VwGH vom 18.08.2017, Ra 2015/04/0010
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der G in B, vertreten durch die Köhler Draskovits Unger Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Amerlingstraße 19, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AB-14-4123, betreffend Antrag auf Auskunftserteilung nach dem NÖ Auskunftsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde L, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde L vom wurde der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Erteilung von Auskünften betreffend näher genannte Zahlungen der Marktgemeinde L für Rechtsanwaltshonorare an die List Rechtsanwalts GmbH nach dem NÖ Auskunftsgesetz abgewiesen.
2 Der Gemeindevorstand begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Auskunftserteilung das Recht der List Rechtsanwalts GmbH auf Geheimhaltung ihrer personenbezogenen Daten entgegenstehe und die Honorarabrechnung keine Umweltinformation im Sinne des § 8 NÖ Auskunftsgesetz darstelle.
3 2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gab der dagegen erhobenen Beschwerde der revisionswerbenden Partei mit dem angefochtenen Erkenntnis vom keine Folge. Unter einem erklärte es die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, die revisionswerbende Partei habe an die Marktgemeinde L die Frage gerichtet, ob diese im Jahr 2012 für die List Rechtsanwalts GmbH finanzielle Aufwendungen getätigt habe und bejahendenfalls in welcher Höhe. Daraufhin sei von der List Rechtsanwalts GmbH "namens und auftrags der Marktgemeinde (...)" mitgeteilt worden, dass sie die Marktgemeinde und mehrere 100 Bürger im Genehmigungsverfahren gegen eine geplante Abfallbehandlungsanlage vertrete und dass sie dafür marktübliche Honorare in Rechnung stelle. In der Folge habe die revisionswerbende Partei ihr Auskunftsbegehren dahingehend ergänzt, ob von der Marktgemeinde L nur Zahlungen für von ihr selbst oder auch von Dritten in Anspruch genommenen Leistungen erbracht worden seien. Über Anfrage des Bürgermeisters der Marktgemeinde L habe die List Rechtsanwalts GmbH mitgeteilt, dass einer Bekanntgabe der Daten hinsichtlich der für den Leistungszeitraum 2012 bezahlten Honorare und Barauslagen nicht zugestimmt werde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sei von der revisionswerbenden Partei der Standpunkt vertreten worden, dass es sich gegenständlich um kein Auskunftsbegehren nach dem 2. Abschnitt des NÖ Auskunftsgesetzes (Umweltinformation) handle.
5 In seinen rechtlichen Ausführungen ging das Verwaltungsgericht davon aus, das Auskunftsbegehren der revisionswerbenden Partei betreffe die seitens der List Rechtsanwalts GmbH an die Marktgemeinde L im Jahr 2012 gelegten Honorarnoten bzw. die Verrechnungsmodalitäten. Insoweit könne nicht übersehen werden, dass Leistungen des Rechtsanwalts zwar mangels abweichender Vereinbarung nach dem Rechtsanwaltstarifgesetz und den allgemeinen Honorarkriterien zu honorieren seien, es aber den Betroffenen auch - mit erheblicher Bandbreite - offen stehe, individuelle Honorarvereinbarungen abzuschließen. Bei der Art und Weise der Ausgestaltung dieser Vereinbarung handle es sich - auf Seiten des Anwalts - um ein Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis, dessen Kenntnis Rückschlüsse unter anderem auf die ihr zugrunde liegende Kalkulation ebenso zulassen könne wie auf Art und Umfang der erbrachten Leistungen. Beides unterliege - aus der Perspektive des Anwalts - aber auch der ihn treffenden Verschwiegenheitspflicht nach § 9 RAO. Wenn die revisionswerbende Partei vermeine, letzterer Umstand wäre vorliegend unerheblich, weil es um eine Auskunftspflicht der Gemeinde gehe, übersehe sie, dass - gerade bei den individuellen Honorarvereinbarungen im Fall einer Mehrzahl von einem Anwalt vertretener Personen - nicht nur das Verhältnis der Gemeinde zum Anwalt sondern auch jenes der Vertretenen untereinander aufzudecken wäre. Möge daher der Bürgermeister Kenntnis von entsprechenden zwischen der Marktgemeinde, der List Rechtsanwalts GmbH und weiteren Personen abgeschlossenen Vereinbarungen haben, würden durch ihre Preisgabe zum einen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der List Rechtsanwalts GmbH sowie - nach § 1 DSG geschützte - Rechte der weiteren von dieser vertretenen Personen verletzt.
Zumal kein über das reine Auskunftsinteresse im Sinne des § 2 Abs. 1 NÖ Auskunftsgesetz hinausgehendes Interesse an der Auskunftserteilung ersichtlich sei, diesem Interesse aber berechtigte - vom Amtsgeheimnis umfasste - Interessen entgegen stünden, könne der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie in Folge der erforderlichen Interessenabwägung die beantragte Auskunft verweigert habe.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die das Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt hat.
7 4. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt. II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 1. Die Zulässigkeit der Revision wird damit begründet, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Das Verwaltungsgericht habe eine falsche Subsumtion des festgestellten Sachverhalts vorgenommen, da weder Auskunft über die Verrechnungsmodalitäten, Art und Weise der Honorarvereinbarung, die Kalkulation noch über Art und Umfang der erbrachten Leistungen begehrt worden sei.
9 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 10 2.1. Art. 20 B-VG, BGBl. 1/1930 in der Fassung
BGBl. I Nr. 51/2012, lautet auszugsweise wie folgt:
"Artikel 20. (1) und (2) (...)
(3) Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist (Amtsverschwiegenheit). Die Amtsverschwiegenheit besteht für die von einem allgemeinen Vertretungskörper bestellten Funktionäre nicht gegenüber diesem Vertretungskörper, wenn er derartige Auskünfte ausdrücklich verlangt.
(4) Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht; berufliche Vertretungen sind nur gegenüber den ihnen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird. Die näheren Regelungen sind hinsichtlich der Organe des Bundes sowie der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, hinsichtlich der Organe der Länder und Gemeinden sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache, in der Ausführungsgesetzgebung und in der Vollziehung Landessache."
11 Gemäß § 3 Auskunftspflicht-Grundsatzgesetz, BGBl. Nr. 286/1987 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, regelt die Landesgesetzgebung (bezüglich der Organe der Länder, der Gemeinden sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung), in welchem Umfang Auskünfte zu erteilen sind, und inwieweit besondere Einrichtungen mit der Erfüllung der Auskunftspflicht betraut werden können.
12 Nach § 2 Abs. 1 des NÖ Auskunftsgesetzes, LGBl. Nr. 0020- 4, hat jeder das Recht, Auskunft von Organen des Landes, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung zu erhalten.
§ 5 NÖ Auskunftsgesetz sieht Einschränkungen des Auskunftsrechts vor. Nach Abs. 1 Z 2 leg cit darf die Auskunft unter anderem dann verweigert werden, wenn der Erteilung der Auskunft eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegensteht.
13 2.2. Die Landesgesetzgebung ist bei der Regelung des Umfanges der Auskunftserteilung grundsätzlich an Art. 20 Abs. 4 B-VG gebunden (vgl. in Bezug auf den Auskunftsbegriff die hg. Erkenntnisse vom , 2010/05/0230, und vom , Ra 2015/03/0038, jeweils mwN). So hat der Verwaltungsgerichtshof zur gleichlautenden Regelung im Tiroler Auskunftspflichtgesetz bereits ausgesprochen, dass als gesetzliche Verschwiegenheitspflicht sowohl die in Art. 20 Abs. 3 B-VG umschriebene Amtsverschwiegenheit als auch (eigenständig) die in § 1 Abs. 1 und 2 Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000) umschriebene Pflicht zur Geheimhaltung personenbezogener Daten in Betracht kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/03/0109, mwN). Ebenso stellen die Erläuterungen zu Art. 20 Abs. 4 B-VG klar, dass sich der Begriff "gesetzliche Verschwiegenheitspflicht" nicht nur auf die in zahlreichen einfachgesetzlichen Regelungen enthaltenen besonderen Verschwiegenheitspflichten, sondern auch auf die in Art. 20 Abs. 3 B-VG geregelte Amtsverschwiegenheit selbst bezieht (vgl. RV 39 BlgNR 17. GP 4).
14 Die Amtsverschwiegenheit nach Art. 20 Abs. 3 B-VG gilt unter anderem für Tatsachen, deren Geheimhaltung im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist. Der Begriff der "Partei" muss dabei im weitesten Sinn verstanden werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/04/0139). Er umfasst alle Personen, die aus irgendeinem Anlass mit der Behörde in Berührung kommen bzw. bezüglich deren den Verwaltungsorganen aus ihrer amtlichen Tätigkeit Tatsachen bekannt geworden sind (vgl. Wieser, Art. 20 Abs. 3 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht Rz. 35 mwN (2001)). Der Geheimhaltungstatbestand bezieht sich allgemein auf schutzwürdige Interessen der Bürger, über die der Staat die Informationsherrschaft ausübt (vgl. Feik, Art. 20 Abs. 3 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Rz. 9 (2007)). Geschützt ist dabei grundsätzlich jedes Interesse, also sowohl ein rechtliches als auch ein wirtschaftliches, politisches oder rein persönliches (vgl. Wieser, aaO Rz. 35 mwN). Nach der hg. Rechtsprechung sind dementsprechend auch - im vorliegenden Fall vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse umfasst (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/05/0213).
Während unter "Geschäftsgeheimnissen"Vorgänge geschäftlicher, das heißt kommerzieller Art wie etwa Kalkulationsgrundlagen für die Verkaufspreise, Marktstrategien, Zahlungsbedingungen, Bilanzen oder Einkaufskonditionen verstanden werden, zählen zu "Betriebsgeheimnissen"Tatsachen technischer Natur wie zB die Zusammensetzung eines Produktes oder die Abläufe bei der Warenerzeugung (vgl. die Nachweise bei Hanslik, Parteiengehör und Geheimnisschutz im Verwaltungsverfahren (2013) 111 f).
15 2.3. Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung des Antrags der revisionswerbenden Partei auf Auskunftserteilung als rechtmäßig erachtet, weil im vorliegenden Fall ein Betriebsbzw. Geschäftsgeheimnis vorliege. Die Art und Weise der Ausgestaltung der Honorarvereinbarung lasse nämlich Rückschlüsse auf die ihr zugrunde liegende Kalkulation sowie auf die erbrachten Leistungen zu. Beides unterliege zudem der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht.
16 Diese Begründung erweist sich schon deshalb als nicht tragfähig, weil das Auskunftsbegehren der revisionswerbenden Partei - wie diese in der Revision selbst vorbringt und auch das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen festhält - allein darauf gerichtet ist, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Marktgemeinde L im Jahr 2012 finanzielle Aufwendungen für die List Rechtsanwalts GmbH getätigt habe und ob von der Marktgemeinde L dabei auch Leistungen von der List Rechtsanwalts GmbH beglichen worden seien, die diese für Dritte erbracht habe.
17 Das Auskunftsbegehren hat somit ausschließlich die (Gesamt)höhe der von der Marktgemeinde an die List Rechtsanwalts GmbH - bezogen auf einen bestimmten Zeitraum - bezahlten Honorare zum Gegenstand. Eine genaue Aufschlüsselung, durch die die Kalkulation der Honorarvereinbarung sowie die Art und der Umfang der erbrachten Leistungen offengelegt würde, hat die revisionswerbende Partei nicht beantragt, weshalb durch die begehrte Auskunft auch kein Eingriff in ein Geschäftsbzw. Betriebsgeheimnis der List Rechtsanwalts GmbH berührt wird. Durch die bloße Bekanntgabe der Gesamthöhe der bezahlten Honorare werden in einem Fall wie dem vorliegenden auch weder die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht noch die nach § 1 DSG 2000 geschützten Rechte der weiteren durch die List Rechtsanwalts GmbH vertretenen Personen verletzt.
18 Das gilt ebenso für das weitere Auskunftsbegehren, nämlich ob die Marktgemeinde L nur Zahlungen für von ihr selbst oder auch von Dritten in Anspruch genommene Leistungen geleistet habe. Es handelt sich dabei um eine lediglich mit ja oder nein zu beantwortende Frage. Da eine Nennung der von der List Rechtsanwalts GmbH gegebenenfalls vertretenen Personen nicht verlangt wird, können diese schon deshalb nicht in ihrem nach § 1 DSG 2000 geschützten Recht auf Datenschutz verletzt sein.
19 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts steht dem Auskunftsbegehren der revisionswerbenden Partei somit keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 NÖ Auskunftsgesetz entgegen.
20 3. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte: | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
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