VwGH vom 30.05.2012, 2009/13/0147

VwGH vom 30.05.2012, 2009/13/0147

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs in 3300 Amstetten, Graben 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/2342-W/08, betreffend Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 für das Jahr 2002 (mitbeteiligte Partei: H in O, vertreten durch Europa Treuhand Wirtschaftsprüfungs und Steuerberatungsgesellschaft mbH in 4020 Linz, Europaplatz 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Zahnarzt, machte für die Anschaffung von Praxiseinrichtung in seiner Privatordination in M. im Jahr 2002 eine Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 geltend. Im Juni 2005 erwarb er eine Zahnarztordination in O., mit der er im Unterschied zu seiner bisherigen Privatordination in M. auch Kassenverträge übernehmen konnte. Aus diesem Grund gab er die Ordinationsräume in M. auf, weshalb er im September 2005 auch die dafür angeschaffte Praxiseinrichtung wieder veräußerte.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gegen einen Bescheid des Finanzamts statt, der hinsichtlich der später wieder veräußerten Wirtschaftsgüter mit der Begründung, diese Wirtschaftsgüter hätten sich nicht zu mehr als der Hälfte ihrer unstrittig zehnjährigen Nutzungsdauer oder zumindest vier volle Jahre lang im Betriebsvermögen befunden, den Anspruch des Mitbeteiligten auf Investitionszuwachsprämie verneint hatte. Die belangte Behörde gelangte in Auseinandersetzung u.a. mit dem hg. Erkenntnis vom , 2005/15/0156, zu der Auffassung, die vom Finanzamt nicht als erfüllt angesehene Voraussetzung für den Anspruch auf Investitionszuwachsprämie sei aus dem Gesetz nicht ableitbar. Über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehende Feststellungen zur Vorhersehbarkeit des Freiwerdens der Ordination in O. traf die belangte Behörde nicht.

Die vorliegende Amtsbeschwerde hält dem angefochtenen Bescheid unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes entgegen, Bedingung für die Investitionszuwachsprämie sei bei richtiger Auslegung des Gesetzes, dass das angeschaffte Wirtschaftsgut mehr als die Hälfte der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer dem Betriebsvermögen angehören müsse.

Unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geht die Beschwerde auch auf die in ihr zugestandene Ausnahme ein, dass ein Wirtschaftsgut zum langfristigen Einsatz im Unternehmen bestimmt gewesen und es nur infolge von "Unwägbarkeiten" nicht zur tatsächlichen überwiegenden Abnutzung im Betrieb des Steuerpflichtigen gekommen sei. Dazu wird in der Beschwerde die Ansicht vertreten, eine solche "Unwägbarkeit" liege nur vor, wenn die spätere Veräußerung im Zeitpunkt der Anschaffung "nicht vorhersehbar" gewesen sei. In seiner Berufung habe der Mitbeteiligte vorgebracht, er habe im Zeitpunkt der Anschaffungen nicht vorhersehen können, dass sich in der Zukunft die Möglichkeit des Kaufes einer günstig gelegenen Ordination mit Kassenvertrag ergeben werde. Das Vorliegen einer "Unwägbarkeit" habe er mit diesem Vorbringen "nicht dargetan". Eine solche wäre nach der in der Beschwerde vertretenen Auffassung nur vorgelegen, "wenn die Übernahme einer Praxis mit Kassenvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung der Ordination in M. von vornherein vollkommen unvorhersehbar" und nicht "zB" davon auszugehen gewesen sei, dass "in drei Jahren ein Arzt mit Kassenvertrag im Einzugsbereich der mitbeteiligten Partei das Pensionsalter erreichen wird". Weiters hätte "auch unvorhersehbar gewesen sein" müssen, dass die für die Praxis in M. angeschafften Wirtschaftsgüter "nicht in der neuen Praxis verwendbar sein würden". Feststellungen in diesem Sinn habe die belangte Behörde aber nicht getroffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Partei erwogen:

Zu der im vorliegenden Fall vor allem strittigen Frage, inwieweit der Anspruch auf Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 grundsätzlich von einer bestimmten Dauer des Verbleibs der angeschafften Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen abhängt, ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0082, zu verweisen. Danach findet zwar einerseits der Standpunkt des Finanzamts, wonach das Wirtschaftsgut "zumindest mehr als die Hälfte der Nutzungsdauer" hindurch dem Betriebsvermögen angehören müsse, keine Grundlage im Gesetz, es entspricht aber andererseits auch der Standpunkt der belangten Behörde, wonach das Wirtschaftsgut nur dem Anlagevermögen zugeführt werden und tatsächlich in Betrieb genommen werden müsse, nicht dieser Rechtsprechung.

Letzteres führt die Amtsbeschwerde im Hinblick auf die in ihr - mit Recht - zugestandene Ausnahme vom Erfordernis der über einen "längeren Zeitraum" hinweg gegebenen Zugehörigkeit zum Anlagevermögen aber nicht zum Erfolg. Im Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/13/0246, auf das ebenfalls gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof dazu ausgeführt, die Prämie stehe auch dann zu, "wenn das Wirtschaftsgut zwar zunächst für den langfristigen Einsatz im Betrieb bestimmt war, nach der Anschaffung eintretende Unwägbarkeiten (z.B. Schaden auf Grund höherer Gewalt, unvorhergesehene Unbrauchbarkeit im Betrieb) aber zum Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen geführt haben". Für diese auch den subjektiven Investitionswillen berücksichtigende Unwägbarkeit komme es nicht auf eine Unvorherseh"barkeit" an sich, sondern darauf an, ob die Unbrauchbarkeit mangels dafür bestehender konkreter Anhaltspunkte für den Steuerpflichtigen "unvorhergesehen" eintrat.

Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass der Mitbeteiligte die im Jahr 2002 mit den strittigen Wirtschaftsgütern eingerichteten Praxisräume in M. drei Jahre später aufgab, weil er die mit Kassenverträgen verbundene Praxis in O. erwerben konnte, und er die Praxiseinrichtung in M. aus diesem Grund verkaufte. Dass eine solche Entwicklung im Zeitpunkt der Investitionen, wie das beschwerdeführende Finanzamt annimmt, "vollkommen unvorhersehbar" gewesen sein müsse, um den Anspruch auf Investitionszuwachsprämie unberührt zu lassen, trifft nach dem zitierten Erkenntnis vom heutigen Tag nicht zu. Auf der Grundlage des unbestrittenen Sachverhalts kommt es auf Feststellungen der in der Beschwerde beschriebenen Art daher nicht an, um den Anspruch des Mitbeteiligten zu bejahen, weshalb die Beschwerde mit dem Hinweis auf das Fehlen solcher Feststellungen keinen für das Verfahrensergebnis relevanten Mangel aufzeigt.

Der angefochtene Bescheid entspricht damit im Ergebnis dem Gesetz, sodass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am