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VwGH vom 30.06.2011, 2011/23/0089

VwGH vom 30.06.2011, 2011/23/0089

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2011/23/0090

2011/23/0092

2011/23/0091

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. der A K, geboren 1973,

2. des M B, geboren 1998, 3. der Z B, geboren 1997, und 4. der C K, geboren 2004, alle vertreten durch Dr. Maximilian Geiger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 262.413/4/12E-VIII/22/06 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0089), sowie die Bescheide vom , Zl. 262.415/2/8E-VIII/22/06 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0090), Zl. 262.414/2/8E-VIII/22/06 (ad 3., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0091) und Zl. 262.416/2/8E-VIII/22/06 (ad 4., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0092), jeweils betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der erstangefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (hinsichtlich Spruchpunkt I. - Abweisung der Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die zweit-, dritt- und viertangefochtenen Bescheide werden im Umfang ihrer Anfechtung (Spruchpunkt I. - Abweisung der Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt daher EUR 4.425,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des mj. Zweitbeschwerdeführers und der mj. Dritt- und Viertbeschwerdeführerin. Die beschwerdeführenden Parteien sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit; sie beantragten am die Gewährung von Asyl.

Die Erstbeschwerdeführerin machte als Fluchtgrund zunächst eine bestehende Gefahr auf Grund von Blutrache geltend, der neben ihrem Gatten auch zwei seiner Brüder zum Opfer gefallen seien. Darüber hinaus brachte sie in der Berufung vor, große Probleme wegen einer Beziehung zu einem Mann gehabt zu haben; deshalb befürchte sie, getötet zu werden. Bereits vor dem Bundesasylamt hatte die Erstbeschwerdeführerin in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sie zu ihrem Gatten kein gutes Verhältnis gehabt, mit diesem aber wegen ihrer "strengen Brüder" zusammengewohnt habe.

In der von der belangten Behörde durch einen männlichen Organwalter durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin an, weitere Probleme zu haben, über die sie aber wegen des anwesenden männlichen Dolmetschers nichts sagen wolle. Es falle ihr nicht leicht, darüber zu sprechen. Auch zur Rückkehrbefürchtung befragt gab sie an, dass es ihr peinlich wäre, darüber zu erzählen und es sich um "eine private Sache" handle. Sitten und Gebräuche ihres Herkunftslandes würden es ihr verbieten, in Anwesenheit eines Mannes darüber zu erzählen.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 (AsylG) iVm § 50 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 iVm § 15 Abs. 3 AsylG befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt (Spruchpunkt III.); gleichzeitig wurden die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gegen die Verweigerung der Gewährung von Asyl gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Beweiswürdigend begründete die belangte Behörde die Nichtgewährung von Asyl im Wesentlichen damit, dass die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen "ziemlich vage" und "dürftig" gewesen seien; allfällige Probleme wegen einer vorehelichen Beziehung seien nur angedeutet worden. Wiewohl das Vorbringen nicht widersprüchlich oder unplausibel gewesen sei, sei die Erstbeschwerdeführerin nicht bereit oder in der Lage gewesen, nähere Angaben über diese voreheliche Beziehung zu machen. Trotz Belehrung über die Führung des Verfahrens durch ein weibliches Senatsmitglied bei einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung habe sie keinen solchen Eingriff behauptet und ergebe sich ein solcher auch nicht aus dem schriftlichen Vorbringen. Die belangte Behörde meinte weiter, es "dürfte sich" um eine freiwillige, anscheinend sexuelle Beziehung vor der Ehe gehandelt haben. Die Erstbeschwerdeführerin sei aber nicht sehr willig gewesen, über ihre offenbar im privaten Bereich gelegenen Probleme in Tschetschenien zu sprechen.

Gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid wendet sich mit dem Argument, dass zur Befragung der Erstbeschwerdeführerin von der belangten Behörde eine Frau beigezogen hätte werden müssen, gegen deren Beweiswürdigung und die daraus resultierenden Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid, und ist damit im Recht:

Die Erstbeschwerdeführerin hat ihren Asylantrag vor der belangten Behörde (unter anderem) mit einer (sexuellen) Beziehung zu einem anderen Mann und den daraus resultierenden Problemen in ihrem Heimatland begründet. Insoweit, als damit die außereheliche Beziehung der Beschwerdeführerin und die daraus für sie erwachsenden Konsequenzen Thema waren, gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem zur Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG ergangenen hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0285, zu Grunde lag, weshalb gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf dessen Begründung verwiesen wird.

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt - im Familienverfahren nach § 10 Abs. 5 AsylG - auf die mj. Kinder der Erstbeschwerdeführerin, den Zweitbeschwerdeführer sowie die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin durch (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/01/0047, 0089 und 0090). Die zweit-, dritt- und viertangefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
WAAAE-92816

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