VwGH vom 20.12.2011, 2011/23/0174

VwGH vom 20.12.2011, 2011/23/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/78.998/2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, zog im Oktober 1992 im Alter von acht Jahren mit seiner Familie von Sarajewo nach Wien und ist seither im Bundesgebiet aufhältig. Er besuchte in Österreich die Volksschule, die Hauptschule und einige Monate die Berufsschule. Eine begonnene Elektrikerlehre hat er nicht abgeschlossen. Anfang des Jahres 2004 war er für etwa eineinhalb Monate als geringfügig beschäftigter Angestellter, ferner im Juli 2004 für etwa zwei Wochen sowie vom bis als Angestellter berufstätig.

Am war dem Beschwerdeführer eine unbefristete Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen unselbständiger Erwerb", am wurde ihm eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt worden.

Wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne entsprechende Lenkberechtigung am und am wurde über den Beschwerdeführer rechtskräftig gemäß § 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 3 Z. 1 Führerscheingesetz - FSG zweimal eine Geldstrafe verhängt.

Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs. 1, § 143 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach § 15, § 142 Abs. 1, § 143 zweiter Fall StGB sowie des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfeinhalb Jahren verurteilt.

Der Beschwerdeführer hatte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter am , am und am verschiedenen, nur teilweise ausgeforschten Prostituierten Bargeld geraubt bzw. zu rauben versucht. Unter Verwendung einer Gaspistole wurde dabei einmal ein Betrag in Höhe von ca. EUR 120,-- erbeutet, einmal ist es beim Versuch geblieben. Im drittgenannten Fall wurde - ohne Verwendung einer Waffe - durch Versetzen eines Stoßes und Wegreißen einer Handtasche Bargeld in Höhe von ca. EUR 100,-- erbeutet. Ferner hatte der Beschwerdeführer als Einzeltäter unter Verwendung eines Messers am von einer Prostituierten Bargeld in Höhe von EUR 30,-- erbeutet; bei einer weiteren an diesem Tag verübten Tat ist es beim Versuch geblieben.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf § 60 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die belangte Behörde erachtete auf Grund der dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen und der genannten Verwaltungsübertretungen die Tatbestände des § 60 Abs. 2 Z. 1 und 2 FPG als erfüllt und die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme für gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer sei nicht als "von klein auf im Inland aufgewachsen" anzusehen. Im Hinblick auf das Strafausmaß und die Art der Verurteilung stünden auch die "aufenthaltsverfestigenden" Bestimmungen des FPG dem verhängten Aufenthaltsverbot nicht entgegen.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Nach seinen Angaben habe er vor seiner Inhaftierung eine Lebensgefährtin gehabt. Überdies lebten seine Eltern sowie sein Bruder (am selben Wohnsitz) im Bundesgebiet. Unter Bedachtnahme auf die familiäre Situation und die Absolvierung der Schulpflicht in Österreich sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privat-, Berufs- bzw. Familienleben" des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz fremden Vermögens und der körperlichen Integrität anderer sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Kraftfahrwesens - dringend geboten.

Selbst unter Berücksichtigung einer gewissen spezialpräventiven Wirkung einer Erstverurteilung bzw. der langandauernden Haftverbüßung - so die belangte Behörde weiter - liege das der Verurteilung zu Grunde liegende und mehrfache Verbrechenstatbestände verwirklichende Fehlverhalten nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes eine entscheidungswesentliche Reduzierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr angenommen werden könnte. Die Zeit der Verbüßung der Gerichtshaft könne nicht als solche des Wohlverhaltens gewertet werden. Im Hinblick auf die besonders hohe kriminelle Energie des Beschwerdeführers und seine Gewaltneigung könne eine Zukunftsprognose selbst für den - nicht behaupteten - Fall, dass er während der Gerichtshaft erstmals eine Lehre (Schlosserlehre) erfolgreich absolvieren sollte, nicht positiv ausfallen.

Im Rahmen der gemäß § 66 FPG erforderlichen Interessenabwägung gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Dieser Beurteilung legte die belangte Behörde zu Grunde, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet keine Berufsausbildung vollendet, weise nur geringfügige bzw. kurzfristige Beschäftigungen auf und sei vor seiner Inhaftierung bereits ca. eineinhalb Jahre arbeitslos gewesen.

Auf Grund des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

Schließlich begründete die belangte Behörde, weshalb aus ihrer Sicht das Aufenthaltsverbot unbefristet auszusprechen gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im September 2009 geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat gemäß § 60 Abs. 2 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist (Z. 1) oder mehr als einmal wegen einer Verwaltungsübertretung (u.a.) gemäß § 37 Abs. 3 FSG rechtskräftig bestraft worden ist.

Ausgehend von der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfeinhalb Jahren und der ebenso wenig bestrittenen zweimaligen Bestrafung gemäß § 37 Abs. 3 Z. 1 FSG sind die genannten Alternativen der beiden zitierten Tatbestände des § 60 Abs. 2 FPG im gegenständlichen Fall erfüllt. Vor allem die in kurzen Abständen wiederholten Raubüberfälle zeigen eine hohe Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers. Bei der darauf gegründeten Prognosebeurteilung hat die belangte Behörde aber auch die in der Beschwerde erwähnten Gesichtspunkte - das bisher erlittene Haftübel und die in der Haft begonnene Schlosserlehre - in ausreichendem Maße einbezogen. Ihr ist auch darin beizupflichten, dass ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraumes er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0486, mwN).

Angesichts des dem Beschwerdeführer, der sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach wie vor in Strafhaft befand, vorzuwerfenden gravierenden Fehlverhaltens erweist sich daher vorliegend die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG als gerechtfertigt.

Zu welchen im angefochtenen Bescheid nicht getroffenen Feststellungen die in der Beschwerde geforderten weiteren Erhebungen über das Verhalten des Beschwerdeführers geführt hätten, legt die Beschwerde nicht konkret dar. Sie zeigt daher die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht auf.

Zu beachten ist allerdings, dass dem Beschwerdeführer am - somit im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 - eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt wurde. Gemäß § 11 Abs. 2 lit. A Z. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) gilt diese Niederlassungsbewilligung nach dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes am als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter. Dem Beschwerdeführer kommt daher die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist.

Die belangte Behörde hat die Bestimmung des § 56 FPG nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch zutreffend darauf verwiesen, dass im Hinblick auf das Strafausmaß sowie die Art der Verurteilung "die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen" des FPG dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot nicht entgegenstünden. Angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers "wegen eines Verbrechens" (vgl. § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG) besteht kein Zweifel, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 56 Abs. 1 FPG darstellt. Somit wurde der Beschwerdeführer dadurch, dass die belangte Behörde die Gefährdungsprognose nicht ausdrücklich nach § 56 FPG vorgenommen hat, in keinen Rechten verletzt.

Soweit der Beschwerdeführer weiters vorbringt, er hätte bereits im Jahr 2002 die Möglichkeit gehabt, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen zu bekommen, und damit auf § 61 Z. 3 FPG abstellt, ist ihm zu entgegnen, dass diese Bestimmung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schon deswegen nicht entgegensteht, weil er "wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt" wurde.

Auch die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG durchgeführte Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Sie hat dabei u. a. den langen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, sein familiäres Umfeld, den in Österreich absolvierten Schulbesuch und seine als nur gering zu bewertende berufliche Integration ausreichend berücksichtigt. Das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren darüber hinaus erstattete Vorbringen, der Beschwerdeführer habe - zeitlich nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides - eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und es sei in der Zwischenzeit auch ein gemeinsames Kind zur Welt gekommen, verstößt gegen das Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 erster Satz VwGG) und ist daher unbeachtlich.

Angesichts der innerhalb eines kurzen Zeitraumes erfolgten Begehung mehrerer zum Teil schwerer Raubüberfälle durch den Beschwerdeführer begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (insbesondere zur Verhinderung von strafbaren Handlungen der vorliegenden Art) dringend geboten sei, keinen Bedenken. Die Trennung von seinen Angehörigen sowie allfällige Schwierigkeiten bei der Eingliederung in seinen Heimatstaat hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Die Beschwerde zeigt auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre. Dazu kommt, dass bei einer rechtskräftigen Verurteilung eines Fremden - wie im gegenständlichen Fall - wegen einer in § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG genannten strafbaren Handlung eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0355, mwN).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am