VwGH vom 11.08.2011, 2011/23/0087

VwGH vom 11.08.2011, 2011/23/0087

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des N B, geboren 1988, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 267.649/0/8E-II/04/06, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, beantragte am Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass seine Familie zu Unrecht verdächtigt worden sei, Schuld am Verschwinden eines jungen Mannes zu haben. Von dessen Familie seien sie beschuldigt worden, diesen ermordet zu haben. Die Familie des Verschwundenen wie auch die staatliche Polizei hätten den Vater des Beschwerdeführers, und in dessen Stellvertretung auch den Beschwerdeführer selbst, verfolgt.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte jedoch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für nicht zulässig (Spruchpunkt II.) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Auf Grund der gegen Spruchteil I. dieses Bescheides erhobenen Berufung des Beschwerdeführers holte die belangte Behörde Gutachten des länderkundlichen Sachverständigen Univ. Doz. Dr. Max Klimburg "über die Hazara in Afghanistan" sowie "betreffend die Berufung des (Beschwerdeführers)" jeweils vom ein. In dem zuletzt genannten Gutachten heißt es u.a. wörtlich (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof Schreibfehler im Original):

"In meiner Beurteilung schließe ich mich vollinhaltlich den Ausführungen des BAA im Bescheid vom an. Asylrelevante religiöse, politische oder ethnische Fluchtgründe liegen nicht vor. Auch ich sehe viel Widersprüchliches und wenig Plausibilität, und außerdem trägt die Aussage des Zeugen J bei, zusätzlich Einiges für unglaubwürdig zu halten. Beim Vorgehen gegen den mordverdächtigen Vater des (Beschwerdeführers) ist immer wieder nur von der 'Polizei' die Rede, was bestätigen würde, dass die afghanische Provinzverwaltung bereits vor zwei Jahren zu polizeilichen Maßnahmen bei Mordfällen imstande gewesen sei und von der Bevölkering ernst genommen werde. Polizeiliche Übergriffe bei Verhören von Verdächtigen können als gegeben angenommen werden. Junge Söhne von Mordverdächtigten und somit auch der (Beschwerdeführer) haben jedenfalls von der Polizei nichts zu befürchten, so dass eine einschlägige Gefährdung des (Beschwerdeführers) bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht gesehen werden kann. Ein Blutracheakt von Seiten der Familie des A B ist natürlich denkbar, und ein denkbares Opfer wäre derzeit der im Land gebliebene jüngste der drei Brüder, der aber offensichtlich unbehelligt im Heimatort lebt. Jedenfalls scheint die Familie des A B die Rache eher der Polizei zuzumuten als sich selbst, sofern überhaupt ein entsprechender Fall vorliegt.

Bei einer evenutellen Rückkehr des (Beschwerdeführers) nach Afghanistan wäre er freilich mit der Frage des physischen Überlebens und - sofern die angegebene Bedrohung durch Feinde wirklich existiert - mit der Notwendigkeit einer Fluchtalternative im Inland konfrontiert. Diese existiert, und ich verweise diesbezüglich auf mein allgemeines Hazara-Gutachten gleichen Datums."

Zu diesem Gutachten gab der Beschwerdeführer am eine schriftliche Stellungnahme ab, in der er u. a. eine zeugenschaftliche Einvernahme seines in Österreich lebenden Bruders und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die "Beschwerde" des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensverlaufs und Wiedergabe des Inhalts der Gutachten zusammengefasst aus, dass dem allgemeinen Gutachten lediglich in der bestrittenen Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative widersprochen worden sei. Der entscheidenden Passage des zweiten Gutachtens sei der Beschwerdeführer hingegen nicht entgegengetreten. Weiters führte die belangte Behörde aus:

"Auf dieser Grundlage hat aber das Beschwerdeverfahren hinsichtlich des - allein verfahrensgegenständlichen - Spruchteiles I des angefochtenen Bescheides keinerlei Anhaltspunkte dafür geboten, zu einem anderen Ergebnis als bereits das Bundesasylamt zu gelangen, da selbst bei Zutreffen des angeblich gefährdungsbegründenden Sachverhaltes (...) gegen eine relevante, dem Beschwerdeführer (mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (...)) drohende Gefahr aus dem Titel der Blutrache der Umstand spricht, dass der jüngste Bruder des Beschwerdeführers gegenwärtig 'unbehelligt im Heimatort lebt' und der eines Verbrechens nicht selbst verdächtige Beschwerdeführer auch von Seiten der staatlichen 'Polizei nichts zu befürchten' hat."

Mangels asylrelevanter Gefährdung komme es auf die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde rügt u.a. die unterlassene Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung sowie die mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides und zeigt damit relevante Verfahrensmängel auf.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtet (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0550, mwN).

Darüber hinaus erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes nach dem im vorliegenden Fall noch anzuwendenden Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG idF BGBl. I Nr. 5/2008, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung der hg. Rechtsprechung im Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/0216, 0217).

Der vorliegende Fall gleicht in den entscheidungswesentlichen Punkten insoweit, als sich die belangte Behörde darauf beschränkte, das Berufungsverfahren schriftlich abzuwickeln und die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers durch einen länderkundlichen Sachverständigen überprüfen zu lassen, und trotz Antrags des Beschwerdeführers ohne Begründung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung unterließ, wodurch die belangte Behörde sowohl die Verhandlungspflicht als auch die Begründungspflicht in Bezug auf den Berufungsbescheid relevant verletzte, sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht jenem, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0714, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort genannten Gründen war auch der hier angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das auf den Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die gewährte Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am