VwGH vom 27.04.2011, 2011/23/0062
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des AH, geboren 1989 alias , vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 308.387- C1/E1-XIV/16/06, betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste über eine griechische Außengrenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und gelangte in der Folge - ohne zuvor einen Asylantrag gestellt zu haben - in das Bundesgebiet, wo er am um internationalen Schutz ansuchte.
In der Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der Bundespolizeidirektion Salzburg, Fremdenpolizeiliches Referat, wurde als dessen Geburtsdatum "00.00.1989" festgehalten. Bei der Erstbefragung vor dem Bundesasylamt am gab der Beschwerdeführer - nach seinem Alter befragt - an, 17 Jahre alt zu sein. Das Bundesasylamt veranlasste in der Folge eine Begutachtung des Beschwerdeführers zur Abklärung seiner Altersangaben. In einer "gutachterlichen Stellungnahme zur Altersfeststellung" gelangte der Sachverständige, ein "klinischer- und Gesundheitspsychologe" zu folgender Schlussfolgerung:
"Zum Resümee kann festgehalten werden, dass unter Zugrundelegung der Untersuchung sowie Berücksichtigung der psychischen und physiologischen Parameter sowie der beobachtbaren Erlebnisverarbeitung davon auszugehen ist, dass der Asylwerber das 18. Lebensjahr
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a) | überschritten hat. |
b) | nicht überschritten hat." |
Die (offenbar vorgedruckte) unter b) angeführte Möglichkeit wurde dabei handschriftlich gestrichen. | |
Unter "Sonstige Bemerkungen" führte der Sachverständige aus: | |
"Hinsichtlich seines Geburtsdatums berichtet der Asylwerber, dass er es von seinen Eltern berichtet bekommen habe; er könne aber keine Tages- oder Monatsangaben machen. Da er keine Dokumente vorweisen könne, könne das auch nicht präzisiert werden." | |
In der darauf folgenden Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am wurde diesem die gutachterliche Stellungnahme vorgehalten. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass er kein genaues Geburtsdatum nennen könne, weil er ein solches nicht wisse. Er habe von seiner Familie und vor allem von seiner Tante gehört, dass er 17 Jahre alt sei. In Afghanistan habe er keine Geburtsurkunde und keinen Personalausweis. Er wolle auch keinesfalls dem Arzt (gemeint: dem Sachverständigen) widersprechen. Wenn man ihn frage, könne er nur sagen, dass er 17 Jahre alt sei. Zum letzten Mal habe er mit seiner Tante im Iran vor vier Jahren darüber gesprochen. Sie habe ihm damals gesagt, dass er am Ende des 13. Lebensjahres gewesen wäre. Das sei vier Jahre her. Deswegen müsse er jetzt 17 Jahre alt sein. | |
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und erklärte gemäß Art. 21 Dublin-Verordnung Griechenland als für die Prüfung dieses Antrags zuständig (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wies das Bundesasylamt den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland aus; demzufolge sei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland zulässig (Spruchpunkt II.). | |
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer persönlich zugestellt. Begründend ging die Behörde erster Instanz davon aus, dass der Beschwerdeführer bereits volljährig sei. So habe die Altersfeststellung ergeben, dass davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr bereits überschritten habe. Auch der Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg habe zur Frage des Alters des Beschwerdeführers ausgeführt, dass "rein durch dessen Äußerliches (Ansicht der Hände und der grauen Haare)" eine Minderjährigkeit nicht gegeben sein könne. Ebenso hätten die griechischen Behörden im Zuge des Konsultationsverfahrens mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer dort angegeben habe, 1988 geboren zu sein. | |
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer unter anderem das Vorliegen seiner Volljährigkeit. Er sei 1989 geboren und damit erst 17 Jahre alt. Auch der Polizeiamtsarzt der Bundespolizeidirektion Salzburg habe ausgeführt, dass ein Alter von 17 Jahren nicht mit Sicherheit auszuschließen sei, während der Polizeiamtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg eine Minderjährigkeit auf Grund der Hände und der Haare ausgeschlossen habe. Es sei auch völlig unklar, weshalb der beigezogene Gesundheitspsychologe in der Lage sein solle, sein Alter derart genau zu bestimmen, wobei er sich an eine Begutachtung gar nicht erinnern könne, und nach welchen objektiven Parametern sein Alter festgestellt worden sei. Da offenkundig sei, dass die Wissenschaft keine Methodik zur genauen Altersfeststellung liefern könne, stellten alle diesbezüglichen Gutachten bloße Schätzungen dar, die zwar etwas verlässlicher würden, wenn sie von mehreren Personen verschiedener Professionen über einen möglichst langen Beobachtungszeitraum vorgenommen würden, dennoch bestehe immer eine Schwankungsbreite von zumindest zwei Jahren nach oben und unten. So seien 13 österreichische Experten aus Medizin, Recht und Psychiatrie auf der "Konsensuskonferenz" vom zum Ergebnis gekommen, dass eine Altersfeststellung mit Hilfe medizinischer Methoden nicht möglich sei und bei einer Altersbeurteilung ethnische und biographische Einflüsse zu berücksichtigen seien. Belastende Lebensumstände könnten einen Menschen früher reifen lassen, was auch dazu führen könne, dass dieser im Vergleich zu seinen Altersgenossen älter aussehe. | |
Begründend führte die belangte Behörde (zur Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers) aus, dass sie insoweit den Ausführungen der Erstbehörde folge. Die vom Bundesasylamt in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme zur Altersfeststellung sei in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige zeige auf, nach welchen Methoden gearbeitet worden sei und habe aufgrund dessen seine Schlussfolgerung gezogen, wonach der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr überschritten habe. Der Beschwerdeführer selbst habe angegeben, dass er nicht genaue wisse, wann er geboren sei. Lediglich seine Tante habe ihm gesagt, dass er 17 Jahre alt sei. Die in der Berufung aufgestellte Behauptung, der Beschwerdeführer sei 1989 geboren, sei als Scheinbehauptung zu werten, weil er während seiner Einvernahmen niemals ein Geburtsjahr genannt habe. Er habe lediglich angeführt, dass er nicht wisse, wie alt er sei. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer selbst angegeben, dem Gutachter nicht widersprechen zu wollen, sodass er selbst nicht ausgeschlossen habe, bereits volljährig zu sein. Aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens des Sachverständigen zur Altersfeststellung bestehe für die belangte Behörde keine Veranlassung, neuerlich ein Gutachten einzuholen, zumal der Beschwerdeführer selbst dessen Richtigkeit nicht ausgeschlossen habe. | |
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat: | |
Die Asylbehörden gingen davon aus, dass der Beschwerdeführer - entgegen seinen Angaben - im Zeitpunkt der Antragstellung bereits volljährig war. Die belangte Behörde begründete diese Einschätzung im Wesentlichen mit der gutachterlichen Stellungnahme zur Altersfeststellung und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mangels eines ihm bekannten genauen Geburtsdatums deren Ergebnis nicht substantiiert entgegengetreten sei. | |
Mit diesen Erwägungen vermochte die belangte Behörde ihre Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer sei bereits volljährig (gewesen), nicht schlüssig zu begründen. | |
Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen. Dem Gerichtshof kommt es hingegen nicht zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden. | |
Im Übrigen sind nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG in der Begründung des Berufungsbescheids die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/19/1248 bis 1252, mwN). | |
Diesen rechtlichen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid in Bezug auf die festgestellte Volljährigkeit des Beschwerdeführers bei Antragstellung nicht. | |
So ist zunächst selbst ausgehend von dem angeblich gegenüber den griechischen Behörden angegebenen Geburtsjahr 1988 nicht zu schließen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags bereits volljährig war. Sofern die belangte Behörde das in der Berufung angegebene Geburtsjahr 1989 als "Scheinbehauptung" qualifizierte, weil der Beschwerdeführer bei seinen Einvernahmen niemals ein Geburtsjahr genannt habe, unterließ sie eine nähere Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt, wurde doch bereits in den Niederschriften über die Einvernahmen des Beschwerdeführers vor der Fremdenpolizei 1989 als Geburtsjahr angeführt. Wie es ohne entsprechende Angabe des Beschwerdeführers dazu kam, lässt sich der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht entnehmen. Mit der auch in der Berufung aufgezeigten Altersbestimmung durch den Amtsarzt des Polizeiamtsärztlichen Dienstes der Bundespolizeidirektion Salzburg, der zum Schluss kam, dass ein "Alter von ca. 17 Jahren nicht mit letztendlicher Sicherheit ausschließbar anzunehmen" sei, setzte sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung ebenfalls nicht auseinander. | |
Die gutachterliche Stellungnahme, die zwar einen allgemeinen Hinweis auf "angewandte Methoden" enthält, kommt zur - aufgrund des Schriftbilds offenbar standardisierten - Schlussfolgerung, dass "unter Zugrundelegung der Untersuchung sowie Berücksichtigung der psychischen und physiologischen Parameter sowie der beobachtbaren Erlebnisverarbeitung davon auszugehen" sei, dass der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr überschritten habe, ohne dies jedoch nachvollziehbar und auf Basis eines durch Daten belegten Befunds zu begründen (zu den Anforderungen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an Sachverständigengutachten siehe etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 92/03/0243, sowie vom , Zl. 93/07/0102, mwN). | |
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0463, grundlegend festgehalten, dass eine Alterseinschätzung bei Asylwerbern überprüfbar zu erfolgen hat, wozu es im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige bedarf. Sollten auch danach noch keine hinreichend gesicherten Aussagen zur Volljährigkeit möglich sein, haben die Asylbehörden im Zweifel von den Angaben des Asylwerbers zu seinem Geburtsdatum (Alter) auszugehen. | |
Die auf die genannte gutachterliche Stellungnahme gestützte Beweiswürdigung der belangten Behörde zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung hält einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0268). | |
Da die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei entgegen seinen Angaben bereits im Zeitpunkt der Antragstellung (und damit auch bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides) volljährig gewesen, somit einer tragfähigen Grundlage entbehrt, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdeführer wirksam erfolgen konnte und die belangte Behörde damit zu einer meritorischen Erledigung der Berufung berechtigt war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0415). | |
Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. | |
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
HAAAE-92766