VwGH vom 29.03.2012, 2011/23/0126
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M, vertreten durch Jürgen Stephan Mertens, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Neudeggergasse 1/18, im Einvernehmen mit Dr. Ullrich Schubert, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Severingasse 5/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/385.765/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte im Oktober 2003 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest. Dieser Bescheid erwuchs am mit der Zurückziehung der eingebrachten Berufung in Rechtskraft.
Am hatte der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin N. geheiratet. Im Hinblick darauf stellte er im Jänner 2006 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger". Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen.
Nach dem im Akt liegenden Versicherungsdatenauszug war der Beschwerdeführer vom bis als Arbeiter und ist seit als Angestellter unselbständig beschäftigt.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass sich der Beschwerdeführer seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Angesichts des mehrjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin sowie der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ging die belangte Behörde von einem mit der Ausweisung verbundenen erheblichen Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Allerdings komme der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Vorschriften seien vom Beschwerdeführer, der sich seit dem unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, gravierend missachtet worden. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die vorhandenen gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers nicht höher zu bewerten seien als das sehr große Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Mangels besonderer Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1984/07-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im September 2007 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass ihm ein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet erteilt worden sei. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
Der Beschwerdeführer rügt in dieser Hinsicht, die belangte Behörde habe seine familiäre Bindung sowie die Schwere des mit der Ausweisung verbundenen Eingriffs in sein Familienleben unzutreffend gewürdigt. Dieser Einwand ist im Ergebnis berechtigt.
Zwar hat die belangte Behörde zutreffend den hohen Stellenwert der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betont. Allerdings hat sie die aufrechte Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt und sich nicht näher mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf seine Situation und auf die seiner österreichischen Ehefrau auseinandergesetzt. Ausgehend davon ist der belangten Behörde aber vorzuwerfen, dass sie die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien im vorliegenden Fall nur unzureichend vorgenommen hat. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse vom , Zl. 2009/21/0031, und Zl. 2007/21/0493, verwiesen werden.
Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Begründungsmangels zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-92873