VwGH vom 29.09.2015, Ra 2015/05/0032

VwGH vom 29.09.2015, Ra 2015/05/0032

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des Revisionswerbers L S in S, vertreten durch Mag. Gerald Gerstacker, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Schrannenplatz 3/I, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-531/001-2014, betreffend Zuerkennung der Parteistellung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: G H, S; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Gemeindevorstand der Gemeinde Wienerwald; weitere Partei:

Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde Wienerwald hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber ist nach den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) Eigentümer einer auf einem näher genannten Grundstück in der KG S errichteten Kapelle. Das Grundstück, auf dem die Kapelle steht, befindet sich nicht mehr im Miteigentum des Revisionswerbers. Betreffend das unmittelbar angrenzende Grundstück stellte die Mitbeteiligte im September 2013 das Ansuchen um Baubewilligung für die Errichtung eines Heizhauses im Anschluss an eine bestehende Maschinenhalle, welche rund 160 m (Luftlinie) von der Kapelle entfernt errichtet werden soll.

Im April 2014 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung in diesem Baubewilligungsverfahren mit der Begründung, als Nutznießer eines benachbarten Grundstückes durch das Bauwerk in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (betreffend Lärm, Luft und Belichtung) beeinträchtigt werden zu können.

Der Bürgermeister der Gemeinde W wies mit Bescheid vom den Antrag als unzulässig zurück. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass nur ein Grundeigentümer und nicht ein Nutzungsberechtigter wie der Revisionswerber Parteistellung iSd NÖ Bauordnung haben könne.

Der Gemeindevorstand wies die dagegen erhobene Berufung mit der Begründung als unbegründet ab, dass der Revisionswerber mangels grundbücherlicher Eintragung nicht Eigentümer iSd ABGB und folglich auch nicht Eigentümer eines oberirdischen Bauwerkes iSd NÖ Bauordnung sei und keine Parteistellung im gegenständlichen Verfahren habe.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis vom LVwG als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das LVwG aus, dass der Revisionswerber zwar als Eigentümer eines Superädifikates Nachbar iSd NÖ Bauordnung sei, weshalb der Bürgermeister und der Gemeindevorstand die Stellung des Revisionswerbers als Nachbar zu Unrecht verneint hätten. Jedoch sei der Nachbar durch das geplante Vorhaben nicht in in § 6 Abs. 2 NÖ Bauordnung erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt, weshalb im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Parteistellung verneint worden sei. Dies sei auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Kapelle rund 160 m von dem geplanten Heizhaus entfernt sei, weshalb der Revisionswerber weder in der Belichtung zukünftiger Hauptfenster seiner Kapelle noch durch Lärmemissionen und durch die Rauchabzugsverhältnisse der Heizungsanlage beeinträchtigt sei. Die Möglichkeit der Rechtsverletzung habe der Revisionswerber nicht einmal ansatzweise konkretisiert. Die schlagwortartige Verletzung durch "Lärm, Luft und Belichtung" sei nur in den Raum gestellt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, zu der die belangte Behörde die Akten des Verfahrens vorgelegt und eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet hat, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das LVwG rechtsirrig von einer Verpflichtung zur Erhebung von Einwendungen ausgehe, ohne dass der Revisionswerber Kenntnis von der Einreichung des Bauvorhabens gehabt habe. Die benötigten Informationen für hinreichend konkrete Einwendungen seien ihm infolge Verneinung seiner Parteistellung verwehrt worden. Grundsätzlich sei eine Beeinträchtigung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte nicht von vornherein denkunmöglich. Die Behörde hätte dafür Sorge tragen müssen, dass dem Revisionswerber der Baubewilligungsbescheid zugestellt werde, dass dem Revisionswerber eine Prüfung des Aktes ermöglich werde und in weiterer Folge eine Entscheidung getroffen werde, ob und inwieweit der Revisionswerber in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten tatsächlich in relevanter Weise beeinträchtigt sei.

Die Revision ist zulässig, da die angefochtene Entscheidung von der hg. Judikatur abweicht.

§ 6 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (NÖ Bauordnung 1996) idF LGBl. Nr. 8200-23 lautet auszugsweise:

" § 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 4 und § 35 haben Parteistellung :


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1.
der Bauwerber und/oder der Eigentümer des Bauwerks
2.
der Eigentümer des Baugrundstücks
3.
die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind ( Nachbarn ), und
4.
die Eigentümer eines ober- oder unterirdischen Bauwerks auf den Grundstücken nach Z. 2 und 3, z.B. Superädifikat, Baurechtsobjekt, Keller, Kanalstrang ( Nachbarn ).
Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.
Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 11) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

(3) ..."

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0112, ausgesprochen hat, ist die Wortfolge in § 6 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ Bauordnung 1996, dass Nachbarn nur dann Parteien sind, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten "berührt sind", im Sinne von "verletzt sein (werden) können", also so zu verstehen, dass es auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ankommt. Die Verletzung von Rechten kann nicht Voraussetzung der Parteistellung sein (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/05/0080).

Wenn das LVwG letztlich darauf abgestellt hat, dass der Revisionswerber nicht in den in § 6 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten "berührt ist" und seine Parteistellung im vorliegenden Baubewilligungsverfahren verneint hat, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weil es - wie dargelegt - in Vollziehung des § 6 Abs. 1 vorletzter Satz leg. cit. für diese Frage lediglich auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ankommt. Die Frage der Parteistellung eines Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist im Übrigen von der Baubehörde von Amts wegen an Hand des ihr vorliegenden konkreten Bauvorhabens zu prüfen; eines Vorbringens der in Betracht zu ziehenden Nachbarn bedarf es hiefür nicht. Die belangte Behörde ging daher auch zu Unrecht davon aus, dass die für die Parteistellung erforderliche Möglichkeit, durch das in Frage stehende Bauvorhaben in Rechten berührt bzw. verletzt zu sein, von dem Nachbarn entsprechend konkretisiert werden müsste.

Wenn die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde versucht, in ihrer Gegenschrift näher darzulegen, warum die Möglichkeit der Verletzung von Nachbarrechten nicht bestehe, ist sie darauf zu verweisen, dass eine in der Revisionsbeantwortung nachgetragene Überlegung nicht geeignet ist, eine fehlende Begründung zu ersetzen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/09/0032).

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am