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VwGH vom 22.05.2013, 2009/13/0087

VwGH vom 22.05.2013, 2009/13/0087

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1731-W/08, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Einkommensteuer 2001 bis 2005 (mitbeteiligte Partei: L in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Pensionen) sowohl von der Pensionsversicherungsanstalt als auch von der Erzdiözese Wien bezog, gab für die Streitjahre 2001 bis 2005 Einkommensteuererklärungen ab, in denen sie die Anzahl der "Bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen" jeweils mit zwei angab, wobei sie im diesbezüglich noch anders gestalteten Formblatt für das Jahr 2001 die beiden auszahlenden Stellen auch noch näher bezeichnete. Die von der Erzdiözese für die Streitjahre elektronisch übermittelten Lohnzettel enthielten jedoch - nach den von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Behauptungen des beschwerdeführenden Finanzamts - keine Sozialversicherungsnummer und ein falsches Geburtsdatum der Mitbeteiligten, weshalb sie ihr in der Datenverarbeitung nicht zugeordnet und den Einkommensteuerbescheiden jeweils nur die Lohnzettel der Pensionsversicherungsanstalt zugrunde gelegt wurden. Dies erforderte wegen der Angabe der Anzahl der auszahlenden Stellen mit "2" in den Erklärungen der Mitbeteiligten und der dadurch ausgelösten Fehlermeldungen der Datenverarbeitung jeweils eine "Korrektur der Anzahl der Lohnzettel auf 1" durch das Finanzamt. Bei der Bearbeitung der - nicht streitgegenständlichen -

Erklärung für das Jahr 2006 im März 2007 kam es nicht zu einer solchen "Korrektur", sondern zu einer "Subjektvereinigung".

Mit Bescheiden vom nahm das Finanzamt daraufhin die die Streitjahre betreffenden Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf, wobei es die Wiederaufnahmen - den Tatsachen widersprechend - wie folgt begründete:

"Das Verfahren war gemäß § 303 (4) BAO wiederaufzunehmen, weil von einem Ihrer Arbeitgeber (pensionsauszahlenden Stellen) ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde".

Die Mitbeteiligte bekämpfte diese Bescheide und die mit ihnen verbundenen neuen Sachbescheide mit Berufungen, in denen sie das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes bestritt und in Bezug auf das Jahr 2001 auch Verjährung geltend machte. Das Finanzamt wies die Berufungen mit (ersten) Berufungsvorentscheidungen als unbegründet ab, woraufhin die Mitbeteiligte die Vorlage der Berufungen an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte. Die belangte Behörde richtete an das Finanzamt die Aufforderung, bekanntzugeben, wann und in welcher Form ihm neue oder berichtigte Lohnzettel übermittelt worden seien.

Hierauf reagierte das Finanzamt mit einer (jeweils zweiten, diesmal gemeinsamen) Berufungsvorentscheidung vom , die den Berufungen stattgab.

Mit Bescheiden vom nahm das Finanzamt die Verfahren abermals neu auf, wobei der Wiederaufnahmsgrund nun jeweils wie folgt umschrieben wurde:

"Da erst nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides vom (...) hervorgekommen ist, wie hoch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit tatsächlich sind, war die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO zu verfügen."

Die mit gleichem Datum gesondert ausgefertigten neuen Sachbescheide erwähnten in der Begründung für die nun jeweils höhere Feststellung der Einkünfte jeweils den "ursprünglich von der Finanzverwaltung nicht dem konkreten Verfahren zuordenbaren Jahreslohnzettel von der Erzdiözese Wien (nicht zuordenbar, weil ohne Angabe der Sozialversicherungsnummer und mit nicht korrektem Geburtsdatum übermittelt)".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der von der Mitbeteiligten gegen die neuerlichen Wiederaufnahmen und - nach Auffassung der belangten Behörde - auch gegen die neuen Sachbescheide erhobenen Berufung Folge. Sie hielt fest, "laut Vorlagebericht des Finanzamtes" seien die zunächst nicht der Mitbeteiligten zugeordneten Lohnzettel "ohne Sozialversicherungsnummer und mit falschem Geburtsdatum" übermittelt worden, wobei der Arbeitnehmerveranlagungsakt aber keinen Ausdruck dieser Lohnzettel enthalte, legte ihrer rechtlichen Beurteilung dessen ungeachtet den vom Finanzamt behaupteten Sachverhalt zugrunde und hob die Bescheide vom ohne Auseinandersetzung mit dem das Jahr 2001 betreffenden Verjährungseinwand der Mitbeteiligten und ohne Eingehen in die Prüfung des bei den Wiederaufnahmen ausgeübten Ermessens auf, weil der behauptete Wiederaufnahmsgrund nicht gegeben sei. Diese Ansicht stützte die belangte Behörde auf das Argument, die Lohnzettel der Erzdiözese seien im Datenbestand der für die Arbeitnehmerveranlagung zuständigen Organisationseinheit des Finanzamtes jeweils vorhanden gewesen und das Finanzamt habe auf Grund der Angaben in den Erklärungen der Mitbeteiligten auch gewusst, "dass die Veranlagung mit zwei Lohnzetteln durchzuführen gewesen wäre". Diese Angaben und die dadurch ausgelösten Fehlermeldungen hätten jeweils zur Zuordnung der Lohnzettel führen müssen. Seien die Lohnzettel in der Datenbank schon von Anfang an vorhanden gewesen, so könne nicht von neu hervorgekommenen Tatsachen ausgegangen werden. Ein "aufwendiges Ermittlungsverfahren" wäre nicht notwendig gewesen, zumal die zweite auszahlende Stelle in der Erklärung für das Jahr 2001 namentlich angeführt gewesen sei und auch schon "ein Blick in den Vorakt genügt" hätte, um den Sachverhalt aufzuklären. Wenn das Finanzamt die Fehlermeldung jeweils nicht zum Anlass für solche Schritte genommen habe, so liege darin "eine unzutreffende Würdigung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes", die "bei unveränderter Tatsachenlage - zwei Lohnzettel in der Datenbank vorhanden - nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme beseitigt werden" könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Finanzamtes, in der ausgehend davon, dass die Mitbeteiligte nur die Wiederaufnahmsbescheide bekämpft habe, die Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Aufhebung der neuen Sachbescheide behauptet wird. Zu den Wiederaufnahmen wird vorgebracht, sie seien nicht auf das Hervorkommen des Vorliegens einer zweiten auszahlenden Stelle, sondern darauf gestützt worden, dass "die Lohnzettel bzw. deren Inhalte" mangels Zuordenbarkeit der Lohnzettel nicht bekannt gewesen seien. Ein Verschulden des Finanzamtes stehe der Wiederaufnahme nicht entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen:

Die Mitbeteiligte vertritt - wie schon im Verfahren vor der belangten Behörde - die Ansicht, nach der stattgebenden Berufungsvorentscheidung vom hätten neuerliche Wiederaufnahmen - soweit ihnen nicht schon die Verjährung entgegenstand - nur auf Umstände gestützt werden dürfen, die dem Finanzamt bei Erlassung dieser Berufungsvorentscheidung noch nicht bekannt waren. Dem ist zu entgegnen, dass die mit der Berufungsvorentscheidung rechtskräftig entschiedene Sache sich - wie das zu diesem Zeitpunkt vor der belangten Behörde anhängige Berufungsverfahren - in Bezug auf die Wiederaufnahmen darauf beschränkte, ob sie aus dem in den Bescheiden vom März 2007 herangezogenen Grund berechtigt waren. War dies nicht der Fall, was das Finanzamt mit der Berufungsvorentscheidung einräumte, und lag stattdessen aber ein anderer Wiederaufnahmsgrund vor, so wäre das Finanzamt an dessen nachträglicher Wahrnehmung auch durch eine stattgebende Berufungsentscheidung der belangten Behörde nicht gehindert gewesen (vgl. in diesem Sinn etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2003/15/0141, und vom , 2004/13/0108).

Die belangte Behörde hat daher zu Recht geprüft, ob der in den Bescheiden vom herangezogene Wiederaufnahmsgrund vorlag. Ihrer Ansicht, dies sei nicht der Fall gewesen, weil sich die nunmehr berücksichtigten zweiten Lohnzettel von Anfang an im Datenbestand befunden hätten, kann jedoch nicht gefolgt werden. Wenn das Finanzamt - sei es auch wegen Unterlassung selbst einfachster Ermittlungsschritte trotz der dazu Anlass gebenden Fehlermeldungen - nicht erkannte, dass sich diese Lohnzettel auf die Mitbeteiligte bezogen, dann waren ihm die darin ausgewiesenen Einkünfte nicht als solche der Mitbeteiligten bekannt. Rechtsfragen der Zurechenbarkeit des Inhaltes von Datenbanken (vgl. dazu in anderem Zusammenhang den hg. Beschluss vom , 98/20/0283, VwSlg 15.116/A) als Kenntnisstand der Behörde oder der mit einem Verfahren befassten Organisationseinheit wirft der Fall dabei nicht auf, weil die Lohnzettel den Pensionsempfänger nach den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde nicht fehlerfrei identifizierten, sodass es ihrer Korrektur bedurfte, um sie der Mitbeteiligten zuzuordnen. Dass es dazu erst 2007 kam, könnte bei der Entscheidung über die Wiederaufnahmen nur im Rahmen der Ermessensübung unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens der Behörde und dadurch im Falle der Wiederaufnahme bewirkter Nachteile für die Mitbeteiligte Berücksichtigung finden.

Zu prüfen bleibt noch, ob das Finanzamt die neuerlichen Wiederaufnahmen, wie von der belangten Behörde implizit angenommen, ausreichend deutlich auf die im angefochtenen Bescheid gewürdigten Vorgänge gestützt hatte. Bejahen lässt sich dies nur wegen des in die Begründungen der gleichzeitigen neuen Sachbescheide aufgenommenen Hinweises auf die zunächst nicht zuordenbaren Lohnzettel, weil die für sich genommen unkonkrete Bezugnahme auf die Höhe der Einkünfte als Verweis auf die Begründung der sie nun neu feststellenden Sachbescheide deutbar ist.

Gefolgt werden kann der belangten Behörde auch in der Ansicht, dass die behauptete Unzuständigkeit nicht vorliegt, weil sich die Berufung der Mitbeteiligten - entgegen der vom Finanzamt nun in der Amtsbeschwerde vertretenen Meinung - erkennbar auch gegen die neuen Sachbescheide richtete. Davon war im Vorlagebericht vom Juni 2008 auch das Finanzamt ausgegangen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei die belangte Behörde im Falle des Vorliegens der behaupteten Fehlerhaftigkeit der Lohnzettel die Wiederaufnahmen nun auch unter den Gesichtspunkten des Ermessens sowie - in Bezug auf das Jahr 2001 - der von der Mitbeteiligten geltend gemachten Verjährung zu überprüfen haben wird.

Wien, am