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VwGH vom 31.03.2011, 2007/10/0249

VwGH vom 31.03.2011, 2007/10/0249

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der G G in S, bei Einbringung der Beschwerde vertreten durch Mag. Markus Schablinger, Rechtsanwalt in 4690 Schwanenstadt, Stadtplatz 27, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. SO-586753/12-2007-RO/SIN, betreffend Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft nach dem Oberösterreichischen Pflegegeldgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 3 Abs. 4 des Oö. Pflegegeldgesetzes (Oö. PGG) abgelehnt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Ehemann der Beschwerdeführerin habe im Zuge der Familienzusammenführung zugunsten seiner Ehefrau am eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Die notarielle Beglaubigung sei am selben Tag von einem öffentlichen Notar vorgenommen worden. Durch die Unterschrift habe sich der Ehemann verpflichtet, für den Unterhalt und die Unterkunft seiner Ehefrau aufzukommen. Durch diese Verpflichtungserklärung seien auch Kosten für Fürsorgeleistungen und Aufwendungen für medizinische Betreuung erfasst. Auf Grund des Vorliegens der angeführten Verpflichtungserklärung liege eine soziale Härte im gegenständlichen Fall nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Oö. Pflegegeldgesetzes

(Oö. PGG) lauten:

"§ 1

Zweck des Pflegegeldes

Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

§ 3

Personenkreis

(3) Den österreichischen Staatsbürgern sind gleichgestellt:

1. Fremde, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt, oder

2. Fremde, wenn mit ihrem Heimatstaat auf Grund tatsächlicher Übung Gegenseitigkeit besteht, insoweit sie dadurch nicht besser gestellt sind als in ihrem Heimatstaat, oder

3. Fremde, denen gemäß § 3 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. Nr. 8/1992, Asyl gewährt wurde, oder

4. Staatsangehörige der Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).

(4) Das Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft (Abs. 1 Z. 1) kann nachgesehen werden, wenn dies auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.

§ 4

Pflegebedürftigkeit

(1) Das Pflegegeld gebührt bei Zutreffen der Voraussetzungen gemäß § 3, wenn auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde.

(2) Anspruch auf Pflegegeld besteht in Höhe der Stufe 1:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 50 Stunden monatlich beträgt;

Stufe 2:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 75 Stunden monatlich beträgt;

Stufe 3:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 120 Stunden monatlich beträgt;

Stufe 4:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 160 Stunden monatlich beträgt;

Stufe 5:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn ein außergewöhnlicher

Pflegeaufwand erforderlich ist;

Stufe 6:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn

1. zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erforderlich sind und diese regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder

2. die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist;

Stufe 7:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn

1. keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich sind oder

2. ein gleichzuachtender Zustand vorliegt. (Anm: LGBl. Nr. 54/1995)

(3) Bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen ist nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht. (Anm: LGBl. Nr. 54/1995)

(4) Nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfs sind von der Landesregierung durch Verordnung festzulegen. Vor Erlassung der Verordnung ist die Interessenvertretung der behinderten Menschen (§ 49 Oö. Behindertengesetz 1991) zu hören.

Die Verordnung hat insbesondere festzulegen:


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1.
eine Definition der Begriffe 'Betreuung' und 'Hilfe',
2.
Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand, wobei verbindliche Mindestwerte jedenfalls für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind,
3.
verbindliche Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen, wobei der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf."
Die Beschwerde bringt u.a. vor, eine Beurteilung, ob bei der Beschwerdeführerin eine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 Oö. PGG angenommen werden könne, sei keinesfalls allein auf Grund einer Verpflichtungserklärung nach dem Fremdengesetz zu treffen. Vielmehr wäre es notwendig gewesen, Feststellungen über die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin einerseits und ihres Ehemannes andererseits zu treffen, um das Vorliegen sozialer Härte im pflichtgemäßen Ermessensrahmen prüfen zu können.
Voraussetzung für die Leistung eines Pflegegeldes nach § 3 Abs. 1 Z. 1 des Oö. PGG ist, dass der Anspruchswerber die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 bis 4 Oö. PGG sind den österreichischen Staatsbürgern bestimmte Fremde gleichgestellt, zu denen die Beschwerdeführerin nicht gehört. Gemäß § 3 Abs. 4 Oö. PGG kann das Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft (Abs. 1 Z. 1) nachgesehen werden, wenn dies auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.
Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich auf Grund von Bestimmungen in den Pflegegeldgesetzen anderer Bundesländer, die dem § 3 Abs. 4 Oö. PGG vergleichbar sind, bereits wiederholt mit der Frage des Vorliegens einer sozialen Härte zu beschäftigen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/10/0134, vom , Zl. 2008/10/0309 u.a.). Die dort angestellten Erwägungen sind daher auch zur Entscheidung des vorliegenden Falles heranzuziehen. Unter Bedachtnahme auf den Zweck des Pflegegeldgesetzes (§ 1 Oö. PGG) ist eine soziale Härte im Sinne des Gesetzes dann anzunehmen, wenn der durch das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft bedingte Mangel eines Pflegegeldanspruches dazu führen würde, dass der Pflegebedürftige mangels finanzieller Deckung des Pflegeaufwandes die erforderliche Pflege nicht oder nicht im entsprechenden Umfang erhalten könnte. Diese Beurteilung ist anhand der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anspruchswerbers vorzunehmen, wobei es entscheidend auf die Gesamtbeurteilung der erwähnten Verhältnisse ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0334, das zum Wiener Pflegegeldgesetz ergangen ist).
Im angefochtenen Bescheid vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, das Vorliegen einer sozialen Härte sei schon deshalb ausgeschlossen, weil sich der Ehemann der Beschwerdeführerin im Zuge der Familienzusammenführung im Rahmen einer Verpflichtungserklärung verpflichtet habe, für den Unterhalt und die Unterkunft seiner Ehefrau aufzukommen.
Die belangte Behörde hat den Inhalt dieser Verpflichtungserklärung nicht festgestellt, er ist auch den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, sodass darauf im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Offenbar schwebt der belangten Behörde in diesem Zusammenhang vor, dass eine umfassende Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes vorliege. Auch eine derartige Unterhaltsverpflichtung fände aber jedenfalls im tatsächlichen Leistungsvermögen des Ehemannes der Beschwerdeführerin eine faktische Grenze (vgl. die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0251, im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens eines Sozialhilfeanspruchs).
Es trifft daher nicht zu, dass allein der Umstand, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin eine Verpflichtungserklärung unterfertigte, das Vorliegen einer sozialen Härte ausschließt.
Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, Feststellungen zu den wirtschaftlichen, persönlichen und familiären Verhältnissen der Beschwerdeführerin zu treffen, die eine Beurteilung der Frage des Vorliegens einer sozialen Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 Oö. PGG zulassen.
Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am

Fundstelle(n):
VAAAE-93071