VwGH vom 30.06.2011, 2011/23/0098
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/23/0099
2011/23/0101
2011/23/0100
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. des M A, geboren 1979,
2. der C A, geboren 1980, 3. des Z A, geboren 2005, und 4. des M A, geboren 2007, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 318.897-1/3E-XI/34/08 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0098) und Zl. 318.891-1/3E-XI/34/08 (ad 3., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0100), sowie vom , Zl. 318.889-1/3E-XI/34/08 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0099), und Zl. 318.893-1/3E-XI/34/08 (ad 4., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0101), betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt daher EUR 4.425,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind die Eltern des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers.
Der Erstbeschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach negativ verlaufenen Dublin-Konsultationen mit der Slowakei und Polen wurde das Verfahren des Erstbeschwerdeführers am durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte nach § 51 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gemäß § 28 Abs. 1 AsylG 2005 zugelassen.
Die Zweitbeschwerdeführerin sowie Dritt- und Viertbeschwerdeführer stellten nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet am ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz, nachdem sie zuvor - am - bereits in Polen Asylanträge gestellt hatten. Infolge der anschließend vom Bundesasylamt an Polen gerichteten Ersuchen nach der Dublin-Verordnung erklärte sich Polen mit Schreiben vom zur Wiederaufnahme der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung bereit, sowie mit Schreiben vom zur Aufnahme des Erstbeschwerdeführers auf Grundlage von Art. 14 lit. a Dublin-Verordnung.
Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und gemäß Art. 14 bzw. Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung die Zuständigkeit Polens für die Prüfung der Anträge festgestellt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurden die beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen; demzufolge sei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen zulässig.
Begründend führte das Bundesasylamt zusammengefasst aus, dass sich Polen verbindlich zur Übernahme der beschwerdeführenden Parteien bereit erklärt habe. Die Zulassung des Verfahrens des Erstbeschwerdeführers stehe einer späteren Zurückweisung gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 nicht entgegen. Da die gesamte Familie gemeinsam ausgewiesen werde, liege kein Eingriff in das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK vor. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 treffe auf Polen zu.
In der gegen diese Bescheide erhobenen Berufung beanstandeten die beschwerdeführenden Parteien, dass sie trotz Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten nun doch nicht zum Verfahren in Österreich zugelassen seien. Im Übrigen verstoße die Ausweisung - aus näher dargestellten Gründen - gegen Art. 3 EMRK, weshalb Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen habe.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 ab. Dem Bundesasylamt sei bei der Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 im Ergebnis beizupflichten, weil die Zuständigkeit Polens nach Art. 14 (lit. a) bzw. Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung gegeben sei. Eine - entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 bestehende - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung durch eine Überstellung nach Polen hätten die beschwerdeführenden Parteien nicht ausreichend substantiiert darlegen können. Vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung sei kein Gebrauch zu machen gewesen.
Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, erwogen hat:
Wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, wurde erst mehr als drei Monate nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet durch den Erstbeschwerdeführer Polen das den Erstbeschwerdeführer betreffende Aufnahmegesuch unterbreitet. Der in diesem Zusammenhang maßgebliche Art. 17 Abs. 1 der Dublin-Verordnung lautet:
"Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrags im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 den anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen.
Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig."
Schon auf Grund des Ablaufs der in Art. 17 Abs. 1 zweiter Satz Dublin-Verordnung normierten Frist wurde Österreich daher für die inhaltliche Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz des Erstbeschwerdeführers zuständig. Eine Zurückweisung dieses Antrags nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 war deshalb nicht mehr möglich.
Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkennend den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückwies, belastete sie den erstangefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf den zweit-, dritt- und viertangefochtenen Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Dritt- und Viertbeschwerdeführers durch (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2007/19/0469, 0470, vom , Zl. 2008/23/1377, sowie vom , Zl. 2007/20/0281, ua). Auch diese Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-92831