen Rechtsvertreter gerechtfertigt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die vorliegende Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid mit dem Vorbringen, es sei weder für den Beschwerdeführer noch für seinen Rechtsvertreter ersichtlich bzw. nachvollziehbar gewesen, dass Dr. J. nicht mehr als Anwalt tätig und keine Berufung eingebracht worden sei. Auf dem dem Beschwerdeführer von der Behörde zugestellten Aufenthaltsverbotsbescheid seien als Adressat bzw. Zustelladresse die Kanzlei seines früheren Rechtsvertreters Dr. J., der Eingangsstempel der Kanzlei sowie die eingetragene Berufungsfrist ersichtlich gewesen. Auch die im Akt aufliegende Verständigung der Behörde durch den einstweiligen Stellvertreter über die Emeritierung des Dr. J. sei dem Bescheid nicht beigegeben gewesen. Die auf dem Bescheid angemerkte Berufungsfrist habe darauf hingedeutet, dass die Kanzlei Dr. J. jedenfalls die Berufungsfrist in Evidenz habe, diese aber am "" abgelaufen sei.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einer Frist einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/23/0173, sowie den zum insoweit inhaltsgleichen § 46 Abs. 1 VwGG ergangenen hg. Beschluss vom , Zl. 2010/21/0197, jeweils mwN).

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom am durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt wurde und er dabei jene - mit dem Eingangsdatum "" und mit einem handschriftlichen Vermerk über das Ende der Berufungsfrist ("") versehene - Ausfertigung des Bescheides erhielt, die zunächst an Dr. J. übermittelt und vom einstweiligen Stellvertreter Mag. S. an die Behörde zurückgesendet worden war. Ferner steht fest, dass der Beschwerdeführer diesen "Originalbescheid" seinem Rechtsvertreter anlässlich der am erfolgten Vorsprache in dessen Kanzlei übergeben hat.

In dieser Situation hätten vor dem Hintergrund des an berufliche rechtskundige Parteienvertreter anzulegenden strengen Sorgfaltsmaßstabes beim Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zumindest Zweifel an der ihm vom Beschwerdeführer ohne konkretes sachliches Substrat mitgeteilten Information, dieser gehe davon aus, dass Dr. J. für ihn eine Berufung eingebracht habe, entstehen müssen. Die dargelegten Umstände hätten den Rechtsvertreter veranlassen müssen, Nachforschungen zur Frage der Bescheidzustellung anzustellen, und ob von Dr. J. tatsächlich bereits eine Berufung eingebracht worden sei. Dass das Schreiben des einstweiligen Stellvertreters des Dr. J. vom dem an den Beschwerdeführer zugestellten Bescheid nicht beigegeben worden war, ändert daran nichts.

Da der Vertreter des Beschwerdeführers eine diesbezügliche Klärung unterließ, hat er die im Verkehr mit Behörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und auch zumutbare Sorgfalt grob schuldhaft außer Acht gelassen. Dieses Verschulden seines Vertreters ist dem Beschwerdeführer zuzurechnen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa den bereits zitierten hg. Beschluss, Zl. 2010/21/0197, mwN).

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben waren, erweist sich im Ergebnis somit als zutreffend.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am