VwGH vom 24.01.2017, Ra 2015/05/0018

VwGH vom 24.01.2017, Ra 2015/05/0018

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision der G GmbH in W, vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Aslangasse 8/2/4, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 111/072/1087/2015-1, betreffend Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde (belangte Behörden vor dem Verwaltungsgericht:

  1. Magistrat der Stadt Wien, 2. Landeshauptmann von Wien,

  2. Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingaben jeweils vom an die Wiener Landesregierung, an den Landeshauptmann von Wien (als Email am eingebracht) und den Magistrat der Stadt Wien - Magistratsabteilung 37 (MA 37) beantragte die Revisionswerberin mit näherer Begründung gemäß § 68 AVG die amtswegige Aufhebung der im Instanzenzug ergangenen Bescheide der Bauoberbehörde für Wien (BOB) vom , Zlen. BOB 546 und 547/06.

2 Mit Schreiben vom erhob die Revisionswerberin mit näherer Begründung eine Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (VwG). Diese enthält Ausführungen zu den Anträgen und lautet auszugsweise (Hervorhebungen im Original):

"Säumnisbeschwerde

Wien, am

(...)

1. Sachverhalt:

Am stellte die (Revisionswerberin) schriftliche

Anträge an

  1. an den Wiener Bürgermeister als Landeshauptmann

  2. an den Magistrat der Stadt Wien - Baupolizei

  3. an die Wiener Landesregierung.

  4. (...)

  5. Hinsichtlich dieser Anträge wurde bis heute kein Bescheid erlassen, obwohl antragstellerseitig ein Recht auf Bescheiderlassung postuliert worden war.

  6. Daher wird hiermit

  7. SÄUMNISBESCHWERDE

  8. erhoben und im Zuge selbiger der Antrag gestellt, die Säumnis

  9. der belangten Behörde festzustellen.

  10. (...)"

  11. 3 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Säumnisbeschwerde gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unzulässig zurückgewiesen.

  12. Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, weder der Landeshauptmann für Wien noch die Wiener Landesregierung noch der Magistrat der Stadt Wien sei für eine allfällige Entscheidung nach § 68 Abs. 2 AVG über einen Berufungsbescheid der - nicht mehr existenten - BOB zuständig, da keine dieser Behörden den Bescheid erlassen habe, deren Abänderung beziehungsweise Aufhebung die Revisionswerberin anstrebe, oder sachlich in Betracht kommende Oberbehörde der BOB gewesen sei. Eine Weiterleitung der Anträge gemäß § 6 AVG sei nicht erfolgt. Da jedoch erst die Weiterleitung gemäß § 6 AVG das Erlöschen der Entscheidungspflicht der weiterleitenden Behörde bewirke, wären die zuvor genannten Behörden, auch wenn sie zuständigkeitshalber keine inhaltliche Entscheidung über die Anträge der Revisionswerberin treffen dürften, zumindest verpflichtet gewesen, diese wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen. Es liege daher eine Säumnis dieser Behörden vor. Die Behörden hätten auch nach Erhebung der Säumnisbeschwerde von der Nachholung des Bescheides abgesehen, weshalb das VwG zur Entscheidung über die Säumnisbeschwerde zuständig sei.

  13. Das VwGVG berechtige das VwG nicht zur Feststellung der Säumnis der Behörde, was von der Revisionswerberin aber beantragt worden sei. Die Feststellung der Säumnis einer Behörde sei als subsidiärer Rechtsbehelf nicht erforderlich, da das VwGVG zur Rechtsverfolgung bei Säumnisbeschwerden vorsehe, eine Sachentscheidung durch das Gericht anstatt durch die säumige Behörde zu begehren. Ein solches Ansuchen habe die Revisionswerberin jedoch nicht gestellt. Eine weitere Erforschung des Parteiwillens erscheine im Hinblick auf den eindeutigen, objektiven Erklärungswert des Begehrens und auf die rechtsfreundliche Vertretung der Revisionswerberin nicht erforderlich. Da sich der Antrag auf ein Tätigwerden des VwG richte, für das keine gesetzliche Grundlage bestehe, sei die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

  14. 4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

  15. 5 Das VwG legte die Verwaltungsakten vor.

  16. 6 Der Magistrat erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.

(5) Bei Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG entfallen die Angaben nach Abs. 1 Z 1 bis 3 und 5. Als belangte Behörde ist die Behörde zu bezeichnen, deren Entscheidung in der Rechtssache begehrt wurde. Ferner ist glaubhaft zu machen, dass die Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde gemäß § 8 Abs. 1 abgelaufen ist."

§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"§ 28. (1) ...

...

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

..."

9 Die Revisionswerberin bringt im Wesentlichen vor, sie sei in ihrem Recht auf Entscheidung in der Sache verletzt, da die erstinstanzlichen Behörden keine Entscheidung getroffen hätten und das VwG eine Zurückweisungsentscheidung gefällt habe, ohne auf die Sache einzugehen. Das VwG hätte bei Feststellung der Säumnis die "gesetzlichen Folgen daraus ziehen müssen", ohne an einen Antrag gebunden zu sein, da das Gesetz bei Säumnisbeschwerden weder einen Antrag vorsehe noch eine Bindung daran. Eine berechtigte Säumnisbeschwerde dürfe nicht auf Grund der Formulierung des Antrages zurückgewiesen werden. Das VwG hätte somit in der Sache zu entscheiden oder die Rechtssache an die Erstinstanz zurückzuverweisen gehabt, die unter Bindung an die Rechtsansicht des VwG einen Bescheid zu erlassen habe. Bei allfälliger Aufklärungsbedürftigkeit hätte die Behörde außerdem einen entsprechenden Auftrag erteilen oder Vorhalt machen müssen, weil keine Spruchpraxis zu Säumnisbeschwerden bei VwG bestehe, sodass für die Revisionswerberin keine Entscheidungsvorhersehbarkeit gegeben gewesen sei.

10 Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind Behörden verpflichtet, über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Die Frist ist gewahrt, wenn bis zu deren Ablauf gegenüber der Partei ein die Verwaltungssache (meritorisch oder prozessual) gänzlich erledigender Bescheid erlassen wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/05/0011, mwN).

11 Eine Weiterleitung der Anträge nach § 6 AVG, die zum Erlöschen der Entscheidungspflicht der belangten Behörden geführt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0253, mwN), erfolgte unbestritten nicht. Weiters hat unbestritten keine der belangten Behörden innerhalb der Sechsmonatsfrist einen Bescheid erlassen.

12 Die Revisionswerberin erhob "Säumnisbeschwerde" mit der Begründung, dass über ihre Anträge kein Bescheid erlassen worden sei. Das VwG stützte die Zurückweisung der Beschwerde auf den darin enthaltenen Antrag auf Feststellung der Säumnis der belangten Behörden.

13 Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens ist entscheidend, wie das Erklärte, also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel darf nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. Bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens sind aber davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe ohne Belang. Es ist unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, mag auch das Begehren, so wie es gestellt worden ist, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Keinesfalls ist es der Behörde gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0082, mwN).

14 Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG dient dem Rechtsschutz gegen Säumnis der Behörden. Zweck der Säumnisbeschwerde ist es, demjenigen, der durch die Untätigkeit einer Behörde beschwert ist, ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, um eine Entscheidung in der Sache zu erlangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/08/0102).

15 Das mit "Säumnisbeschwerde" titulierte Rechtsmittel der Revisionswerberin nennt die belangten Behörden und enthält Angaben zur Glaubhaftmachung des Fristablaufes, zumal das Datum der Eingabe der verfahrenseinleitenden Anträge genannt und vorgebracht wird, dass die Entscheidungen der belangten Behörden bis zur Einbringung der Säumnisbeschwerde ausständig seien. Überdies bezieht es sich explizit auf § 8 VwGVG. Ausgehend von all dem und dem Schutzzweck der Säumnisbeschwerde kann nicht die erforderliche Klarheit der Eingabe angenommen werden, die es erübrigt hätte, den wahren Willen der Antragstellerin näher zu erforschen. Ohne nähere Erforschung des Parteiwillens hätte kein für die Antragstellerin ungünstiger Inhalt des Anbringens beziehungsweise ein unzulässiges Anbringen unterstellt werden dürfen. Das VwG hätte die Säumnisbeschwerde somit jedenfalls nicht ohne Vorhalt in Bezug auf den darin formulierten Antrag zurückweisen dürfen.

16 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

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