VwGH vom 26.09.2017, Ro 2015/05/0002

VwGH vom 26.09.2017, Ro 2015/05/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des Dr. W H in W, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 83- 85/18, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. 1) VGW-111/072/20237/2014-14 u.a., betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: R GmbH in W; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom ersuchte die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Bauwerberin) beim Magistrat der Stadt Wien (im Folgenden: Baubehörde) um die Erteilung einer Baubewilligung gemäß §§ 70, 71 Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) für den Neubau eines Einfamilienhauses auf der Liegenschaft EZ 1772, KG P., mit der Grundstücksadresse B.gasse 15 (Parzelle 6). Die Bauwerberin ist grundbücherliche Eigentümerin dieser Liegenschaft mit den Grundstücken Nr. 564/85 ("Bauf. (Gebäude), Gärten") und Nr. 564/86 ("Sonst (Straßen)").

2 Der Revisionswerber ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ 1770, KG P., mit den Grundstücken Nr. 564/65 ("Gärten") und Nr. 564/82 ("Sonst (Straßen)") unter derselben Grundstücksadresse B.gasse 15 (Parzelle 1), welche Liegenschaft südwestlich an die Liegenschaft des Revisionswerbers angrenzt.

3 In dem maßgeblichen Plandokument 7695 ist für diese Liegenschaften die Widmung "Gartensiedlungsgebiet" ausgewiesen. Die beiden Grundstücke Nr. 564/82 und Nr. 564/86 bilden einen Aufschließungsweg im Sinn des § 16 Abs. 2 zweiter Satz BO und haben eine gemeinsame Grenze.

4 Der Revisionswerber (sowie dessen Ehefrau, die Eigentümerin des südlich an das Baugrundstück unmittelbar angrenzenden Grundstückes) erhob bereits im Vorfeld der mündlichen Bauverhandlung vom umfangreiche Einwendungen gegen das Bauvorhaben. Dazu brachte er im Wesentlichen vor, das Grundstück der Bauwerberin dürfe auf Grund des Fußweges, der zu dieser Liegenschaft führe und nur 2,5 m breit sei, nicht bebaut werden. Ausdrücklich sei in § 16 Abs. 3 BO normiert, dass der Aufschließungsweg im Gartensiedlungsgebiet mindestens 3 m breit sein müsse. Bezüglich des projektierten Stiegenhauses müsse gemäß § 84 Abs. 2 lit. a BO ein Abstand von wenigstens 3 m eingehalten werden; es verbleibe zur Nachbargrenze jedoch lediglich ein Abstand von 2 m. Ebenso sei auf Grund der geplanten Anschüttung die Gebäudehöhe zu hoch und von der Behörde sei außerdem nicht geprüft worden, ob eine Beeinträchtigung des Lichteinfalles gegeben sei. Die Darstellung der geplanten Gauben sei so mangelhaft und unvollständig, dass eine Stellungnahme vorbehalten werden müsse, bis eine Korrektur der Einreichpläne erfolge. Der Revisionswerber sprach sich auch gegen die Bewilligung im Sinn des § 71 BO, welche mit den Gauben im Zusammenhang stehe, aus.

5 Mit Bescheid der Baubehörde vom wurden der Bauwerberin gemäß § 70 BO nach Maßgabe der mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Pläne und unter Vorschreibung von Auflagen die Baubewilligung für die Errichtung eines Gebäudes mit einer Wohneinheit (Spruchpunkt I.) und gemäß § 71 BO - auf jederzeitigen Widerruf - unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen die baurechtliche Bewilligung für die Errichtung eines Schutzdaches über dem Eingang (Spruchpunkt II.) erteilt.

6 In der Begründung dieses Bescheides führte die Baubehörde zu den Einwendungen des Revisionswerbers im Wesentlichen aus, die Liegenschaft der Bauwerberin sei mit Bescheid vom als Baulos genehmigt worden, weshalb die Einwendungen bezüglich der Breite des Aufschließungsweges mangels Vorliegens eines Nachbarrechtes gemäß § 134a BO als unzulässig zurückzuweisen seien. Hinsichtlich der Abstände sei auszuführen, dass gemäß § 84 BO Stiegenhäuser mit einer Ausladung von 1,5 m über die Baufluchtlinie, in die Abstandsfläche und in die Vorgärten vorragen dürften. Darüber hinaus gelte es zu berücksichtigen, dass in Gartensiedlungsgebieten gemäß § 79 Abs. 5 BO der Nachbar lediglich das Recht auf die Einhaltung des Abstandes von 2 m zur Grundgrenze (wenn kein Anbau erfolgt sei) habe. Den Einwendungen bezüglich der Gebäudehöhe sei entgegenzuhalten, dass die Gebäudehöhenberechnung am Bauplan gemäß § 81 Abs. 2 BO schlüssig nachgewiesen worden sei und den Nachbarn auf einen konkreten Lichteinfall kein subjektiv-öffentliches Recht nach § 134a BO zukomme. Schließlich sei dem Einwand betreffend die Bewilligung gemäß § 71 BO in Bezug auf die Größe der Gauben entgegenzuhalten, dass die BO keine Bestimmung bezüglich der Relation von Gauben zu Schutzdächern enthalte. Das Schutzdach habe gemäß § 71 BO nur gegen jederzeitigen Widerruf bewilligt werden können, weil das zulässige Drittel der Front gemäß § 84 Abs. 1 lit. a BO bereits durch das Stiegenhaus und den Türvorbau in Anspruch genommen werde. Die Bewilligung habe dennoch erteilt werden können, da das Schutzdach jederzeit demontiert werden könne und im örtlichen Stadtbild nicht störend in Erscheinung trete.

7 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde machte der Revisionswerber Bedenken gegen das im Revisionsfall maßgebliche Plandokument geltend und wiederholte im Wesentlichen seine bereits erstatteten Einwendungen.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde (unter anderem) der vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde keine Folge gegeben und der Bescheid der Baubehörde vom bestätigt; gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

9 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und von Rechtsvorschriften - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - aus, dass bezüglich der Abstände im Gartensiedlungsgebiet die Bestimmung des § 79 Abs. 5 BO anzuwenden sei, wonach zur Grundgrenze ein Abstand von 2 m einzuhalten sei. Mit dem Grundstück des Revisionswerbers (Parzelle 1) teile die Bauliegenschaft keine Grundgrenze, da sich der Aufschließungsweg dazwischen befinde. Dem Revisionswerber komme daher hinsichtlich der Einhaltung des Abstandes zu den Nachbargrundgrenzen keine Parteistellung zu, da die in § 134a BO normierte Voraussetzung, wonach nur solche Bestimmungen subjektivöffentliche Nachbarrechte begründeten, die deren Schutz dienten, hinsichtlich des Revisionswerbers nicht gegeben sei.

10 Das projektierte Gebäude halte nach der Plandarstellung auch zur Achse des Aufschließungsweges einen Abstand von 4 m ein. Aus der Kotierung und der strichlierten halbrunden Linie sei erkennbar, dass dieser Abstand auch über die Ecke des Weges hinaus gegenüber dem Stiegenhaus und dem Türvorbau eingehalten werde. Lediglich das gemäß § 71 BO auf jederzeitigen Widerruf bewilligte Vordach rage in den Abstand von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges. Dazu sei jedoch festzuhalten, dass dem Revisionswerber hinsichtlich der Einhaltung des Abstandes von 4 m zur Achse des Fußweges keine Parteistellung zukomme, da § 134a Abs. 1 lit. a BO diese nur hinsichtlich der Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, nicht jedoch zur Achse des Aufschließungsweges, vorsehe.

11 Den Bedenken des Revisionswerbers hinsichtlich der an der Ost- und Westfront projektierten Gauben sei entgegenzuhalten, dass diese nicht an der dem Grundstück des Revisionswerbers zugewandten Nordseite des Gebäudes projektiert seien. Hinsichtlich der Gauben komme dem Revisionswerber daher keine Parteistellung zu, wobei darauf hinzuweisen sei, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch die bloße Möglichkeit der Einsichtnahme auf eine Front der Nachbarliegenschaft, diese Front nicht zu einer der Nachbarliegenschaft zugekehrten Front werde (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0154).

12 Die erteilte Bewilligung gemäß § 71 BO beziehe sich ausschließlich auf das Vordach vor der Eingangstür an der Nordfront des geplanten Gebäudes. Ein Zustimmungsrecht des Revisionswerbers zur Erteilung dieser Bewilligung bestehe nicht, weil dieser keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Revisionswerbers entgegenstünden. Eine gemeinsame Grundgrenze mit dem Grundstück des Revisionswerbers liege nicht vor und § 79 Abs. 5 BO, wonach Gebäude im Gartensiedlungsgebiet einen Abstand von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges einhalten müssten, begründe kein subjektiv-öffentliches Recht der Nachbarn im Sinn des § 134a BO.

13 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob den Nachbarn im Hinblick auf die Formulierung des § 134a Abs. 1 lit. f BO ("Bestimmung über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen"; gemeint: lit. a) hinsichtlich der Einhaltung des in § 79 Abs. 5 BO normierten Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges im Gartensiedlungsgebiet Parteistellung zukomme.

14 Gegen dieses Erkenntnis erhob (unter anderem) der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , Zlen. E 982/2014-4 und E 983/2014-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

15 Begründend führte der Verfassungsgerichtshof im genannten Ablehnungsbeschluss zusammengefasst aus, das Planungsgebiet, in dem das Baugrundstück der mitbeteiligten Partei liege, sei zum Zeitpunkt der mit Bescheid der Baubehörde vom erfolgten Bewilligung der Abteilung verschiedener Grundstücke auf Baulose als "Gartensiedlungsgebiet" gewidmet worden. Es sei dem Verordnungsgeber nicht entgegenzutreten, wenn er im Zeitpunkt der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanerlassung die bereits zuvor bestehende Baulandwidmung als "Gartensiedlungsgebiet" beibehalten habe, zumal § 16 Abs. 3 BO, der vorsehe, dass Aufschließungswege in Gartensiedlungsgebieten mindestens 3 m breit sein müssen, erst nach der Grundabteilung erlassen worden sei.

16 In seiner Revision begehrt der Revisionswerber die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

17 Das Verwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Die Baubehörde und die Bauwerberin erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18 Die Revision erweist sich aus dem im angefochtenen Erkenntnis angeführten Grund, dem sich der Revisionswerber angeschlossen hat, als zulässig.

19 Im Revisionsfall war die BO, LGBl. Nr. 11/1930, in der Fassung LGBl. Nr. 46/2013 anzuwenden.

Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen der BO lauten

auszugsweise:

"Beurteilung des Abteilungsvorhabens

§ 16. ...

(3) Aufschließungswege im Gartensiedlungsgebiet müssen mindestens 3 m breit sein und mit der öffentlichen Verkehrsfläche unmittelbar verbunden sein; ..."

"Bewilligung für Bauten vorübergehenden Bestandes

§ 71. Bauwerke, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Bauwerke den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, kann die Behörde auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen und es darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen nicht vermindert werden, es sei denn, dass der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder keine Parteistellung (§ 134 Abs. 3) erlangt hat."

"Vorgärten, Abstandsflächen und gärtnerisch auszugestaltende Flächen

§ 79. ...

(5) In Gartensiedlungsgebieten müssen die Gebäude auf den Baulosen von der Achse der Aufschließungswege einen Mindestabstand von 4 m aufweisen. Wird das Gebäude nicht unmittelbar an Grundgrenzen errichtet, muss es von diesen einen Abstand von mindestens 2 m einhalten. Dieser Abstand ist mit Ausnahme von Nebengebäuden von jeder Bebauung freizuhalten. Für das Anbauen an Grundgrenzen bedarf es nicht der Zustimmung des Eigentümers der Nachbarliegenschaft. Baulose dürfen auch geschlossen bebaut werden.

..."

"Gebäudehöhe und Gebäudeumrisse; Bemessung

§ 81. ...

(6) Der nach den Abs. 1 bis 5 zulässige Gebäudeumriss darf durch einzelne, nicht raumbildende Gebäudeteile untergeordneten Ausmaßes überschritten werden; mit raumbildenden Dachaufbauten darf der Gebäudeumriss nur durch einzelne Dachgauben sowie im unbedingt notwendigen Ausmaß durch Aufzugsschächte und Treppenhäuser überschritten werden. Die einzelnen Dachgauben müssen in ihren Ausmaßen und ihrem Abstand voneinander den Proportionen der Fenster der Hauptgeschosse sowie dem Maßstab des Gebäudes entsprechen. Die Dachgauben dürfen insgesamt höchstens ein Drittel der Länge der betreffenden Gebäudefront in Anspruch nehmen. Auf Antrag ist durch die Behörde (§ 133) eine Überschreitung dieses Ausmaßes bis höchstens zur Hälfte der betreffenden Gebäudefront zuzulassen, wenn dies eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung des Bauwerks bewirkt oder der Herbeiführung eines den zeitgemäßen Vorstellungen entsprechenden örtlichen Stadtbildes dient. ...

..."

"Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte

§ 134 a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

1. Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den

Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der

Erdoberfläche;

2. Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

..."

20 Der Revisionswerber bestreitet zunächst die exakte planliche Darstellung des einzuhaltenden Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges und bringt dazu vor, im Hinblick darauf, dass der Fußweg im Bereich der beiden Grundstücke einen rechtwinkeligen Schwenk mache, könne zur Feststellung der Wegachse eine halbrunde Linie aus rein geometrischen Gründen den Schnittpunkt nicht exakt darstellen. Die Bewilligung gemäß § 71 BO für das Schutzdach hätte nicht erteilt werden dürfen, weil sich die Nachbarn im Rahmen ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte gegen diesen Bauteil ausgesprochen hätten. Die diesbezügliche Ermessensentscheidung sei von der Baubehörde nicht nachvollziehbar begründet worden. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 89/05/0030 und 0031) sei eine Ausnahmegenehmigung in einem Fall wie dem Revisionsfall nur dann zulässig, wenn die Nachbarn dem Bauvorhaben ausdrücklich zugestimmt hätten, was im Revisionsfall nicht gegeben sei. Zudem sei der Vorschrift des § 81 Abs. 6 BO nicht entsprochen worden, wobei dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass es auf die Position der Gaube ankomme und der Nachbar nur Rechte hätte, wenn diese ihm direkt zugewandt sei. Weiters bemängelt der Revisionswerber neuerlich, dass der Aufschließungsweg entgegen der Bestimmung des § 16 Abs. 3 BO nur eine Breite von 2,5 m und nicht eine solche von 3 m aufweise.

21 Im Zusammenhang mit der vom Verwaltungsgericht sowie vom Revisionswerber aufgeworfenen Rechtsfrage ist zunächst festzuhalten, dass der in § 134a Abs. 1 BO enthaltene Nebensatz "sofern sie ihrem Schutze dienen" nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet, dass jeder Nachbar die Nachbarrechte nur soweit geltend machen kann, als er, insbesondere im Hinblick auf die Situierung des Bauvorhabens, durch ihre Nichteinhaltung betroffen wäre. Jeder Nachbar hat somit nur hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsvorschriften, die sich gegenüber seiner Liegenschaft auswirken, ein Mitspracherecht (vgl. Moritz, BauO für Wien5 (2014), Anm zu § 134a BO 406 ff.).

22 Wie sich aus § 79 Abs. 5 BO ergibt, ist bei einem Bauvorhaben im Gartensiedlungsgebiet grundsätzlich ein Abstand von 2 m zur jeweiligen Grundgrenze einzuhalten. Bei der in dieser Bestimmung genannten Grundgrenze handelt es sich nach der hg. Judikatur nicht um die Grenze im Bereich des Aufschließungsweges (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/05/0082). Daraus ergibt sich, dass ein Abstand von 2 m zur jeweiligen Grundgrenze der seitlichen und hinteren Nachbarn einzuhalten ist. Hingegen hat der vordere Nachbar, dessen Grundstück dem Baugrundstück gegenüber liegt und von diesem durch einen Aufschließungsweg getrennt ist, ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung des Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges, weil damit der zu seinem Grundstück einzuhaltende Abstand festgelegt wird.

23 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes steht dem die in § 134a Abs. 1 lit. a BO enthaltene Bezugnahme auf den Abstand zu den Nachbargrundgrenzen nicht entgegen. Wie oben dargelegt, dient die in § 79 Abs. 5 BO enthaltene Abstandsbestimmung nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern im Besonderen auch dem Schutz der Interessen des Nachbarn. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht würde zu dem sachlich nicht zu rechtfertigenden Ergebnis führen, dass zwar die seitlichen und hinteren Nachbarn die Verletzung von Abstandsvorschriften geltend machen und ihr subjektiv-öffentliches Recht auf Freihaltung des sich aus der Einhaltung der Abstandsvorschriften ergebenden Bereiches wahrnehmen könnten, während dies dem vorderen Nachbar allein deshalb, weil sein - im Sinn des § 134 Abs. 3 BO benachbartes - Grundstück nicht unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt, verwehrt wäre. Zudem ergibt sich aus den Erläuterungen zur Novelle LGBl. Nr. 34/1992 (14/1992 BlgLT 15 GP 20f), mit welcher erstmals eine Aufzählung von Nachbarrechten in der BO erfolgt ist, dass sich die Aufzählung der Bestimmungen, die geeignet seien, subjektiv-öffentliche Nachbarrechte zu begründen, im Wesentlichen an der bisherigen Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes orientiert. Die zu diesem Zeitpunkt ständige hg. Judikatur ging aber davon aus, dass zwar dem seitlichen Nachbarn kein Recht auf Freihaltung des Vorgartenbereiches (vgl. § 79 Abs. 1 BO) von jeder Verbauung zustehe, durch die Nichteinhaltung des Abstandes zum Weg aber subjektiv-öffentliche Rechte des gegenüberliegenden Nachbarn betroffen seien (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/05/0216, mwN). Im Übrigen ging der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem oben genannten Erkenntnis vom davon aus, dass dem Revisionswerber, dessen Grundstück auch in dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall der dortigen Bauliegenschaft gegenüber lag und von dieser durch den Aufschließungsweg getrennt war, ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung des in § 79 Abs. 5 BO normierten Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges zukam.

24 Bei einem Bauvorhaben im Gartensiedlungsgebiet kommt dem Nachbarn, dessen Grundstück dem Baugrundstück gegenüber liegt und von diesem durch einen Aufschließungsweg getrennt ist, somit ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung des in § 79 Abs. 5 BO normierten Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges zu.

25 Im Übrigen wird bemerkt, dass im Revisionsfall die Achse des Aufschließungsweges auf Grund der eingangs geschilderten Eigentumsverhältnisse die im Eigentum der Bauwerberin stehende Liegenschaft von jener des Revisionswerbers trennt und fallbezogen somit auch eine Nachbargrundgrenze darstellt.

26 Das Verwaltungsgericht ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber kein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung des in § 79 Abs. 5 BO normierten Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges zukommt. Darüber hinaus vermögen die in diesem Zusammenhang erfolgten Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, wonach nach der Plandarstellung das Gebäude - mit Ausnahme des nach § 71 BO bewilligten Vordaches - zur Achse des Aufschließungsweges einen Abstand von 4 m einhalte, was aus der Kotierung und der strichlierten halbrunden Linie erkennbar sei, nicht zu überzeugen. Der Planverfasser hat in diesem Zusammenhang in der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Verhandlung vom darauf hingewiesen, dass der planlichen Darstellung der Achse des Aufschließungsweges der Katasterplan zugrunde liege. Das Verwaltungsgericht ging somit offenbar davon aus, dass die im Katasterplan eingetragene Grundstücksgrenze im Bereich des Aufschließungsweges auch die Achse des Aufschließungsweges bilde, was einer nachvollziehbaren Begründung bedurft hätte.

27 Soweit sich der Revisionswerber gegen die projektierten Gauben wendet, ist auf die oben dargestellte hg. Judikatur zu § 134a Abs. 1 BO zu verweisen, wonach jeder Nachbar die Nachbarrechte nur soweit geltend machen kann, als er, insbesondere im Hinblick auf die Situierung des Bauvorhabens, durch ihre Nichteinhaltung betroffen wäre. Die projektierten Gauben befinden sich an der Ost- und Westseite und somit nicht an der dem Revisionswerber zugewandten Seite des Gebäudes. Schon deshalb vermag eine allenfalls unzulässige Überschreitung des Gebäudeumrisses durch die Gauben in ein auf § 81 Abs. 6 BO beruhendes subjektiv-öffentliches Recht des Revisionswerbers nicht einzugreifen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/05/0121).

28 Zum Vorbringen bezüglich der Verletzung des § 16 Abs. 3 BO ist auszuführen, dass dem Nachbarn nach der BO kein subjektivöffentliches Recht auf Einhaltung dieser Bestimmung zukommt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0157, mwN, wonach grundsätzlich kein Nachbarrecht auf die Einhaltung der Vorschriften über das Erfordernis des Zugangs oder der Zufahrt zur neuen Baulichkeit besteht). Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem oben genannten Ablehnungsbeschluss verwiesen.

29 Da dem Revisionswerber, wie oben dargelegt, ein subjektivöffentliches Recht auf Einhaltung des in § 79 Abs. 5 BO normierten Abstandes von 4 m zur Achse des Aufschließungsweges zukommt und das Vordach nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in diesen Abstandsbereich ragt, erweist sich auch die gemäß § 71 BO erteilte Baubewilligung für das Vordach als rechtswidrig, zumal der Revisionswerber der Bewilligung nicht zugestimmt hat.

30 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

31 Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II. Nr. 8/2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Vorschriften, die keine subjektiv-öffentliche Rechte begründen BauRallg5/1/9 Baurecht Nachbar

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