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VwGH vom 09.09.2015, Ro 2015/08/0015

VwGH vom 09.09.2015, Ro 2015/08/0015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision der B D in B, vertreten durch Mag. Simon Mathis, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Marktgasse 24/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. 1403 2101222- 1/4E, betreffend Ausmaß des Arbeitslosengeldes (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Arbeitsmarktservice Bludenz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht das Arbeitslosengeld der Revisionswerberin mit EUR 726,36 monatlich bemessen.

Die Revisionswerberin habe vom 1. Jänner bis Entgelt auf Grund eines (am eingegangenen) Lehrverhältnisses bezogen. Vom bis habe sie von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Übergangsgeld bezogen. Gemäß § 21 Abs. 1 AlVG könnten nur die gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, hier also die Lehrlingsentschädigung (vgl. § 1 Abs. 1 lit. b AlVG) und nicht das Übergangsgeld (nach § 199 Abs. 1 ASVG), maßgeblich sein.

Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob mangels Vorliegens von Entgelt aus arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung auch auf andere Jahresbeitragsgrundlagen (im gegenständlichen Fall: Übergangsgeld gemäß § 199 ASVG) zurückgegriffen werden könne. Es erscheine insbesondere geboten, die Revision zuzulassen, da in der Lehre eine von der historischen Interpretation und von der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes abweichende Meinung (darüber) vertreten werde, wie der Auffangtatbestand des § 21 Abs. 1 AlVG ("mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen") zu interpretieren sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Das Verwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt.

Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden: belangte Behörde) hat von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revisionswerberin bringt vor, § 21 Abs. 1 AlVG könne nur so verstanden werden, dass grundsätzlich die gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, "mangels solcher", also wenn solche Jahresbeitragsgrundlagen nicht vorhanden seien, andere für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherte Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen seien. Die Revisionswerberin sei im maßgeblichen Zeitraum in einem Arbeits-/Ausbildungsverhältnis zur Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt gestanden. Wie ein Lehrling zur Absicherung seiner Grundbedürfnisse während der Lehrzeit eine Lehrlingsentschädigung erhalte, werde bei beruflicher Rehabilitation Übergangsgeld gewährt. In beiden Fällen diene die bezogene Geldleistung der finanziellen Absicherung des Auszubildenden. Wenn eine Lehrlingsentschädigung als Entgelt gewertet werde, sei auch das Übergangsgeld als solches zu werten. Selbst wenn das Übergangsgeld nicht unter den Begriff des Entgelts subsumiert werden könne, seien dennoch die gespeicherten Beitragsgrundlagen aus dem Jahr 2012 zur Errechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes heranzuziehen.

Dieses Vorbringen führt die Revision im Ergebnis zum Erfolg:

§ 21 AlVG in der zeitraumbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 67/2013 lautet:

"§ 21. (1) Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. Liegen die nach den vorstehenden Sätzen heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen nicht vor, so sind jeweils die letzten vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen eines vorhergehenden Jahres heranzuziehen. Durch Teilung des Entgelts der maßgeblichen Jahresbeitragsgrundlagen durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, sowie Zeiten des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung, wenn es für den Arbeitslosen günstiger ist, bleiben bei der Heranziehung der Beitragsgrundlagen außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu vervielfachen. Jahresbeitragsgrundlagen bleiben außer Betracht, wenn diese niedriger als die sonst heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen sind und einen oder mehrere der folgenden Zeiträume umfassen:

1. Zeiträume einer Versicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e (Entwicklungshelfer);

2. Zeiträume einer Versicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 4 (Praktikanten) oder Z 5 (Krankenpflegeschüler) ASVG;

3. Zeiträume des Bezuges von Karenzgeld, Kinderbetreuungsgeld, Kombilohn (§ 34a AMSG) oder Bildungsteilzeitgeld (§ 26a AlVG);

4. Zeiträume der Herabsetzung der Normalarbeitszeit zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Verwandten oder der Begleitung eines schwerst erkrankten Kindes gemäß § 14a oder § 14b des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, oder einer gleichartigen Regelung.

Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung älter als ein Jahr, so sind diese mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. Jahresbeitragsgrundlagen, die Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit enthalten, gelten als Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt. Für Personen, die gemäß § 3 versichert waren, sind die entsprechenden Jahresbeitragsgrundlagen in der Arbeitslosenversicherung heranzuziehen. Bei Zusammentreffen von Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt mit Jahresbeitragsgrundlagen auf Grund der Versicherung gemäß § 3 sind die Gesamtbeitragsgrundlagen heranzuziehen.

(2) Liegen noch keine Jahresbeitragsgrundlagen vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt der letzten sechs Kalendermonate vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes heranzuziehen. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind anteilsmäßig zu berücksichtigen. Durch Teilung des Entgelts der letzten sechs Kalendermonate durch sechs ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Abs. 1 fünfter und sechster Satz ist anzuwenden.

(3) Als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes gebühren täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen. Das monatliche Einkommen ist nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG) zu berücksichtigen.

(4) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt einschließlich eines allenfalls erforderlichen Ergänzungsbetrages mindestens in der Höhe eines Dreißigstels des Betrages, der dem Richtsatz gemäß § 293 Abs. 1 lit. a lit. bb ASVG entspricht, soweit dadurch die Obergrenzen gemäß Abs. 5 nicht überschritten werden, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.

(5) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen mit Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 80 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen ohne Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 60 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.

(6) Eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes des Arbeitsmarktservice ist zur Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes nur heranzuziehen, wenn kein Entgelt aus vorhergehender Beschäftigung vorliegt, das eine Festsetzung nach Abs. 1 ermöglicht, oder dieses niedriger als das für die Bemessung der Beihilfe herangezogene Bruttoentgelt ist. In diesem Fall ist die Beihilfe einem Nettoentgelt gleichzuhalten und der Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ein diesem Nettoentgelt entsprechendes Bruttoentgelt zu Grunde zu legen.

(7) Wird die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld durch Heranziehung von Zeiten im Ausland gemäß § 14 Abs. 5 erfüllt, so gilt für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes:

1. War der Arbeitslose nach seiner Beschäftigung im Ausland mindestens vier Wochen im Inland beschäftigt, so ist das im Inland erzielte Entgelt maßgeblich.

2. War der Arbeitslose nach seiner Beschäftigung im Ausland weniger als vier Wochen im Inland beschäftigt, so ist das Entgelt maßgeblich, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Ausland ausgeübt hat, gleichwertig oder vergleichbar ist.

3. War der Arbeitslose Grenzgänger, so ist das im Ausland erzielte Entgelt maßgeblich.

(8) Hat ein Arbeitsloser das 45. Lebensjahr vollendet, so ist abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt."

Dem § 21 Abs. 1 AlVG ist nicht zu entnehmen, dass unter den "anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen" nur solche zu verstehen wären, die aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt stammen. Der insoweit eindeutige Gesetzestext gibt keinen Anlass, auf die in den Materialien zum Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz 1997 - ASRÄG 1997, BGBl. I Nr. 139, 886 BlgNR 20.GP, Seite 100, wiedergegebenen legistischen Überlegungen bzw. die historische Entwicklung Bedacht zu nehmen.

Dass die "anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen" auch solche sein können, die nicht aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt stammen, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 2012/08/0079, zum Ausdruck gebracht, in dem in einem Fall, in dem von der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse für acht Tage eine Winterfeiertagsvergütung aus einem zu diesem Zeitpunkt schon beendeten Dienstverhältnis gemäß § 13j BUAG gezahlt wurde, die diesbezüglich gespeicherte Jahresbeitragsgrundlage für die Bemessung des Arbeitslosengeldes für maßgeblich erklärt wurde, obwohl auch sie kein Entgelt aus arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung darstellt.

Im Übrigen bringt § 21 Abs. 1 Z 3 AlVG zum Ausdruck, dass es auf nicht aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt stammende Jahresbeitragsgrundlagen ankommen kann, indem er Jahresbeitragsgrundlagen, die Zeiträume des Bezuges von Karenzgeld oder Kinderbetreuungsgeld - beides kein arbeitslosenversicherungspflichtiges Entgelt - umfassen, einem Günstigkeitsvergleich unterwirft.

Der vorliegende Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld wurde am gestellt. Gemäß § 21 Abs. 1 AlVG ist bei Geltendmachung nach dem 30. Juni grundsätzlich das Entgelt des letzten Kalenderjahres (hier: 2012) aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Im Jahr 2012 liegen keine Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt vor. Daher sind andere in diesem Jahr für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherte Jahresbeitragsgrundlagen, im vorliegenden Fall die aus dem Übergangsgeld iSd § 199 Abs. 1 ASVG stammenden, heranzuziehen (vgl. Krapf/Keul , Rn 455 zu § 21 AlVG).

Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wien, am