VwGH vom 21.02.2012, 2011/23/0154
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/518.585/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste laut Akteninhalt am illegal nach Österreich ein. Mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt vom wurde gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z 1 und 7 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) erlassen.
Am stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag. Das Bundesasylamt hat diesen Antrag mit Bescheid vom in erster Instanz abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die BR Jugoslawien" festgestellt. Der unabhängige Bundesasylsenat hat der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben; diese Entscheidung erwuchs am in Rechtskraft.
Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG). Die Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt hat diesen Antrag mit Bescheid vom abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht erledigt. Mittlerweile wurde das Aufenthaltsverbot mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom aufgehoben.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfüge und die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung daher - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien. Weiters wies die belangte Behörde darauf hin, dass gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, das gemäß § 125 Abs. 3 (zweiter Satz) FPG als Rückkehrverbot gelte, weil der Beschwerdeführer am Asylwerber gewesen sei.
Der Beschwerdeführer sei seit ordnungsgemäß beschäftigt, seine Mutter sei österreichische Staatsbürgerin und in Wien aufhältig. Demzufolge ging die belangte Behörde zwar von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Allerdings sei dieser Eingriff zulässig, weil er zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens jedoch gravierend. Darüber hinaus bestehe gegen den Beschwerdeführer ein Rückkehrverbot. Mangels sonstiger, besonders zu seinen Gunsten sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 339/08-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Somit ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass in seinem Fall § 87 in Verbindung mit den §§ 85 und 86 FPG Anwendung finden hätte müssen, weil er Familienangehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin sei, übersieht er, dass er auf Grund seiner Volljährigkeit nicht als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG, zu denen neben Ehegatten nur minderjährige Kinder zählen, anzusehen ist und eine Anwendung des § 87 FPG schon aus diesem Grund ausscheidet.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
Der Beschwerdeführer kritisiert in dieser Hinsicht, die belangte Behörde habe seine lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, die Tatsache, dass er seit Jahren ordnungsgemäß beschäftigt sei, sowie die enge familiäre Bindung zu seiner Mutter, die österreichische Staatsbürgerin sei, nicht entsprechend berücksichtigt und diesbezüglich nur unzureichende Feststellungen getroffen. Damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen (vgl. aus der letzten Zeit etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0605, mwN). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa den dem Erkenntnis vom , Zl. 2011/18/0100, zugrundeliegenden Fall, in dem der Beschwerdeführer trotz eines Aufenthalts von elfeinhalb Jahren keine Deutschkenntnisse und keine berufliche Integration nachgewiesen hatte). Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Bescheiderlassung seit mehr als elf Jahren in Österreich aufhältig und zuletzt seit zwei Jahren und acht Monaten ordnungsgemäß beschäftigt. Zusätzlich zu dieser beruflichen Integration wäre im vorliegenden Zusammenhang auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Mutter des Beschwerdeführers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und in Wien lebt. Vor diesem Hintergrund ist das während der langen Aufenthaltsdauer in Österreich aufgebaute Privatleben des Beschwerdeführers somit von Umständen gekennzeichnet, die seine Ausweisung nunmehr unverhältnismäßig erscheinen lassen.
An dieser Beurteilung kann auch der Umstand nichts ändern, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch ein Rückkehrverbot gegen den Beschwerdeführer bestand. Die belangte Behörde weist zwar im angefochtenen Bescheid auf das Bestehen dieses Rückkehrverbotes hin, dem lässt sich allerdings nicht entnehmen, in welcher Weise sie das dem Rückkehrverbot zugrunde liegende - von ihr auch nicht festgestellte - Verhalten des Beschwerdeführers zur Verstärkung des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise herangezogen hat. Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang auch zutreffend vor, dass die dem (seinerzeitigen) Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Verurteilung längst getilgt und er somit als unbescholten anzusehen sei.
Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Soweit der Beschwerdeführer bei seinen Kosten eine Pauschalgebühr in der Höhe von EUR 360,-- verzeichnet, ist darauf hinzuweisen, dass er gemäß § 24 Abs. 3 Z 2 VwGG zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Beschwerde eine Eingabengebühr in der Höhe von EUR 180,-- zu entrichten hatte. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren war somit abzuweisen.
Wien, am
Fundstelle(n):
YAAAE-92996