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VwGH vom 16.10.2017, Ra 2015/05/0070

VwGH vom 16.10.2017, Ra 2015/05/0070

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision der G B in S, vertreten durch Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Julius Raab-Promenade 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-593/001-2015, betreffend Bauplatzerklärung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Gemeinde S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde St. Pantaleon-Erla hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Antrag vom ersuchte die Revisionswerberin um die Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung zum Neubau einer Mehrzweckhalle samt Krananlage auf dem Grundstück Nr. 654 der KG E.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S (im Folgenden: Bürgermeister) vom wurde der Revisionswerberin gemäß § 14 Z 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BO) die baubehördliche Bewilligung zum Neubau einer Mehrzweckhalle samt Krananlage auf dem Grundstück Nr. 654 nach Maßgabe der vorgelegten Projektunterlagen und unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Gleichzeitig wurde das Grundstück Nr. 654 gemäß § 23 Abs. 3 BO zum Bauplatz erklärt. Weiters wurden der Revisionswerberin Verwaltungsabgaben sowie Barauslagen für die Beistellung eines Sachverständigen vorgeschrieben.

3 Sowohl gegen die Kostenvorschreibung betreffend die Barauslagen für die Erstellung eines schalltechnischen Gutachtens als auch gegen die Erklärung des verfahrensgegenständlichen Grundstückes zum Bauplatz erhob die Revisionswerberin eine Berufung. Begründend führte sie zur Bauplatzerklärung aus, die bewilligte Mehrzweckhalle samt Krananlage sei Teil eines bestehenden landwirtschaftlichen Betriebes und werde landwirtschaftlich genutzt, weshalb die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 3 BO zur Anwendung komme. Nach dieser Bestimmung habe im Rahmen eines land- und/oder forstwirtschaftlichen Betriebes keine Erklärung zum Bauplatz im Rahmen des Baubewilligungsbescheides zu erfolgen, wenn eine Baubewilligung für einen Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder die Errichtung einer großvolumigen Anlage, die jeweils dieser Nutzung diene, erteilt werde.

4 Über Aufforderung durch den Bürgermeister legte die Revisionswerberin mit Schreiben vom ein Betriebskonzept vor. Der landwirtschaftliche Amtssachverständige Dipl.-Ing. P gelangte in seinem Gutachten vom zu dem Schluss, dass die beantragte Mehrzweckhalle mit Krananlage auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück weder einem dort bestehenden noch einem geplanten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, der die in § 19 Abs. 2 und 4 NÖ Raumordnungsgesetz 1994 festgelegten Kriterien erfülle, diene.

5 Mit Bescheiden des Gemeindevorstandes der Gemeinde S (im Folgenden: Gemeindevorstand) jeweils vom wurden die Berufungen der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und der Bescheid des Bürgermeisters vom sowohl bezüglich der Überwälzung der Barauslagen als auch in Bezug auf die Bauplatzerklärung bestätigt. Zur Bauplatzerklärung führte der Gemeindevorstand begründend aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 3 BO nicht erfüllt sei, und verwies dazu auf Ausführungen im Gutachten vom .

6 Die Revisionswerberin erhob gegen beide Bescheide jeweils eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht). In ihrer Beschwerde gegen die Bauplatzerklärung führte die Revisionswerberin im Wesentlichen aus, sie habe am ihr Bauansuchen betreffend die Errichtung einer Mehrzweckhalle auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück ausdrücklich zurückgezogen und diese Erklärung bei der Baubehörde abgegeben. Ein Baubewilligungsverfahren sei ein Antragsverfahren und das Vorliegen eines Antrages sei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens zur Erledigung des Antrages erforderlich. Werde ein Bauansuchen zurückgezogen, entfielen somit die Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Baubewilligung und eine amtswegige Bauplatzerklärung und wäre somit der angefochtene Berufungsbescheid auch noch im Beschwerdeverfahren aufzuheben. Änderungen der Sachlage seien auch im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wurde die Beschwerde der Revisionswerberin betreffen die Bauplatzerklärung als unbegründet abgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass sich die Beschwerde der Revisionswerberin ausschließlich auf die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages stütze und keine darüber hinausgehende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides behaupte. Insbesondere trete die Revisionswerberin der auf das Gutachten vom gestützten Beurteilung gemäß § 23 Abs. 3 BO durch den Gemeindevorstand nicht entgegen. Soweit sich die Revisionswerberin somit ausschließlich auf die Zurückziehung ihres verfahrenseinleitenden Bauansuchens stütze, sei ihr die Rechtskraft dessen positiver Erledigung entgegenzuhalten. Die Revisionswerberin habe den Entscheidungsgegenstand des Gemeindevorstandes derart eingegrenzt, dass das Verfahren zur Erledigung der Baubewilligung bereits mit Ablauf der Rechtsmittelfrist zum Bescheid vom rechtskräftig beendet gewesen sei, weshalb das Schreiben vom keine Zurückziehung des Bauansuchens mehr habe bewirken können.

9 Hingegen sei die Bauplatzerklärung unstrittig nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen erfolgt. Der rechtlichen Beurteilung des Gemeindesvorstandes sei die Revisionswerberin nicht entgegengetreten, weshalb das Verwaltungsgericht auf den Beschwerdepunkt der gleichzeitig mit der Beschwerde erklärten Zurückziehung des Bauansuchens eingeschränkt sei. Diese Zurückziehung habe die bereits rechtskräftige Baubewilligung nicht mehr aus dem Rechtsbestand entfernen können, sodass die rechtskräftige Baubewilligung als "Amtsanlass" zur Bauplatzerklärung im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung unverändert aufrecht sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, dieses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Mangelhaftigkeit des Verfahrens kostenpflichtig aufzuheben.

11 Das Verwaltungsgericht legte die Akten des Verfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision erweist sich angesichts ihres Vorbringens, wonach das Baugrundstück bereits ein Bauplatz sei, was einer neuerlichen Bauplatzerklärung entgegenstehe, als zulässig.

13 Im Revisionsfall war gemäß § 70 Abs. 1 erster Satz NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015, idF LGBl. Nr. 6/2015, die BO, LGBl. 8200-0, in der Fassung LGBl. 8200-23, anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen der BO lauten auszugsweise:

"§ 11

Bauplatz, Bauverbot

(1) Bauplatz ist ein Grundstück im Bauland, das

  1. hiezu erklärt wurde oder

  2. durch eine vor dem baubehördlich bewilligte Änderung von Grundstücksgrenzen geschaffen wurde und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder

  3. 3.durch eine nach dem baubehördlich bewilligte oder angezeigte Änderung von Grundstücksgrenzen ganz oder zum Teil aus einem Bauplatz entstanden ist und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder

  4. 4.am bereits als Bauland gewidmet und mit einem baubehördlich bewilligten Gebäude oder Gebäudeteil, ausgenommen solche nach § 15 Abs. 1 Z 1, § 17 Abs. 1 Z 9 und § 23 Abs. 3 letzter Satz, bebaut war.

  5. ..."

  6. "§ 23

  7. Baubewilligung

  8. ...

(3) Wenn der Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder die Errichtung einer großvolumigen Anlage (einzelner Silo oder Tank oder Gruppe solcher Behälter mit

mehr als 200 m3 Rauminhalt, Tiefgarage, Betonmischanlage oder dgl.) auf einem Grundstück oder Grundstücksteil im Bauland geplant ist, das bzw. der

o noch nicht zum Bauplatz erklärt wurde und

o auch nicht nach § 11 Abs. 1 Z. 2 bis 4 als solcher gilt,

hat die Erklärung des betroffenen Grundstücks oder Grundstücksteils zum Bauplatz in der Baubewilligung zu erfolgen. Wenn eine Voraussetzung hiefür fehlt, ist die Baubewilligung zu versagen.

Dies gilt nicht im Falle einer Baubewilligung für ein Gebäude vorübergehenden Bestandes oder für ein Gebäude für eine öffentliche Ver- und Entsorgungsanlage mit einer bebauten Fläche bis zu 25 m2 und einer Gebäudehöhe bis zu 3 m.

Dies gilt weiters nicht für Grundstücke im Rahmen eines dort bestehenden land- und/oder forstwirtschaftlichen Betriebes, wenn eine Baubewilligung für einen Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder die Errichtung einer großvolumigen Anlage, die jeweils dieser Nutzung dienen, erteilt wird.

..."

14 Die Revisionswerberin verweist zunächst auf die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde S vom , welche am in Kraft getreten sei und mit welcher das gegenständliche Grundstück als Bauland gewidmet worden sei, und bringt vor, dass der Bauplatzerklärung die Regelung des § 11 Abs. 1 Z 4 BO entgegenstehe. Demnach sei ein Bauplatz ein Grundstück im Bauland, das seit dem (richtig: 1989) ununterbrochen als Bauland gewidmet und am (richtig: 1989) mit einem baubehördlich bewilligten Gebäude oder Gebäudeteil bebaut gewesen sei. Die Tatsache der Bebauung der gegenständlichen Liegenschaft zum ergebe sich eindeutig aus dem gegenständlichen Bauakt. Hier sei auf das Bauansuchen bzw. den Einreichplan im Zusammenhalt mit dem Gutachten des Amtes der NÖ Landesregierung vom zu verweisen. Der Flächenwidmungsplan bzw. die ihm zugrunde liegende Verordnung wäre als allgemeine Norm von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen. Insoweit das Verwaltungsgericht damit argumentiert habe, dass die Baubewilligung bereits dem Rechtsbestand angehöre, wodurch ein Tatbestand für die amtswegige Erklärung zum Bauplatz bestanden habe, habe es den vorerwähnten Sachverhalt übersehen. Die Parzelle 654 sei bereits zum Zeitpunkt des Bauansuchens Bauplatz gewesen und habe daher nicht ein weiteres Mal zum Bauplatz erklärt werden dürfen. Die rechtsrichtige Beurteilung des amtsbekannten Sachverhaltes sei für die Revisionswerberin von existenzieller Bedeutung, weil von der Bauplatzerklärung auch die Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe abhänge.

15 Dazu ist Folgendes auszuführen:

16 Dem Revisionsfall liegt unbestritten ein Bauvorhaben im Sinn des § 23 Abs. 3 BO zugrunde. In der dieses Bauvorhaben betreffenden Baubewilligung wäre das gegenständliche, im Bauland befindliche Grundstück Nr. 654 gemäß § 23 Abs. 3 erster Satz BO dann zum Bauplatz zu erklären gewesen, wenn dieses noch nicht zum Bauplatz erklärt wurde und auch nicht nach § 11 Abs. 1 Z 2 bis 4 BO als solcher gilt. Zum Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen, welche kumulativ erfüllt sein müssen, hat das Verwaltungsgericht keinerlei Feststellungen getroffen, weil es die Ansicht vertreten hat, seine Prüfungskompetenz sei auf das Beschwerdevorbringen betreffend die Zurückziehung des Bauansuchens beschränkt.

17 Mit dieser Rechtsansicht setzt sich das Verwaltungsgericht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das Verwaltungsgericht, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung grundsätzlich die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen. Für die Verwaltungsgerichte kommt das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG nicht bloß subsidiär (etwa insbesondere unter Aussparung von "Detailfragen") zum Tragen. Dieses im Grunde des § 17 VwGVG auch für die Verwaltungsgerichte maßgebliche Prinzip ist jedenfalls in den der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht unterliegenden Fällen im Rahmen der von diesen Gerichten zu führenden Ermittlungsverfahren zu beachten (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/04/0007).

18 Da das Verwaltungsgericht somit auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde, war ihm die Beurteilung der Frage, ob die in § 23 Abs. 3 BO erster Satz genannten Voraussetzungen für die Erklärung des gegenständlichen Grundstückes zum Bauplatz erfüllt sind oder nicht, nicht etwa deshalb verwehrt, weil sie in der Beschwerde nicht aufgeworfen wurde. Diese Frage wäre vom Verwaltungsgericht vielmehr von Amts wegen zu prüfen gewesen. Dies wäre fallbezogen umso mehr erforderlich gewesen, als auch die in dieser Angelegenheit ergangenen Bescheide des Bürgermeisters und des Gemeindevorstandes keinerlei Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 erster Satz BO enthalten. Angesichts dessen entzieht sich das angefochtene Erkenntnis einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das Vorliegen der in § 23 Abs. 3 erster Satz BO genannten Voraussetzungen für die Erklärung des gegenständlichen Grundstückes zum Bauplatz.

19 Indem das Verwaltungsgericht somit ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht, in seiner Prüfungskompetenz durch das Beschwerdevorbringen eingeschränkt zu sein, keinerlei Feststellungen zum Vorliegen der in § 23 Abs. 3 erster Satz BO genannten Voraussetzungen für die Erklärung des gegenständlichen Grundstückes zum Bauplatz getroffen hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

21 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es den in der zitierten Verordnung festgelegten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand übersteigt und die Zuerkennung eines Einheitssatzes in den genannten Bestimmungen nicht vorgesehen ist.

Wien, am