VwGH vom 26.05.2011, 2011/23/0093
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/23/0094
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. des GM, geboren 1935, 2. der DN, geboren 1940, beide vertreten durch Mag. Eva Huber-Stockinger, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Schillerstraße 12, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 215.843/1/22E-VI/18/00 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0093), Zl. 215.844/1/23E-VI/18/00 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0094), betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden im Umfang ihrer Anfechtung (Abweisung der Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin. Die beschwerdeführenden Parteien lebten bis 1993 in Aserbaidschan im Grenzgebiet zu der zwischen Aserbaidschan und Armenien umstrittenen Region Nagorny Karabach, das sie 1993 infolge des kriegerischen Konflikts um diesen Landesteil in Richtung Armenien verließen. Am beantragten die beschwerdeführenden Parteien in Österreich Asyl.
Vor dem Bundesasylamt, das "ASERBAID" als Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien festhielt, gab der Erstbeschwerdeführer an, in Aserbaidschan (in der damaligen Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik) geboren, jedoch armenischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein; die Zweitbeschwerdeführerin sei in Armenien geboren. Bis 1993 hätten sie in Sarow, Aserbaidschan, gelebt, wo der Erstbeschwerdeführer als Kraftfahrer gearbeitet habe. 1993 seien sie mit ihren Töchtern in den Geburtsort der Zweitbeschwerdeführerin nach Armenien geflohen, weil "alle Armenier (aus Aserbaidschan) weg mussten". Da das Leben in Armenien wegen der vielen Flüchtlinge aus Aserbaidschan wirtschaftlich sehr schwer gewesen sei, hätten sie Armenien nach einigen Monaten wieder verlassen und sich abwechselnd in Georgien und in Armenien aufgehalten. Ab 1996 hätten sie in verschiedenen russischen Städten gelebt und sich 1999 in die Ukraine begeben, von wo aus sie nach Österreich gelangt seien. Der Erstbeschwerdeführer habe niemals einen Reisepass besessen, sondern nur einen aserbaidschanischen Personalausweis. In Armenien hätten sie keine Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt und dort auch Reisepässe beantragt, diese aber nie erhalten. Die Behörden von Aserbaidschan würden ihnen keinen Reisepass ausstellen, sondern sie umbringen; 1993 seien alle Armenier vertrieben worden. Der Erstbeschwerdeführer gab weiters an, zuletzt Staatsangehöriger von Aserbaidschan gewesen zu sein und nun keine Staatsbürgerschaft mehr zu besitzen. Die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft sei ihm nicht entzogen worden; sie seien 1993 ausgereist. Fluchtgrund sei der Konflikt in Berg-Karabach gewesen. Nach Aserbaidschan könnten sie nicht zurück, weil ihnen dort der Tod drohe.
Die bei der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers anwesende Zweitbeschwerdeführerin stimmte seinen Angaben zu.
Mit Bescheiden vom wies das Bundesasylamt die Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.) und erklärte deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.).
In der von der belangten Behörde auf Grund der gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen durchgeführten Berufungsverhandlung gab der Erstbeschwerdeführer an, die Zweitbeschwerdeführerin 1961 geheiratet zu haben, die daraufhin zu ihm nach Aserbaidschan gezogen sei. Inzwischen seien drei gemeinsame Töchter nun armenische Staatsangehörige; die beschwerdeführenden Parteien selbst hätten sich in Armenien jedoch nie als Flüchtlinge registrieren lassen, sondern bei Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin gewohnt. In Armenien hätten sie sich nur sechs bis sieben Monate aufgehalten; anschließend seien sie in Georgien und Russland gewesen. Der Erstbeschwerdeführer sei lediglich 1995 nach Armenien zurückgekehrt, um sich ein Duplikat der gestohlenen Heiratsurkunde ausstellen zu lassen. Beweise für seinen Aufenthalt in den verschiedenen Staaten der ehemaligen Sowjetunion bis zu seiner Einreise nach Österreich könne er nicht beibringen. Staatsbürgerschaftsnachweise seien in Aserbaidschan erst nach der Unabhängigkeitserklärung ausgestellt worden. In seinem sowjetischen Reisepass sei seine Zugehörigkeit zur armenischen Volksgruppe vermerkt gewesen, aber auch der Geburts- und der Wohnort. Er fühle sich zwar als Armenier; wegen einer Bestätigung einer armenischen Staatsbürgerschaft habe er bei den armenischen Vertretungsbehörden jedoch nie vorgesprochen. Er sei in Armenien nicht nach seiner Staatsbürgerschaft gefragt worden und habe dort auch keinen armenischen Reisepass beantragt.
Die Zweitbeschwerdeführerin bestätigte auch diese Angaben des Erstbeschwerdeführers, wobei sie meinte, sie hätten sich bloß vier bis fünf Monate in Armenien aufgehalten.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien betreffend Spruchpunkt I. gemäß § 7 AsylG ab, stellte fest, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 nicht zulässig sei und erteilte ihnen gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Im Kopf der angefochtenen Bescheide führte die belangte Behörde neben den Namen und Geburtsdaten der beschwerdeführenden Parteien "StA.: ungeklärt" an.
Im erstangefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass der Erstbeschwerdeführer bis 1993 in Aserbaidschan gelebt habe, das er 1993 im Zusammenhang mit dem kriegerischen Konflikt um die Region Nagorny Karabach mit der Zweitbeschwerdeführerin und zwei gemeinsamen Kindern verlassen habe und nach Armenien gezogen sei, wo die beschwerdeführenden Parteien über einen nicht feststellbaren längeren Zeitraum verblieben seien. Nicht festgestellt werden könne, wo sich der Erstbeschwerdeführer in den folgenden Jahren, ab 1993 bis zum Einlangen im Bundesgebiet, aufgehalten habe. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer "wohl den Großteil dieses Zeitraums" mit der Zweitbeschwerdeführerin "nach wie vor" in Armenien verbracht habe. Glaubhaft sei, dass zwei Töchter in Armenien verheiratet und armenische Staatsbürger seien. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben des Erstbeschwerdeführers komme die belangte Behörde zum Ergebnis, dass "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sich auch der Erstbeschwerdeführer - wie seine Töchter - um die armenische Staatsbürgerschaft bemüht habe und diese ihm "offensichtlich" - wie den Töchtern - verliehen worden sei. Nicht feststellbar sei eine drohende asylrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr nach Armenien.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass die beschwerdeführenden Parteien dermaßen widersprüchliche Angaben über die Zeit nach 1993 gemacht hätten, dass die beschriebene Reisebewegung quer durch die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion nicht glaubhaft sei, woraus "einzig der Schluss zu ziehen" sei, dass der Erstbeschwerdeführer "wohl" einen wesentlich längeren Zeitraum als von ihm behauptet in Armenien verbracht haben müsse. Aus den widersprechenden Angaben werde offenkundig, dass der Erstbeschwerdeführer bemüht sei, die Geschehnisse in Armenien in den Jahren nach 1993 zu verschleiern. Aus Sicht der belangten Behörde sei der einzig logische Grund dafür, dass der Erstbeschwerdeführer gleichzeitig mit seinen Töchtern Flüchtlingsstatus in Armenien und in weiterer Folge auch die Staatsbürgerschaft "erhalten haben dürfte". In Summe komme die belangte Behörde "zum klaren Schluss", dass der Erstbeschwerdeführer Armenien nicht nach wenigen Monaten wieder verlassen habe, sondern "letztlich zu einem nicht mehr feststellbaren, aber wesentlich späteren Zeitpunkt und ganz offensichtlich nach Erhalt des Flüchtlingsstatus und nach Erhalt der armenischen Staatsbürgerschaft" Armenien verlassen habe, um direkt nach Österreich oder Deutschland zu gelangen.
In rechtlicher Hinsicht verneinte die belangte Behörde eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Armenien drohende asylrelevante Verfolgung. Wegen der schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen und des langjährigen Auslandsaufenthaltes sei eine umfangreiche und erfolgreiche Heilbehandlung der beschwerdeführenden Parteien in Armenien jedoch nicht zu erwarten, weshalb der Berufung gegen Spruchpunkt II. Folge zu geben und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen sei.
Im zweitangefochtenen Bescheid verwies die belangte Behörde "angesichts des vollkommen identischen Sachverhalts" auf den erstangefochtenen Bescheid, dessen Inhalt sie wiedergab.
Gegen die Versagung von Asyl in den angefochtenen Bescheiden richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Mit dem Vorwurf, die belangte Behörde habe es unterlassen, die Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien - oder im Falle ihrer Staatenlosigkeit, den Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes - nachvollziehbar festzustellen, zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0568, mwN).
Diesen Anforderungen werden die angefochtenen Bescheide in Bezug auf die Begründung des herangezogenen Herkunftsstaates nicht gerecht.
Als Herkunftsstaat gilt nach § 1 Z 4 AsylG der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/19/0502, und vom , Zl. 2007/19/0535, mwN).
Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden zu ermitteln und festzustellen. Bei Asylwerbern, die ihren wahren Herkunftsstaat verheimlichen, kann dessen Feststellung - in Ermangelung eines Hinweises auf eine asylrelevante Verfolgung in einem anderen als dem wahrheitswidrig vorgetäuschten Herkunftsstaat - für die Entscheidung über die Asylgewährung entbehrlich sein. Die Feststellung gemäß § 8 AsylG hat sich in solchen Fällen auf den (bloß) behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0410, mwN).
Während die belangte Behörde im Kopf der angefochtenen Bescheide festhält, dass die Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien ungeklärt sei, führt sie in der Beweiswürdigung dieser Bescheide aus, dass diese "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" Staatsbürger von Armenien seien, was sie im Wesentlichen (nur) mit den widersprüchlichen Angaben zum Aufenthalt nach dem Jahr 1993 begründete. Abgesehen davon, dass die angefochtenen Bescheide insoweit die Frage der Staatsbürgerschaft betreffend in sich widersprüchlich sind, fehlt es für die Annahme einer armenischen Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien an einer nachvollziehbaren Begründung. Insbesondere der Umstand, dass die in Armenien verheirateten Töchter der beschwerdeführenden Parteien die armenische Staatsbürgerschaft verliehen erhalten haben, vermag eine armenische Staatsangehörigkeit (auch) der beschwerdeführenden Parteien nicht nachvollziehbar zu begründen. Die belangte Behörde unterließ aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Erwerb oder Verlust einer etwaigen aserbaidschanischen Staatsbürgerschaft der beschwerdeführenden Parteien, obwohl der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesasylamt angab, dass ihm ein aserbaidschanischer Personalausweis ausgestellt worden sei.
Auch zur Bestimmung Armeniens als Staat des (dauernden) gewöhnlichen Aufenthaltes reichen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden nicht aus, konnte die belangte Behörde doch gerade nicht positiv feststellen, wo sich die beschwerdeführenden Parteien seit 1993 bis zum Einlangen im Bundesgebiet aufhielten (Seite 4 des erstangefochtenen Bescheids). Abgesehen davon, dass die Bescheide insoweit, als sie dazu gegenteilige beweiswürdigende Erwägungen zum Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in diesem Zeitraum enthalten, mit sich selbst abermals im Widerspruch stehen, fehlen für die in der Beweiswürdigung getroffene Ausführung, die beschwerdeführenden Parteien hätten "ganz offensichtlich nach Erhalt (…) der armenischen Staatsbürgerschaft Armenien verlassen (…) um direkt nach Österreich oder Deutschland zu gelangen" jegliche Beweisergebnisse.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich die Frage des angenommenen Herkunftsstaates einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht.
Diesen Fragen kommt auch entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil im vorliegenden Fall neben Armenien (u.a.) auch Aserbaidschan als Herkunftsstaat im Sinne des § 1 Z 4 AsylG in Betracht kommt und diesfalls eine darauf - und somit auf einen völlig anderen faktischen Hintergrund - bezogene Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft vorzunehmen gewesen wäre (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0159).
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2, im Rahmen des gestellten Begehrens.
Wien, am