VwGH 29.04.2015, Ra 2015/06/0008
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision 1. der A W und 2. des R W, beide in S, beide vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. LVwG- 3/128/4-2014, betreffend Wiederaufnahme eines baurechtlichen Verfahrens (mitbeteiligte Parteien: 1. G S, 2. Ing. R S, beide in S, beide vertreten durch Dr. Sonja Moser, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 4/11; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevertretung der Gemeinde S, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48; weitere Partei: Salzburger Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Gemeinde S hat den revisionswerbenden Parteien zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/06/0087, und auf den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2014/06/0032, verwiesen. Demnach stellten die revisionswerbenden Parteien (als Nachbarn in einem Baubewilligungsverfahren) mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG hinsichtlich des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S vom , mit dem den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien (bauwerbende Parteien) die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses erteilt worden war. Nach Aufhebung des abweisenden Berufungsbescheides durch die Aufsichtsbehörde (erster Vorstellungsbescheid) wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S vom dem Antrag der revisionswerbenden Parteien auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid vom stattgegeben und dem Antrag der mitbeteiligten Parteien auf Genehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde wiederum auf Grund einer Vorstellung der bauwerbenden Parteien mit Bescheid der Salzburger Landesregierung vom aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen (zweiter Vorstellungsbescheid). Dieser zweite Vorstellungsbescheid wurde seinerseits mit dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/06/0087, insoweit aufgehoben, als die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid vom ausgesprochen wurde.
Bereits mit Bescheid vom hatte die Salzburger Landesregierung den Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S vom aufgehoben und das Landesverwaltungsgericht Salzburg (im Folgenden: LVwG) die dagegen von den revisionswerbenden Parteien eingebrachte Vorstellung (nunmehr Beschwerde) mit Erkenntnis vom insoweit abgewiesen, als der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als verspätet zurückgewiesen wurde. Das auf Grund einer Revision der revisionswerbenden Parteien beim Verwaltungsgerichtshof anhängig gewordene Verfahren gegen dieses Erkenntnis vom wurde mit hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2014/06/0032, wegen Klaglosstellung der revisionswerbenden Parteien eingestellt.
Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist nunmehr die neuerliche Entscheidung über die Vorstellung (die nunmehr als Beschwerde zu werten ist) der bauwerbenden Parteien vom gegen den Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S vom , mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Baubewilligung aus dem Jahr 2007 verfügt worden war.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis (vom ) gab das LVwG der Beschwerde der bauwerbenden Parteien Folge und wies im Ergebnis den Antrag der revisionswerbenden Parteien auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S vom als unzulässig zurück. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die revisionswerbenden Parteien in ihrem Schreiben vom Angaben über die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrages gemacht hätten. In ihrem Schreiben vom hätten sie bereits ausgeführt, dass "durch die
falsch eingezeichnete Linie des Urgeländes ... aus einem
oberirdischen ein unterirdisches Geschoß" geworden sei. Daraus folge, dass die revisionswerbenden Parteien bereits zu diesem Zeitpunkt in Kenntnis des von ihnen erst mit geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes gewesen seien. Die Vorlage der ergänzenden Planunterlagen im Rahmen der Verhandlung am habe diese Kenntnis allenfalls nur noch bestätigen können. Mangels Wahrung der (subjektiven) Frist im Sinn des § 69 Abs. 2 AVG sei der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Der Sachverhalt ergebe sich aus dem Akt der vor dem LVwG belangten Behörde. Aus diesem Grund werde gemäß § 44 Abs. 3 Z 4 (gemeint wohl: § 24) VwGVG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung Abstand genommen, weil eine solche eine weitere Klärung der Sach- und Rechtslage nicht erwarten lasse.
Schließlich erklärte das LVwG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der die Abweisung der Vorstellung (nunmehr Beschwerde) beantragt wurde.
Das LVwG legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Die belangte Behörde vor dem LVwG beantragte die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.
Die bauwerbenden Parteien beantragten, der Revision keine Folge zu geben, diese kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen, in eventu eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In ihrer Begründung der außerordentlichen Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG bzw. Art. 133 Abs. 4 B-VG führten die revisionswerbenden Parteien unter anderem das Unterlassen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das LVwG an. Die entscheidungswesentliche Frage, welchen Kenntnisstand die revisionswerbenden Parteien bereits vor Einbringung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gehabt hätten, stelle eine reine Beweisfrage dar. Dazu würden von den Verfahrensparteien unterschiedliche Standpunkte vertreten. Von einer unbestrittenermaßen vollständigen und geklärten Sachlage könne daher nicht ausgegangen werden. Das LVwG hätte daher von Amts wegen eine Verhandlung durchführen müssen.
Bereits auf Grund dieser Ausführungen ist die Revision zulässig; sie ist im Ergebnis auch berechtigt.
§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
"Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom S. 389 entgegenstehen.
(5) ..."
Im gegenständlichen Fall legten die revisionswerbenden Parteien insbesondere in ihrer Äußerung vom , auf die sich das LVwG selbst bezog, ausführlich dar, sie hätten im Rahmen der mündlichen Verhandlung der Baubehörde erster Instanz am erstmals darauf hingewiesen, dass die Einreichpläne unrichtige Höhenangaben enthielten, worauf der beigezogene Sachverständige bei Zutreffen dieser Behauptung eine mögliche Relevanz in Hinblick auf die Anzahl der Geschoße des Bauobjektes zugestanden habe. Darauf seien die Verhandlung unterbrochen, ein Geometergutachten eingeholt, überarbeitete Pläne (Nachweis Urgelände 1:100) vorgelegt und die Verhandlung am fortgesetzt worden.
Im Hinblick auf dieses sachverhaltsbezogene Vorbringen der revisionswerbenden Parteien betreffend den Zeitpunkt, in dem sie Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund bekamen, hätte das LVwG eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/06/0033). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG steht nämlich nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/21/0019). Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch die mündliche Erörterung nicht zu erwarten war, konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Zeitpunkt, zu dem die beschwerdeführenden Parteien Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund erlangten, strittig war. Diese entscheidungswesentliche Frage wäre in der Verhandlung zu klären gewesen.
Sollte sich im Folgeverfahren herausstellen, dass der Wiederaufnahmeantrag fristgerecht gestellt wurde, wird sich das LVwG auch mit den Ausführungen der bauwerbenden Parteien in ihrer Vorstellung vom auseinanderzusetzen haben, dass die Änderung der Rechtsprechung bzw. Konkretisierung derselben keine neue Tatsache im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG darstelle.
Das angefochtene Erkenntnis war daher schon auf Grund der unterlassenen mündlichen Verhandlung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
Angesichts dessen konnte die Durchführung der von den bauwerbenden Parteien beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015060008.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAE-93063