VwGH vom 07.04.2016, Ro 2015/08/0001

VwGH vom 07.04.2016, Ro 2015/08/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W201 2007260-1/4E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG (mitbeteiligte Partei: IA in G; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom , HVBA- 1269 281065, abgewiesen wird.

Das Kostenbegehren der Revisionswerberin wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Die Mitbeteiligte stellte am bei der Revisionswerberin einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen (ihres Vaters) ab dem . 1.2. Die Revisionswerberin sprach mit Bescheid vom aus, dass der Anspruch gemäß den §§ 18b, 44 Abs. 1 Z 18, 76b Abs. 5a und 77 Abs. 8 ASVG ab dem anerkannt werde, dass hingegen eine Berechtigung zur Selbstversicherung für die Zeit vom bis zum nicht gegeben sei.

Die Revisionswerberin führte zur (teilweisen) Antragsabweisung aus, Beiträge zur Selbstversicherung könnten nur für Zeiträume entrichtet werden, die nicht mehr als zwölf Monate vor der Antragstellung gelegen seien.

2.1. Gegen die Antragsabweisung erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht und begehrte, auch die Zeit vom bis zum für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18b ASVG anzuerkennen. Dass gemäß § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG die Selbstversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger rückwirkend für zwölf Monate, für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes hingegen rückwirkend für zehn Jahre möglich sei, verletze den Gleichheitsgrundsatz. Die Mitbeteiligte sei auch niemals auf die mögliche Selbstversicherung hingewiesen worden.

2.2. Die Revisionswerberin entgegnete anlässlich der Aktenvorlage, die Mitbeteiligte habe den Antrag auf Selbstversicherung erst im Jänner 2014 gestellt, sodass der Anspruch ab dem anzuerkennen gewesen sei. Eine Berechtigung für den vorangehenden Zeitraum sei nicht gegeben, könnten doch gemäß § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG Beiträge nur für nicht mehr als zwölf Monate vor der Antragstellung entrichtet werden. Die behauptete Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wäre ausschließlich vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifen.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge, hob den (soweit bekämpften) Bescheid auf und sprach aus, dass die Berechtigung zur Selbstversicherung nach § 18b ASVG bereits ab dem gegeben sei.

3.2. Nach der wesentlichen Begründung sei - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - dem § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG kein Anhaltspunkt zu entnehmen, dass die Selbstversicherung nach § 18b ASVG nur ein Jahr rückwirkend möglich wäre. Vielmehr beginne gemäß § 18b Abs. 2 ASVG die Versicherung mit dem von der Pflegeperson gewählten Zeitpunkt, frühestens mit dem Ersten des Monats, in dem die Pflege aufgenommen werde. Es komme daher auf den gewählten Zeitpunkt an, eine Rückwirkungsbeschränkung sei nicht gegeben.

Auch werde im § 18b Abs. 2 ASVG nicht auf § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG Bezug genommen, diese Vorschrift sei daher im Bereich der Selbstversicherung nach § 18b ASVG nicht anzuwenden. Eine analoge Heranziehung sei aus grundrechtlichen Erwägungen nicht zulässig, gehe es doch um den Zugang zu einem System der sozialen Sicherheit bzw. um civil rights, sodass anspruchshindernde Tatbestände vom Gesetzgeber ausdrücklich zu normieren (gewesen) wären. Auch allfällige Beweisschwierigkeiten bei weitergehender Rückwirkung könnten die Anwendung des § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG nicht rechtfertigen.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Es fehle an einer Rechtsprechung zur Frage, inwieweit eine Selbstversicherung nach § 18b ASVG länger als ein Jahr rückwirkend begehrt werden könne.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts.

Die Revisionswerberin macht geltend, die Regelungen über die freiwilligen Versicherungen seien im Zusammenhalt mit § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG zu sehen. Demnach gelte als allgemeine Regel, dass eine rückwirkende Anerkennung von Beitragszeiten nur innerhalb von zwölf Monaten zulässig sei, sofern nicht eine gesetzliche Ausnahme vorgesehen sei. Als eine solche Ausnahme sei § 18a iVm. § 669 Abs. 3 ASVG ausdrücklich genannt, nicht jedoch § 18b ASVG.

Auch § 18a ASVG, eingeführt durch BGBl. Nr. 609/1987, habe zunächst einen rückwirkenden Erwerb von Beitragszeiten nur für ein Jahr vorgesehen. Erst durch BGBl. I Nr. 3/2013 sei im § 669 Abs. 3 ASVG normiert worden, dass für die Zeit vom bis zum Beitragszeiten von bis zu 120 Monaten nachträglich beansprucht werden könnten. Diese Bestimmung beziehe sich jedoch (neben § 18) nur auf § 18a ASVG, die Vorschrift des § 18b ASVG bleibe offenbar bewusst unerwähnt. Die verschiedenen Regelungen seien auch sachlich begründet, zumal die Zugangskriterien für die Selbstversicherung jeweils andere seien.

In einer Gesamtschau ergebe sich daher, dass die Revisionswerberin in ihrem Bescheid eine Selbstversicherung nach § 18b ASVG zu Recht erst ab dem anerkannt habe.

4.2. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz erstattete eine "Revisionsbeantwortung" und pflichtete den Ausführungen der Revisionswerberin im Wesentlichen bei.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5.1. Der gegenständliche Fall gleicht in Bezug auf den Sachverhalt und die anzuwendende Rechtslage im Wesentlichen jenen Revisionssachen, die vom Verwaltungsgerichtshof mit den Erkenntnissen vom , Ro 2015/08/0022, und vom heutigen Tag, Ro 2014/08/0085, entschieden wurden (auch dort ging es jeweils um die Frage, inwieweit eine Pflegeperson im Rahmen der Selbstversicherung nach § 18b ASVG die rückwirkende Anerkennung von Beitragszeiten gemäß § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG beanspruchen könne).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in den genannten Erkenntnissen - auf deren Entscheidungsgründe verwiesen werden kann (§ 43 Abs. 2 VwGG) - jeweils die Anwendung des § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG auf die Selbstversicherung nach § 18b ASVG bejaht und die damit verbundene zeitliche Begrenzung einer rückwirkenden Anerkennung von Versicherungszeiten im Sinn der allgemeinen Regel auf zwölf Monate (frühestmöglicher Beginn war also jeweils der vor der Antragstellung liegende Monatserste des Vorjahres) klargestellt. Weiters wurde (implizit) auch zum Ausdruck gebracht, dass die im § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG enthaltene Sonderregelung für die Fälle des § 18 bzw. § 18a iVm. § 669 Abs. 3 ASVG auf die Selbstversicherung nach § 18b ASVG nicht anzuwenden ist.

5.2. Im Hinblick darauf ist auch im hier zu beurteilenden Fall die von der Mitbeteiligten beantragte rückwirkende Anerkennung von Beitragszeiten lediglich im Umfang von zwölf Monaten - also beginnend mit als dem der Antragstellung vorangehenden Monatsersten des Vorjahrs - zulässig. Für eine darüber hinausgehende Anerkennung von Beitragszeiten besteht keine Rechtsgrundlage.

5.3. Soweit die Mitbeteiligte verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf den Gleichheitssatz äußerte, ist (wiederum) auf das hg. Erkenntnis Ro 2014/08/0085 zu verweisen (§ 43 Abs. 2 VwGG), dem zufolge in der unterschiedlichen Behandlung der Selbstversicherung nach § 18a und § 18b im § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG keine unsachliche Differenzierung erblickt werden kann. Für die Erhebung eines Gesetzesprüfungsantrags beim Verfassungsgerichtshof bestand daher kein Anlass.

Soweit die Mitbeteiligte bemängelte, sie sei auf die mögliche Selbstversicherung nach § 18b ASVG niemals hingewiesen worden, ist (neuerlich) auf das hg. Erkenntnis Ro 2015/08/0022 zu verweisen (§ 43 Abs. 2 VwGG), wonach auch aus dieser Argumentation für den Standpunkt im gegenständlichen Verfahren nichts zu gewinnen ist.

6.1. Insgesamt war daher aus den aufgezeigten Erwägungen der Revision Folge zu geben.

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG konnte der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst erkennen, weil diese entscheidungsreif war (weitere Ermittlungen waren nicht vonnöten, die rechtliche Beurteilung war auf Grundlage des unstrittigen Sachverhalts möglich) und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis lag.

6.2. Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die Revisionswerberin im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz. Ein solcher kommt auch deswegen nicht in Betracht, weil die Revisionswerberin selbst Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist. Der diesbezügliche Antrag war daher abzuweisen.

Wien, am