VwGH vom 09.09.2015, Ro 2015/08/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des Arbeitsmarktservice Salzburg in 5020 Salzburg, Auerspergstraße 67, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. L511 2014254-1/8E, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: M S in E, vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Viktor-Keldorfer-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid (Beschwerdevorentscheidung) vom hat das revisionswerbende Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) den Antrag der Mitbeteiligten vom auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld mangels Erfüllung der Anwartschaft abgewiesen. Die von der Mitbeteiligten vom bis zum bezogene Administrativbzw. Firmenpension erfülle nicht den Tatbestand des § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG und könne die Rahmenfrist (des § 14 Abs. 1 bis 3 AlVG) nicht erstrecken.
2. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht im Spruchpunkt A) 1. diesen Bescheid (Beschwerdevorentscheidung) und 2. den (nach Ansicht des Verwaltungsgerichts durch die Beschwerdevorentscheidung derogierten) Erstbescheid vom gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos behoben.
Die Mitbeteiligte sei vom bis durchgehend erwerbstätig gewesen. Mit Beendigung des Dienstverhältnisses habe sie laut Vereinbarung vom die gesetzliche Abfertigung in Höhe von zwölf Bruttomonatsentgelten, eine freiwillige Abfertigung in Höhe von sechs Bruttomonatsentgelten (sowie eine weitere freiwillige Abfertigung in Höhe von zwei Bruttomonatsbezügen) erhalten. Darüber hinaus habe sie vom bis zum Anspruch auf eine frühestmögliche ASVG-Pension (zum Vertragszeitpunkt der ) eine als Administrativpension bezeichnete Zahlung durch ihren ehemaligen Dienstgeber (14 mal pro Jahr in wertgesicherter Höhe von brutto EUR 2.014,19) erhalten.
Die im Verwaltungsakt erliegende Vereinbarung zwischen der Mitbeteiligten und ihrem Dienstgeber vom lautet auszugsweise:
"2.
Zum Auflösungszeitpunkt erhält der Dienstnehmer neben der gesetzlichen Abfertigung von 12 Bruttomonatsentgelten eine freiwillige Abfertigung in Höhe von 6 Bruttomonatsentgelten sowie eine freiwillige Abfertigung in Höhe von 2 Bruttomonatsbezügen.
(...)
4.
(1) Ab dem wird seitens des Dienstgebers eine Administrativpension in Höhe von brutto EUR 2.014,19 14 x p.a., zuzüglich einer Valorisierung gemäß KVI zum , bezahlt.
(2) Die Administrativpension wird längstens bis zum Erreichen des jeweiligen Anspruches auf eine nach den jeweils gültigen pensionsrechtlichen Bestimmungen frühestmögliche ASVG-Pension (das ist derzeit der ) geleistet.
(3) Die Administrativpension wird analog der gesetzlichen Pension jeweils zum 1.1. eines jeden Jahres valorisiert.
(4) Der Dienstnehmer verpflichtet sich zur termingerechten Antragstellung bei der Pensionsversicherungsanstalt und gleichzeitig zur unverzüglichen Übermittlung des Bescheides über die Zuerkennung an den Dienstgeber.
(5) Der Dienstnehmer verpflichtet sich, sich während der Dauer des Bezuges der Administrativpension nicht arbeitslos zu melden.
5.
(1) Der Dienstnehmer verpflichtet sich, sich ab dem bzw. nach dem Ende der Pflichtversicherung zur freiwilligen gesetzlichen Pensions- und Krankenversicherung auf Basis des Letztbezuges weiterzuversichern. (...)
6.
(1) Bei Antritt der Administrativpension erfolgt beitragsorientiert die Zahlung eines einmaligen Nachschusses in die G. Pensionskasse AG zur Finanzierung der beim Übertritt des Dienstnehmers in die Pensionskasse kalkulierten Arbeitgeberbeiträge.
(2) Ab Erreichung des für den Dienstnehmer nach den jeweils geltenden pensionsrechtlichen Bestimmungen frühestmöglichen Anfallsalters für eine ASVG-Pension sowie unter Berücksichtigung der zur Anwendung gelangenden Pensionskassen-Betriebsvereinbarung, frühestens jedoch nach Ende des Abfertigungszeitraumes, erhält der Dienstnehmer eine Pension aus der G. Pensionskasse AG.
(...)"
Vom bis zur Antragstellung am liege - so das Verwaltungsgericht weiter - keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung vor.
In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, eine freiwillige Abfertigung verlängere die Rahmenfrist um die Dauer ihrer Auszahlung. Unter einer freiwilligen Abfertigung (iSd § 67 Abs. 6 EStG 1988) sei eine Leistung des Arbeitgebers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen, auf die weder aus gesetzlichen noch aus kollektivvertraglichen Regelungen ein Anspruch bestehe. Die Abfertigung nach altem Typus werde stets als ein durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedingtes Entgelt verstanden. Ihr komme am ehesten der Charakter einer Treueprämie zu. Die Abfertigung beinhalte auch Elemente einer Versorgung und Überbrückung sowie einer einmaligen Abschlagszahlung für geleistete Dienste bzw. eines Nachteilsausgleichs für die erfolgte Kündigung. In einem sehr weiten und abstrakten Sinn könne die Abfertigung auch als Beteiligung am Unternehmensgewinn verstanden werden. Die zwischen der Mitbeteiligten und ihrem Dienstgeber vereinbarte Administrativpension beinhalte Elemente der Versorgung und Überbrückung, sodass sie eine freiwillige Abfertigung darstelle und somit die Rahmenfrist um diesen Zeitraum (vom bis zum ) zu verlängern sei.
Da die Mitbeteiligte im Jahr 1986 Karenzurlaubsgeld erhalten habe, handle es sich um eine weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes gemäß § 14 Abs. 2 AlVG. Ausgehend vom Antragszeitpunkt ergebe sich unter Berücksichtigung der Rahmenfristerstreckung im Höchstausmaß von 5 Jahren gemäß § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG eine Rahmenfrist bis einschließlich . In diesem Zeitraum lägen 21,9 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung, weshalb die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz AlVG (28 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung) nicht erfüllt sei. Gemäß § 14 Abs. 2 zweiter Satz AlVG sei die Anwartschaft jedoch auch dann erfüllt, wenn jene gemäß § 14 Abs. 1 AlVG (52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung) erfüllt sei. In dieser Rahmenfrist vom bis zum lägen 74,1 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung vor.
3. Der der Beschwerdevorentscheidung zu Grunde gelegene Erstbescheid vom sei nicht außer Kraft getreten, ihm sei durch die Beschwerdevorentscheidung lediglich derogiert. Durch die ersatzlose Behebung der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 28 Abs. 5 VwGG würde der Erstbescheid wieder aufleben. Daher habe auch dieser gemäß § 28 Abs. 5 VwGG ersatzlos behoben werden müssen.
Es würde der meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte widersprechen, wenn diese darauf beschränkt wären, in Fällen wie dem gegenständlichen lediglich die Beschwerdevorentscheidung zu beheben, wobei die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in der Folge an die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes gebunden wäre. In Konstellationen wie der vorliegenden, in der der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation des zu Unrecht ergangenen Bescheides hergestellt werden könnte, sei daher auch der zu Grunde liegende Erstbescheid vom Verwaltungsgericht ersatzlos zu beheben. Dies habe zur Folge, dass der Antrag der Mitbeteiligten auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom wieder offen und unerledigt sei.
4. Die Revision sei iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil zur Frage, ob eine Administrativpension eine freiwillige Abfertigung darstelle und ob freiwillige Abfertigungen im § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG mitumfasst seien, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestünde. Im Hinblick auf die Entscheidung zu Spruchpunkt A. II. des gegenständlichen Erkenntnisses sei die Revision zulässig, weil zur Frage des rechtlichen Schicksals des Erstbescheides sowie der diesbezüglichen Kompetenz der Verwaltungsgerichte im Hinblick auf das neu geregelte Institut der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestünde.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Revision führt aus, sowohl die Behebung der Beschwerdevorentscheidung als auch die Behebung des Erstbescheides des AMS beruhe auf der irrigen Annahme, dass es sich bei der Administrativpension um eine Abfertigung iSd § 15 AlVG handle. In der Vereinbarung der Mitbeteiligten mit ihrem Dienstgeber sei unter Punkt 2. die gesetzliche und die freiwillige Abfertigung geregelt, während unter Punkt 4. gesondert der Anspruch auf eine Administrativpension eingeräumt werde. Neben der klaren Trennung in der Vereinbarung spreche auch der Auszahlungsmodus (monatlich) gegen eine Abfertigung, die im Regelfall als Einmalbetrag bzw. nur in wenigen Tranchen zur Auszahlung gelange. Auch habe es die Mitbeteiligte entgegen der Vereinbarung mit dem Dienstgeber verabsäumt, für eine entsprechende Selbstversicherung in der Pensionsversicherung zu sorgen, mit der sie die noch fehlenden Versicherungszeiten (für einen früheren Antritt der Pension) erworben hätte.
2. Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG verlängert sich die Rahmenfrist des § 14 Abs. 1 bis 3 AlVG bis zum Höchstausmaß von 5 Jahren um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland eine Abfertigung aus einem Dienstverhältnis bezogen hat. In Lehre und Rechtsprechung ist unbestritten, dass der Erstreckungstatbestand des § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG sowohl bei gesetzlichen als auch bei vertraglichen Abfertigungsansprüchen erfüllt ist (vgl. Krapf/Keul , Rn. 364 zu § 15 AlVG, sowie Frank , Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz 1958 (1962), Anm. 13 zu § 17 AlVG mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2566/1954). Im Übrigen hat § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG an Bedeutung verloren, seitdem der Bezug einer Abfertigung mit BGBl. Nr. 289/1976 ab dem als Ruhenstatbestand iSd § 16 Abs. 2 erster Satz AlVG weggefallen ist (vgl. Frank/Ullrich , Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, 4. Auflage (1984), Anm. 4 zu § 15 AlVG) und der arbeitslose Abfertigungsbezieher sogleich Anspruch auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld geltend machen kann.
Die Mitbeteiligte hat eine gesetzliche und eine freiwillige Abfertigung im Gesamtausmaß von 20 Bruttomonatsentgelten erhalten. Sie hat während dieses Zeitraums (aus eigenem Entschluss, denn die diesbezügliche Vereinbarung bezieht sich erst auf den Zeitraum des Bezugs der Administrativpension) keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend gemacht. Mit der um diese Zeit gemäß § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG erstreckten Rahmenfrist kann die Mitbeteiligte die Anwartschaft iSd § 14 Abs. 2 zweiter Satz iVm § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG nicht erfüllen, weil auch in der um den genannten Zeitraum verlängerten Rahmenfrist keine arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten vorliegen.
Die der Mitbeteiligten ab dem freiwillig gewährten Zahlungen des Dienstgebers in Höhe von EUR 2.014,19 brutto 14 x jährlich stellen in Anbetracht ihrer ausgeprägten pensionsrechtlichen Struktur (vgl. oben die Punkte 4., 5. und 6. der genannten Vereinbarung) keine Abfertigung iSd § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG dar, zumal es sich nicht um einen von vornherein bestimmten Abfertigungsbetrag handelt, der allenfalls in mehreren Teilbeträgen ausbezahlt worden wäre, sondern um monatliche Zahlungen in grundsätzlich unbestimmter Dauer ("längstens bis zum Erreichen des jeweiligen Anspruches auf eine nach den jeweils gültigen pensionsrechtlichen Bestimmungen frühestmögliche ASVG-Pension") und grundsätzlich nicht feststehender Höhe (Valorisierung). Dieses Ergebnis wird noch dadurch untermauert, dass die Mitbeteiligte vereinbarungsgemäß zusätzlich eine freiwillige Abfertigung iSd § 15 Abs. 1 Z 3 AlVG in der Höhe von 20 Bruttomonatsgehältern erhalten hat.
Der Bezug einer solchen freiwillig bzw. vertraglich gewährten "Administrativpension" erfüllt keinen Ruhenstatbestand nach § 16 AlVG. Entsprechend dazu ist in § 15 AlVG für diesen Fall - anders als für den Bezug bestimmter gesetzlicher Pensionen nach § 15 Abs. 2 Z 3 AlVG - keine Verlängerung der Rahmenfrist vorgesehen. Die Unterlassung der Geltendmachung von Arbeitslosengeld nach Punkt 4. Abs. 5 der genannten Vereinbarung ändert daran nichts.
3. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Wien, am