VwGH vom 09.09.2015, Ra 2015/04/0030

VwGH vom 09.09.2015, Ra 2015/04/0030

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revision der 1. R G, 2. M G, 3. H G, alle in A, alle vertreten durch die Stolz Schartner Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in 5550 Radstadt, Schernbergstraße 19, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. LVwG- 2/47/2-2015, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau; mitbeteiligte Partei:

F GmbH in A, vertreten durch die Rechtsanwalt Dr. Manfred Buchmüller GmbH in 5541 Altenmarkt, Untere Marktstraße 21), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Angefochtenes Erkenntnis

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der mitbeteiligten Partei im Instanzenzug die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der gastgewerblichen Betriebsanlage "Jugendhotel V" an einem näher bezeichneten Standort durch Änderung der Freizeitanlage (kleiner Fussballplatz, Volleyballplatz, Trampolin, Slackline, Tischtennis, Schaukel) samt Einfriedung und Festlegung einer Betriebszeit von 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG A erteilt (I.). Weiters wurde die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (II.).

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Partei habe mit den Einreichunterlagen einen Lageplan samt Darstellung der einzelnen Sporteinrichtungen sowie eine schalltechnische Vergleichsberechnung, erstellt vom technischem Büro P P, eingereicht und das ursprüngliche Ansuchen insoweit abgeändert, als eine Einschränkung der beantragten Betriebszeiten erfolgt sei.

Die gastgewerbliche Betriebsanlage gelte auf Grund der Übergangsbestimmungen des § 376 GewO 1994 als genehmigt. Diese Anlage sei ursprünglich gemeinsam mit den unmittelbar benachbarten Objekten als Jugendheim betrieben worden, wobei zu diesen Jugendheimen ein großer gemeinsamer Sportplatz im Ausmaß eines regulären Fußballplatzes gehört habe. Diese Fläche sei im Flächenwidmungsplan der Gemeinde als Sportplatz gewidmet. Auch nach der übergabebedingten Trennung der Betriebe sei der Sportplatz weiterhin von allen Gästen dieser Jugendgästehäuser gemeinsam genutzt worden, erst im Jahre 2010 sei sowohl eigentumsrechtlich als auch faktisch eine Teilung erfolgt.

Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht habe am eine mündliche Verhandlung durchgeführt, bei welcher ein bau- und ein gewerbetechnischer Amtssachverständiger ein (gemeinsames) Gutachten erstattet hätten. In diesem werde ausgeführt, dass gemäß den vorliegenden Projektsunterlagen beabsichtigt sei, den durch die Teilung eines ursprünglich bestehenden Fußballplatzes entstandenen Bereich südwestlich des Jugendhotels als Fußballfeld und Beachvolleyballplatz sowie als Aufstellungsbereich für ein im Erdreich versenktes Trampolin, für einen Tischtennistisch, eine Slackline und eine Schaukel zu nutzen. In der vorgelegten Vergleichsberechnung werde gegenübergestellt, wie sich die Immissionssituation des ursprünglichen gesamt genutzten Fußballplatzes gegenüber den nunmehr unterteilten Plätzen verändere. Im Einzelnen seien in der schalltechnischen Berechnung Schallleistungspegel gemäß der ÖAL-Richtlinie Nr. 37, Ausgabe März 2013, herangezogen worden. Als Immissionspunkt sei der Fassadenbereich des nächstgelegenen Nachbarwohnobjektes gewählt worden. Die Berechnungsergebnisse zeigten, dass am ungünstigsten Immissionspunkt (als Bezugsort) und unter Zugrundelegung der ungünstigsten Stunde (als Bezugszeit) die Bestandssituation (großer Fußballplatz) um 0,5 dB angehoben werde. Diese Veränderung befinde sich im Bereich der Messtoleranz eines dem Stand der Technik entsprechenden Schallpegelanalysators. Somit könne von einer unwesentlichen Veränderung der örtlichen Lärmverhältnisse ausgegangen werden. Für sämtliche Berechnungen seien die ungünstigsten Annahmen getroffen worden. Die vorliegenden schalltechnischen Vergleichsberechnungen seien unter Berücksichtigung des anwendbaren Standes der Schalltechnik erfolgt, ihre Ergebnisse seien schlüssig und nachvollziehbar. Daher bestünden aus schalltechnischer Sicht keine Bedenken gegen die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für die Änderung der Freizeitanlage in der beantragten Form.

Abschließend hätten die Amtssachverständigen darauf hingewiesen, dass für die gegenständliche Problematik eine Vergleichsberechnung der angestellten Art als durchaus legitim und zielführend zu bezeichnen sei. Für den Fall der Durchführung von Lärmmessungen wäre nach Aussage der Amtssachverständigen eine schlüssige und nachvollziehbar Prognose der Auswirkungen der Änderungen kaum möglich, da die Ergebnisse sehr von der jeweiligen momentanen Schallsituation während der jeweiligen Schallpegelmessung abhängig wären.

Die amtsärztliche Sachverständige habe zusammenfassend festgehalten, dass es durch die verkleinerte Fläche des Sportplatzes sehr unwahrscheinlich sei, dass sich alle Bewohner des Jugendhotels gleichzeitig auf dem Sportplatz befänden bzw. sich längere Zeit - das heiße mehrere Stunden "pro Tag jeden Tag" -

dort aufhielten und lautstark spielten. Es könne von keiner Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht sodann im Wesentlichen aus, die Verwaltungsbehörde habe dem Verfahren einen bautechnischen, gewerbetechnischen und ärztlichen Sachverständigen beigezogen und deren Befunde und Gutachten als Grundlage ihrer Entscheidung herangezogen. Die Revisionswerber hätten in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht beantragt, die Genehmigung nicht zu erteilen und ausgeführt, der angenommene Beurteilungspegel, von dem bis 22:00 Uhr ausgegangen werden müsse, sei geeignet, eine Gesundheitsgefährdung für die Revisionswerber darzustellen.

Das Gutachten der technischen Amtssachverständigen sei schlüssig nachvollziehbar und auch mit den Denkgesetzen und Erfahrungen des täglichen Lebens in Einklang zu bringen. Auch aus der sanitätspolizeilichen Stellungnahme ergebe sich schlüssig, dass von einer Gesundheitsgefährdung der Nachbarn nicht ausgegangen werden könne. Die Beschwerdeausführungen, die eine gesundheitsgefährdende Lärmbelästigung durch den Betrieb der Freizeitanlage aufzuzeigen versuchten und darauf hinwiesen, dass die Revisionswerber bereits bei der Verwaltungsbehörde die Durchführung einer Lärmimmissionsmessung während des Vollbetriebs der Anlage beantragt hätten, fußten nicht auf Sachverständigendarlegungen und seien daher unbeachtlich.

Revisionsverfahren

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

Die mitbeteiligte Partei erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Grundsätzliche Rechtsfrage

Die Revision bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht habe im angefochtenen Erkenntnis die "stetige" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit von Messungen ignoriert. Die Sachverhalts- und Beweisaufnahme sei "absolut unzureichend" erfolgt, da sie ohne die Einholung einer "realen" schalltechnischen Messung des Sachverständigen massgeblich ergänzungsbedürftig gewesen sei. Damit liege nicht nur ein Begründungsmangel vor, sondern eine "aktenwidrig grobe Fehlbeurteilung" durch das Verwaltungsgericht, weshalb die außerordentliche Revision zulässig sei.

Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. Genehmigungsvoraussetzungen

Die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 81 GewO 1994 sind keine anderen als jene, an die das Gesetz in § 77 GewO 1994 die Errichtung und den Betrieb einer Anlage knüpft.

Die Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/04/0095 und 0098, mwN). Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrungen zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend der in diesem Zusammenhang in § 77 Abs. 2 GewO 1994 enthaltenen Tatbestandsmerkmale auszuüben vermögen. Die Auswirkungen der zu genehmigenden Betriebsanlage bzw. der zu genehmigenden Änderung einer genehmigten Betriebsanlage sind dabei unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten, d.h. am belastendsten sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0065, mwN).

Die Revision bringt nicht vor, das Verwaltungsgericht sei bei seiner einzelfallbezogenen Beurteilung von dieser Rechtsprechung abgewichen. Sie bringt vielmehr als grundsätzliche Rechtsfrage vor, das Verwaltungsgericht wäre von der hg. Rechtsprechung betreffend die Notwendigkeit von Messungen abgewichen.

Notwendigkeit von Messungen

In dieser Hinsicht hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt, dass für den Fall, dass eine Messung am entscheidenden Immissionspunkt möglich ist, es - von Ausnahmefällen abgesehen - unzulässig ist, die dort zu erwartenden Immissionen aus den Ergebnissen einer Messung an einem anderen Ort zu prognostizieren. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung ist der Durchführung von Messungen - soweit diese möglich sind - grundsätzlich der Vorrang vor lärmtechnischen Berechnungen einzuräumen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/03/0160, 0162, 0164 und 0165, mit Verweis auf die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl , GewO3 (2011) 829, wiedergegebene hg. Rechtsprechung und das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0046). Nach der bei Grabler/Stolzlechner/Wendl , aaO, wiedergegebenen hg. Rechtsprechung ist es - von Sonderfällen abgesehen - unzulässig, dann, wenn eine Messung am entscheidenden Immissionspunkt möglich ist, die dort zu erwartenden Immissionen aus den Ergebnissen einer Messung an einem anderen Ort zu prognostizieren. Auswirkungen der von einer geänderten Betriebsanlage ausgehenden Emissionen sind dort, wo eine Messung möglich ist, zu messen und nicht bloß zu berechnen oder zu schätzen. Im genannten Erkenntnis 2010/04/0046 hatte der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, aus der Natur des Verfahrens nach § 81 GewO 1994 als Projektverfahren ergebe sich zwar, dass - sofern das Projekt noch nicht tatsächlich verwirklicht wurde - die von der geänderten Betriebsanlage zu erwartenden Emissionen nicht gemessen, sondern lediglich berechnet werden könnten. Fallbezogen führte der Verwaltungsgerichtshof sodann weiter aus, dass nicht nachvollziehbar sei, warum der gewerbetechnische Sachverständige fallbezogen davon ausgegangen sei, dass Messungen der Schallemissionen nicht möglich seien.

In dieser Rechtsprechung wurde daher der Grundsatz entwickelt, dass der Durchführung von Messungen - soweit diese möglich sind - grundsätzlich der Vorrang vor lärmtechnischen Berechnungen einzuräumen ist. "Grundsätzlich" bedeutet, dass diese Verpflichtung nicht allgemein besteht, sobald eine Messung (technisch) möglich ist, allerdings kann nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist - wie das Erkenntnis 2010/04/0046 zeigt - auf sachverständiger Grundlage fallbezogen in schlüssiger Weise darzulegen.

Fallbezogene Beurteilung

In der vorliegenden Revisionssache hat der gewerbetechnische Sachverständige ausgeführt, die Durchführung von Lärmmessungen hätte eine schlüssige und nachvollziehbare Prognose der Auswirkungen der Änderungen kaum ermöglicht, da die Ergebnisse sehr von der jeweiligen momentanen Schallsituation während der jeweiligen Schallpegelmessung abhängig wären.

Mit dieser Begründung des Sachverständigen kann ein Ausnahmefall im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung nicht dargetan werden: Die Ergebnisse einer Schallmessung sind nämlich schon nach dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut in jedem Fall von der Schallsituation während der Messung abhängig. Somit treffen die Überlegungen des Sachverständigen auf den Regelfall zu und können daher schon aus diesem Grund einen Ausnahmefall nicht schlüssig dartun.

Diese Begründung des Sachverständigen hat das Verwaltungsgericht ohne Weiteres übernommen. Eine weitere Begründung, warum die Durchführung von Messungen, der nach der oben angeführten hg. Rechtsprechung grundsätzlich der Vorrang vor lärmtechnischen Berechnungen einzuräumen ist, aus sachverständiger Sicht nicht zu verwertbaren Ergebnissen geführt hätte, enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.

Dem Beschwerdevorbringen der Revisionswerber, es wäre die Durchführung einer Lärmmessung notwendig gewesen, setzte das Verwaltungsgericht alleine entgegen, diese fußten nicht auf sachverständigen Darlegungen und seien daher unbeachtlich. Zu dieser Auffassung ist darauf hinzuweisen, dass zwar ein schlüssiges und widerspruchsfreies Sachverständigengutachten in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden kann, jedoch das Postulat, einem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegen zu treten, einem mangelhaften Gutachten gegenüber nicht gilt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/04/0250, mwN).

Ergebnis

Das Verwaltungsgericht hat die oben aufgezeigte Rechtsprechung zur Notwendigkeit von Messungen nicht beachtet. Davon ausgehend hat es keine ausreichenden Feststellungen auf sachverständiger Grundlage zum Vorliegen eines Ausnahmefalles getroffen.

Aus diesem Grund hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Aufwandersatz

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am