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VwGH vom 19.01.2017, Ro 2015/08/0014

VwGH vom 19.01.2017, Ro 2015/08/0014

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W164 2003263-1/17E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG (mitbeteiligte Partei: S L, vertreten durch R L, beide in H; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom , HVBA-3027 240673, abgewiesen wird.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom hat die Revisionswerberin den Anspruch der Mitbeteiligten auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege einer nahen Angehörigen (ihrer Schwiegermutter) gemäß § 18b ASVG ab anerkannt.

1.2. In der Folge gab die Mitbeteiligte die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Pflege ab Juli 2012 bekannt.

Die Revisionswerberin sprach daraufhin mit Bescheid vom aus, dass die Selbstversicherung mit ende, da die Arbeitskraft der Mitbeteiligten für die Pflege einer nahen Angehörigen nicht mehr erheblich beansprucht werde.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, ihre Arbeitskraft werde durch die Pflege weiterhin erheblich beansprucht, sie leiste zumindest zwei Stunden täglich für diverse Tätigkeiten.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge und sprach aus, dass die Mitbeteiligte ab bis laufend zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG berechtigt sei.

Das Verwaltungsgericht traf (unter anderem) die Feststellungen, dass die Angehörige von 24-Stunden-Pflegekräften betreut werde, daneben aber auch die Mitbeteiligte Pflegearbeiten an sieben Tagen in der Woche verrichte, wobei die Wochenstundenzahl ihrer Leistungen von bis durchschnittlich 11,8 Stunden und in der Folge durchschnittlich 9 Stunden betragen habe.

Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht (im Wesentlichen), strittig sei lediglich, ob die Arbeitskraft der Mitbeteiligten im Sinn des § 18b ASVG durch die Pflege erheblich beansprucht werde. Dabei stehe der Einsatz von 24-Stunden-Kräften dem Anspruch auf Selbstversicherung nicht entgegen, weil die Pflege nicht von einer Person allein getragen werden müsse. Was das von § 18b ASVG vorausgesetzte zeitliche Ausmaß der Pflegeleistungen betreffe, so könne die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG als Richtschnur herangezogen werden. Vorliegend ergebe sich auf Grund der geleisteten Stundenzahlen bei Abstellen auf den Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte als Rechengröße jeweils ein Betrag über der Geringfügigkeitsgrenze. Folglich werde die Arbeitskraft in einem mehr als geringfügigen Ausmaß beansprucht und sei daher von einer erheblichen Beanspruchung auszugehen.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft vorliege.

3. Die Revision ist zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis der - durch das hg. Erkenntnis am heutigen Tag, Ro 2014/08/0084, begründeten - Rechtsprechung zum Vorliegen einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege widerspricht. Die Revision ist aus dem Grund auch berechtigt.

3.1. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannte, schließt die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Pflege - mag diese auch ein Indiz für die alleinige Vornahme der notwendigen Pflegeleistungen durch die beigezogene Pflegekraft sein - nicht von vornherein aus, dass daneben allenfalls auch die nahen Angehörigen einen Teil der notwendigen Pflegeleistungen verrichten müssen; dafür sind vom Antragsteller besondere Gründe konkret vorzubringen. Auf die Ausführungen im oben genannten Erkenntnis vom heutigen Tag wird verwiesen (§ 43 Abs. 2 VwGG).

3.2. Was unter einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege im Sinn des § 18b ASVG zu verstehen ist, wurde ebenso im oben angeführten Erkenntnis vom heutigen Tag klargestellt (§ 43 Abs. 2 VwGG). Demnach kommt es auf die Anzahl der von der pflegenden Person für den nahen Angehörigen durchschnittlich zu leistenden Pflegestunden an, wobei eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 14 Stunden wöchentlich bzw. ab 60 Stunden monatlich anzunehmen ist. Um welche Verrichtungen im Rahmen der Pflege es sich dabei handelt und welcher Zeitaufwand damit jeweils verbunden ist, ist an Hand der Regelungen des Bundespflegegeldgesetzes und der dazu ergangenen Einstufungsverordnung zu beurteilen (vgl. auch das weitere hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2014/08/0082).

Die - vom Verwaltungsgericht angedachte - Verknüpfung von geleisteten Pflegestunden mit Entgeltbeträgen und ein anschließender Vergleich mit gesetzlichen Schwellenwerten ist für die Definition des Tatbestandsmerkmals der erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft indessen nicht zielführend.

3.3. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen - im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen - Feststellungen wurde bzw. wird die pflegebedürftige Angehörige von 24-Stunden-Kräften betreut, wobei daneben auch die Mitbeteiligte Pflegearbeiten an sieben Tagen in der Woche verrichtet. Die von der Mitbeteiligten geleistete Wochenstundenzahl von durchschnittlich 11,8 Stunden bzw. 9 Stunden erreicht jedoch - unbeschadet der offenen Fragen nach der Notwendigkeit und der zeitlichen Angemessenheit der festgestellten Pflegeleistungen - jedenfalls nicht das für eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft vorauszusetzende zeitliche Ausmaß von durchschnittlich 14 Stunden wöchentlich bzw. ab 60 Stunden monatlich.

Folglich sind die Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG (ab dem ) nicht erfüllt. Der diesbezügliche Anspruch der Mitbeteiligten ist nicht berechtigt.

4. Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie - wie hier - entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt.

Wien, am