VwGH vom 18.08.2017, Ro 2015/04/0007

VwGH vom 18.08.2017, Ro 2015/04/0007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revisionen 1. des Landeshauptmannes von Steiermark und 2. der Bezirkshauptmannschaft Voitsberg gegen die Entscheidung (Erkenntnis und Beschluss) des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 41.25-5353/2014-19, betreffend Feststellung der individuellen Befähigung nach § 19 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: A K in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtene Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 1. Am ersuchte die mitbeteiligte Partei die zweitrevisionswerbende Bezirkshauptmannschaft Voitsberg um Feststellung der individuellen Befähigung gemäß § 19 GewO 1994 für das Teilgewerbe "Fahrradtechnik".

2 Mit Bescheid vom stellte die zweitrevisionswerbende Bezirkshauptmannschaft fest, dass "der individuelle Befähigungsnachweis als Voraussetzung für die Ausübung des Teilgewerbes ‚Fahrradtechnik' nicht gegeben ist". Dies begründete die Behörde im Wesentlichen damit, dass auf Grund der vorgelegten Unterlagen weder die Ausbildung noch die einjährige fachliche Tätigkeit habe nachgewiesen werden können.

3 2. Mit der angefochtenen Entscheidung vom gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) zum einen der erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei statt und hob den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft auf (A. Erkenntnis). Zum anderen wies das Verwaltungsgericht den Feststellungsantrag der mitbeteiligten Partei zurück (B. Beschluss). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für zulässig erklärt.

4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, das - das Verfahren einleitende und auf die Feststellung der individuellen Befähigung zur Ausübung des Teilgewerbes "Fahrradtechnik" gerichtete - Anbringen sei "losgelöst von einem gewerberechtlichen Vorgang" eingebracht worden. § 19 GewO 1994 habe jedoch vor Augen, dass in jenen Fällen, in denen ein Befähigungsnachweis verlangt werde, also in Zusammenhang mit einem gewerberechtlichen Vorgang, eine amtswegige Feststellung zu erfolgen habe, wenn der vorgeschriebene Befähigungsnachweis nicht erbracht werden könne. In Ermangelung einer materienrechtlich verankerten Antragslegitimation seien daher die in Bezug auf Feststellungsbescheide aus § 56 AVG abgeleiteten Maßstäbe für die Zulässigkeit eines derartigen Feststellungsantrages heranzuziehen. Im vorliegenden Fall sei von Antragstellerseite unter Vorlage einer Bestätigung der Sportunion Steiermark dargetan worden, dass die mitbeteiligte Partei künftig die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der Sportunion auf dem Sektor der Dienstleistung "Bikefitting / Optimierung der Radposition" im Rahmen der Radoptimierung für den Renn- und Triathlonbereich haben würde. Dies könne sowohl im Einzelpaket als auch in Kombination mit anderen Leistungen (wie zB einer Leistungsergometrie und/oder einer physiotherapeutischen Maßnahme) gebucht werden. Die mitbeteiligte Partei solle den Bereich der Radoptimierung abdecken, zumal sie eine langjährige, spezifische Erfahrung mitbringe. Laut Mitteilung der Sportunion sei geplant, dass die mitbeteiligte Partei diese Tätigkeiten auf selbständiger Basis, also auf eigene Rechnung und Gefahr, ausübe.

Aus Sicht des Verwaltungsgerichtes sei die der mitbeteiligten Partei in Aussicht gestellte Kooperation für sich genommen jedoch nicht geeignet, ein entsprechendes rechtliches Interesse an der Feststellung der individuellen Befähigung ohne Zusammenhang mit einem gewerberechtlichen Vorgang zu begründen. Die mitbeteiligte Partei solle für die Sportunion weder als gewerberechtlicher Geschäftsführer noch als befähigter Arbeitnehmer fungieren. Vielmehr sei eine selbständige Tätigkeit geplant, weshalb die begehrte Feststellung im Rahmen eines Gewerbeanmeldeverfahrens amtswegig von der zuständigen Gewerbebehörde erwirkt werden könne.

5 3. Gegen diese Entscheidung richten sich die vorliegenden ordentlichen Amtsrevisionen, die das Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt hat.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssachen auf Grund ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs verbunden und sodann erwogen:

6 1. Zur Zulässigkeit bringen die Revisionen jeweils vor, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Antragslegitimation nach § 19 GewO 1994 fehle. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Antrag auf Feststellung einer individuellen Befähigung losgelöst von einer Gewerbeanmeldung oder Geschäftsführerbestellung nicht möglich sei.

7 2. Die Revisionen sind zulässig und berechtigt. 8 2.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen

Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194, in der Fassung BGBl. I Nr. 131/2004 (§ 16), BGBl. I Nr. 85/2012 (§§ 18 und 19), BGBl. I Nr. 161/2006 (§ 339), BGBl. I Nr. 42/2008 (§ 340) bzw. BGBl. I Nr. 120/2016 (§ 365a), lauten auszugsweise wie folgt:

"Befähigungsnachweis

Allgemeine Bestimmungen

§ 16. (1) Voraussetzung für die Ausübung von reglementierten Gewerben und von Teilgewerben ist ferner der Nachweis der Befähigung. Kann der Einschreiter diesen Nachweis nicht erbringen, so hat er einen Geschäftsführer (§ 39) zu bestellen. (...)

(2) Unter Befähigungsnachweis ist der Nachweis zu verstehen, daß der Einschreiter die fachlichen einschließlich der kaufmännischen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt, um die dem betreffenden Gewerbe eigentümlichen Tätigkeiten selbständig ausführen zu können.

(3) bis (4) (...)"

"Befähigungsnachweis für reglementierte Gewerbe

§ 18. (1) Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit

hat für jedes reglementierte Gewerbe, hinsichtlich der im § 94

Z 14, 32, 33, 41 und 46 genannten Gewerbe und hinsichtlich des im

§ 94 Z 42 genannten Gewerbes, soweit es sich um die Tätigkeiten

des Piercens und Tätowierens handelt, im Einvernehmen mit dem

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen, durch

Verordnung festzulegen, durch welche Belege - für sich allein oder

in entsprechender Verbindung untereinander - die

Zugangsvoraussetzungen zum betreffenden Gewerbe, gegebenenfalls

für dessen eingeschränkte Ausübung, im Hinblick auf die hiefür

erforderliche fachliche Befähigung jedenfalls als erfüllt

anzusehen sind. (...)

(2) Als Belege im Sinne des Abs. 1 kommen in Betracht

1. Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Meisterprüfung

bei den im § 94 als Handwerke bezeichneten reglementierten

Gewerben oder über eine sonstige Befähigungsprüfung;

2. Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Unternehmerprüfung;

3. Zeugnis über den Abschluss einer Studienrichtung an

einer Universität;

4. Zeugnis über den erfolgreichen Besuch eines

Fachhochschul-Studienganges;

5. Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Schule;

6. Zeugnis über den erfolgreichen Besuch eines Lehrganges;

7. Zeugnis über die erfolgreich abgelegte

Lehrabschlussprüfung;

8. Zeugnis über eine fachliche Tätigkeit;

9. Zeugnis über eine Tätigkeit in leitender Stellung;

10. Zeugnis über eine Tätigkeit als Betriebsleiter;

11. Nachweise über eine Tätigkeit als Selbstständiger.

(3) bis (5) und (7) (...)"

"Individueller Befähigungsnachweis

§ 19. Kann der nach § 18 Abs. 1 vorgeschriebene Befähigungsnachweis nicht erbracht werden, so hat die Behörde unter Bedachtnahme auf Vorschriften gemäß § 18 Abs. 4 das Vorliegen der individuellen Befähigung festzustellen, wenn durch die beigebrachten Beweismittel die für die jeweilige Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen nachgewiesen werden. Die Behörde hat das Vorliegen der individuellen Befähigung mit der Beschränkung auf Teiltätigkeiten des betreffenden Gewerbes auszusprechen, wenn die Befähigung nur in diesem Umfang vorliegt. § 373d Abs. 5 ist sinngemäß anzuwenden."

"§ 339. (1) Wer ein Gewerbe ausüben will, hat die Gewerbeanmeldung bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes zu erstatten.

(2) (...)

(3) Der Anmeldung sind folgende Belege anzuschließen:

1. (...)

2. falls ein Befähigungsnachweis für das betreffende

Gewerbe vorgeschrieben ist, die entsprechenden Belege, im Fall des

§ 16 Abs. 1 zweiter Satz die Anzeige der erfolgten Bestellung

eines Geschäftsführers und

3. (...)

(4) (...)"

"§ 340. (1) Auf Grund der Anmeldung des Gewerbes (§ 339 Abs. 1) hat die Behörde zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch den Anmelder in dem betreffenden Standort vorliegen. (...)

(2) bis (3) (...)"

"Daten über natürliche Personen

§ 365a. (1) Die Behörde hat natürliche Personen in das GISA einzutragen, die in der Funktion als Gewerbeinhaber, Fortbetriebsberechtigte, Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer tätig sind. Hinsichtlich der genannten Personen sind folgende Daten in das GISA einzutragen:

1. bis 19. (...)

(2) Weiters sind in das GISA einzutragen:

1. bis 9. (...)

10. folgende Daten über natürliche Personen, bei denen ein

Verfahren auf Feststellung der individuellen Befähigung, auf Erteilung einer Nachsicht von den Voraussetzungen für die Ausübung von Gewerben, auf Erteilung einer Anerkennung gemäß § 373c oder einer Gleichhaltung gemäß §§ 373d oder 373e geführt wurde und die nicht nach Abs. 1 einzutragen sind: (...)

11. bis 12. (...)

(3) bis (5) (...)"

9 2.2. Im vorliegenden Fall geht aus der Aktenlage hervor, dass die mitbeteiligte Partei einen Antrag auf Feststellung der individuellen Befähigung gemäß § 19 GewO 1994 für das Teilgewerbe "Fahrradtechnik" gestellt hat, dies jedoch unabhängig von einer Gewerbeanmeldung gemäß § 339 GewO 1994.

10 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ergibt sich zwar aus dem Wortlaut des § 19 erster Satz GewO 1994, dass für die danach von der Behörde zu treffende Feststellung ein gesonderter Antrag des Gewerbetreibenden nicht erforderlich ist. Die Behörde hat in all jenen Fällen, in denen die Gewerbeordnung 1994 einen Befähigungsnachweis verlangt, bei Nichtvorliegen des (formellen) Befähigungsnachweises gemäß § 18 GewO 1994 zu untersuchen, ob dem Gewerbetreibenden die individuelle Befähigung nach § 19 GewO 1994 zukommt. Das trifft etwa auf das Anmeldeverfahren nach §§ 339 f GewO 1994 oder auf die Genehmigung der Bestellung eines Geschäftsführers nach § 95 Abs. 2 GewO 1994 zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0089).

11 Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob die Feststellung der individuellen Befähigung losgelöst von einem dieser Verfahren beantragt werden kann. Dem Wortlaut des § 19 GewO 1994 ist ein derartiges Antragsrecht nicht explizit zu entnehmen. Andererseits schließt der Wortlaut die Zulässigkeit eines solchen auch nicht aus (vgl. Wieser, Der individuelle Befähigungsnachweis nach § 19 GewO, ÖZW 2005, 34 (45)).

12 Anders als § 18 GewO 1994 in Bezug auf das Vorliegen eines (formalen) Befähigungsnachweises (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0114) sieht § 19 GewO 1994 jedenfalls eine gesonderte bescheidmäßige Feststellung über das Vorliegen der individuellen Befähigung vor. Dass eine solche auch losgelöst von einem Anmeldeverfahren beantragt werden kann, lässt sich aus § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 ableiten:

Diese Bestimmung wurde im Zuge der Einführung des Gewerbeinformationssystems Austria (GISA) und der dabei erfolgten Ergänzung der einzutragenden Daten über natürliche Personen durch die Novelle BGBl. I Nr. 18/2015 eingefügt. Gemäß § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 sind bestimmte Daten über natürliche Personen in das GISA einzutragen, bei denen "ein Verfahren auf Feststellung der individuellen Befähigung" geführt wurde und "die nicht nach Abs. 1 einzutragen sind". Nach § 365a Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde natürliche Personen in das GISA einzutragen, die in der Funktion als Gewerbeinhaber, Fortbetriebsberechtigter, Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer tätig sind. Durch die in § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 vorgesehene Aufnahme von Daten aus Verfahren betreffend individuelle Befähigung soll sichergestellt werden, dass Personen, auf die sich solche Verfahren mit positivem Ausgang bezogen haben, die entsprechenden Unterlagen nicht mehr vorlegen müssen, auch wenn die Anmeldung eines Gewerbes bei einer anderen Behörde erfolgt (vgl. RV 323 BlgNR 25. GP 3). Da sich § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 ausdrücklich auf Konstellationen bezieht, in denen die natürlichen Personen nicht als Gewerbeinhaber, Fortbetriebsberechtigter, Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer agieren (arg: "die nicht nach Abs. 1 einzutragen sind"), setzt diese Regelung voraus, dass die Gewerbeordnung "Verfahren auf Feststellung der individuellen Befähigung" auch ohne Zusammenhang mit gewerberechtlichen Vorgängen wie der Gewerbeanmeldung gemäß § 339 GewO 1994 oder der Bestellung eines Geschäftsführers gemäß § 95 GewO 1994 erlaubt, weil anderenfalls § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 mangels Anwendungsbereich ins Leere ginge.

Der Umstand, dass § 365a Abs. 2 Z 10 GewO 1994 erst nach der Erlassung der angefochtenen Entscheidung Eingang in die Gewerbeordnung gefunden hat, ist im vorliegenden Fall nicht relevant, weil durch diese Bestimmung der Inhalt des § 19 GewO 1994 nicht geändert wurde, sondern der Gesetzgeber hier lediglich sein (ursprünglich bereits vorhandenes) Verständnis zum Ausdruck gebracht hat.

13 Somit sind "selbständige" Anträge auf Feststellung über das Vorliegen der individuellen Befähigung gemäß § 19 GewO 1994 zulässig (so wurde auch im genannten Erkenntnis 2010/04/0114 die Zulässigkeit eines Antrages, der alleine die Feststellung der individuellen Befähigung zum Gegenstand hatte, implizit bejaht).

14 3. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und die Antragslegitimation der mitbeteiligten Partei verneinte, hat es die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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