VwGH vom 29.03.2017, Ra 2015/05/0059
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision 1. der E B und
2. des F B, beide in B, beide vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , Zl. LVwG-150217/9/DM/FE/IH, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde B; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei:
G GmbH in B, vertreten durch Mag. Brigitte Steinhuber-Kals, Rechtsanwältin in 4820 Bad Ischl, Kurhausstraße 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadtgemeinde Bad Ischl hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der von Höhe insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Bauwerberin) beim Bürgermeister der Stadtgemeinde B. (im Folgenden: Bürgermeister) gemäß § 28 Oö. Bauordnung 1994 (im Folgenden: BauO) die Erteilung einer Baubewilligung für den Neubau eines Wohnhauses auf einem näher bezeichneten Grundstück.
2 Die Revisionswerber sind je zur Hälfte Eigentümer zweier näher bezeichneter Grundstücke, die östlich und südöstlich unmittelbar an das Baugrundstück angrenzen.
3 In der am durchgeführten Bauverhandlung - zu der die Revisionswerber unter Hinweis auf mögliche Präklusionsfolgen geladen worden waren - erhoben die Revisionswerber gegen das Bauvorhaben Einwendungen.
4 Mit Bescheid des Bürgermeisters vom wurde (unter Spruchpunkt I.) der Bauwerberin die Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Baugrundstück unter Setzung einer Bedingung und einer Reihe von Auflagen erteilt. Ferner wurden mit diesem Bescheid (unter Spruchpunkt III.) die in der Bauverhandlung erhobenen Einwendungen der Revisionswerber,
"dass das zur Bauverhandlung eingereichte Bauvorhaben nicht den Auflagen des Lebensministeriums entspricht, das der Ausnahmegenehmigung nur unter Auflagen die Zustimmung erteilte (vgl. die Stellungnahme des forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung vom samt Beilage), weil gemäß diesen Vorgaben im westlichen Bereich des geplanten Bauvorhabens keinerlei Anschüttungen für die dauerhafte Freihaltung der Abflussmulde durchgeführt werden dürfen und weil im übrigen auch das Gelände um das Wohnhaus und die Terrasse auf dem bestehenden Niveau zu belassen sei, die Antragstellerin jedoch im südlichen Teil Anböschungen durchzuführen beabsichtigt, wodurch es zu Wasserableitungen auf das Grundstück der Ehegatten ... (Revisionswerber) kommen kann,"
abgewiesen sowie (unter Spruchpunkten II. und IV.) deren weitere in der Bauverhandlung erhobenen Einwendungen als unzulässig zurückgewiesen.
5 Die Revisionswerber erhoben dagegen Berufung. 6 Mit dem auf Grund des Beschlusses des Gemeinderates der Stadtgemeinde B. (im Folgenden: Gemeinderat) vom erlassenen Bescheid vom wurde (unter Spruchpunkt 1.) der erstinstanzliche Bescheid "in seinem vollen Inhalt" bestätigt sowie (unter Spruchpunkt 2.) die Berufung und
"die darin eingebrachten Vorbringungen ... in den Punkten ... als
unzulässig zurückgewiesen, bzw. im Punkt ... als unsachgemäß abgewiesen".
7 Die Revisionswerber erhoben dagegen Beschwerde, worin sie u. a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren - (unter Spruchpunkt I.) die gegen den Berufungsbescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerber als unbegründet abgewiesen und (unter Spruchpunkt II.) die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.
9 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen (u.a.) aus, die Revisionswerber seien unstrittig Nachbarn im Sinne des § 31 Abs. 1 BauO. Wenn sie bemängelten, dass sich das Bauvorhaben in einer "roten Gefahrenzone" und im Hochwasserabflussgebiet, das bei 30-jährlichem Hochwasser überflutet werde, befinde, und sie eine Veränderung (Verdichtung) der Boden- und Abflussverhältnisse durch die Ausführung des Bauvorhabens befürchteten, wodurch bei Hochwasserereignissen zu rechnen sei, dass künftig ihre Liegenschaft in Mitleidenschaft gezogen werde, so sei dem die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach der Nachbar im Baubewilligungsverfahren nur eine Verletzung seiner ihm vom Gesetz eingeräumten subjektivöffentlichen Rechte geltend machen könne. Wie sich aus § 31 Abs. 4 BauO ergebe, seien die mögliche Veränderung des Grundwasserhaushaltes, die durch die geplante Bebauung eines Grundstückes hervorgerufenen Veränderungen mit einer Bedrohung durch Hochwässer und die mangelnde Eignung des Bauplatzes keine solchen Rechte. Mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen hätten die Revisionswerber daher keine zulässigen Einwendungen erhoben.
10 Hinsichtlich des Vorbringens der Revisionswerber zum Wasserrechtsgesetz 1959 und dazu, dass der Berufungsbescheid keine Vorkehrungen enthalte, die sicherstellten, dass die Auflagen, insbesondere im Hinblick auf eine Verschlechterung der Abflusssituation, auch tatsächlich eingehalten würden, sei auszuführen, dass die Regelung und Sicherung der Abflussverhältnisse eines Grundstückes auch im Zusammenhang mit Bauten unter den Kompetenztatbestand "Wasserrecht" gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 10 B-VG falle, sodass die Baubehörde im Baubewilligungsverfahren mangels Zuständigkeit keine wasserrechtlichen Bestimmungen anzuwenden habe. Der Hochwasserschutz benachbarter Grundstücke sei daher nicht von der Baubehörde, sondern von der Wasserrechtsbehörde "anzuwenden". Im Übrigen sei eine (näher bezeichnete) Auflage des erstinstanzlichen Bescheides nicht - wie offenbar von den Revisionswerbern befürchtet - isoliert zu betrachten, sondern es seien sämtliche Auflagen - darunter auch eine (näher bezeichnete weitere) Auflage, die sich auf die Forderungen des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung beziehe - zu erfüllen.
11 Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt bereits nach der Aktenlage hinreichend geklärt sei.
12 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , E 81/2015-8, deren Behandlung ablehnte und sie mit Beschluss vom , E 81/2015-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
13 In ihrer Revision beantragen die Revisionswerber die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
14 Die Bauwerberin und der Gemeinderat erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 Die Revision bringt (u.a.) vor, das Verwaltungsgericht habe dem Antrag der Revisionswerber auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Folge geleistet, obwohl der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht geklärt sei und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung nicht beantwortet seien. Damit sei es von der (in der Revision näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Weiters habe das Verwaltungsgericht zwar unter Hinweis auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht erkannt, dass die mögliche Veränderung des Grundwasserhaushaltes bzw. die durch die geplante Bebauung eines Grundstückes hervorgerufenen Veränderungen mit einer Bedrohung durch Hochwässer keine subjektiv-öffentlichen Rechte im Sinne des § 31 Abs. 4 BauO, die ein Nachbar zulässig einwenden könne, berührten. Im Rahmen der diesbezüglich angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei jedoch die Frage ungeklärt, ob die durch das geplante Bauvorhaben verursachten Wasserableitungen zum Nachteil der Revisionswerber als jene Immissionen anzusehen seien, deren Hintanhaltung § 31 Abs. 4 BauO explizit als zulässige öffentlich-rechtliche Einwendung der Nachbarn aufzähle.
16 Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit des Unterlassens einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zulässig und auch begründet.
17 § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, (in der für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Stammfassung) lautet auszugsweise:
"Verhandlung§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder,
wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
...
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
...
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom S. 389 entgegenstehen.
..."
18 Nachbarrechte im Baubewilligungsverfahren stehen in so engem Zusammenhang mit Auswirkungen des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück und dessen Wert bzw. auf den ungestörten Genuss des Eigentums am Nachbargrundstück, dass sie als "civil rights" anzusehen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/05/0004, mwH auf die Judikatur des EGMR).
19 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei maßgeblichem sachverhaltsbezogenen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/05/0035, mwN).
20 Mit dem genannten Vorbringen beziehen sich die Revisionswerber u.a. auf ihre mit dem erstinstanzlichen Bescheid und dem diesen bestätigenden Berufungsbescheid - an dessen Stelle das sacherledigende angefochtene Erkenntnis getreten ist (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2016/05/0052, 0053, mwN) - abgewiesenen Einwendungen. Bezüglich dieser Einwendungen wurde somit die Parteistellung der Revisionswerber als Nachbarn bejaht. In ihrer gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde haben die Revisionswerber ein umfangreiches Vorbringen erstattet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
21 Auf dem Boden der oben zitierten Rechtsprechung wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen. Ist jedoch eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/05/0014, mwN).
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich angesichts des damit gegebenen Verfahrensstandes erübrigt, auf das weitere Revisionsvorbringen näher einzugehen.
23 Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
24 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am