VwGH vom 24.03.2011, 2011/23/0047
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin
Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der F U, geboren 1983, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 263.613/0/8E-XI/33/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, beantragte am Asyl. Bei ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab sie zusammengefasst an, ihr Vater habe sie zwangsweise mit einem Mann verheiratet, welcher ihre Beschneidung verlangt habe. Als sie sich geweigert habe, sei ihr Mann sehr verärgert gewesen und habe sie mit einem Messer am Rücken verletzt, weshalb sie zu ihren Eltern geflüchtet sei. Ihre Eltern hätten ihr jedoch geraten, sich dem Wunsch ihres Mannes zu beugen und hätten sich geweigert, sie wieder bei sich aufzunehmen. Aus Angst vor ihrem Mann habe sie Nigeria verlassen.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).
Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG nach Nigeria aus. Begründend führte sie unter näherer Darstellung aus, die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen seien aufgrund diverser im Verfahren zu Tage getretener Ungereimtheiten und Widersprüche, zu deren Aufklärung die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen sei, unglaubwürdig. So habe sie etwa, während sie vor der Erstinstanz noch als zentralen Aspekt ihrer Fluchtgründe eine drohende Beschneidung behauptet habe, in der mündlichen Verhandlung nur mehr angegeben, von ihrem Mann schlecht behandelt und geschlagen worden zu sein. Selbst auf die Frage nach weiteren Fluchtgründen habe sie angegeben, sie habe keine anderen Probleme, außer, dass ihr Mann sie täglich geschlagen habe. Auch die vor der Erstinstanz geschilderte Messerattacke ihres Mannes habe sie nicht mehr vorzubringen vermocht. Allgemein hätten sich die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu den Ausreisegründen als wenig detailreich erwiesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Die Beschwerde wendet sich unter Hinweis auf die verfahrensrechtlichen Erfordernisse des § 24 b Abs. 2 AsylG gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid und ist damit im Recht.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag damit begründet, dass ihr Mann, den zu heiraten sie von ihrem Vater gezwungen worden sei, sie immer wieder zu sexuellen Handlungen genötigt, im Falle der Weigerung geschlagen, sowie ihre Beschneidung gefordert habe. Dass das Verlassen ihres Heimatlandes mit derartigen Umständen in Zusammenhang stehe, wurde auch in der Berufung vom zum Ausdruck gebracht, in der bereits die Einvernahme der Beschwerdeführerin durch eine Person weiblichen Geschlechts beantragt wurde. Vor diesem Hintergrund ergab sich im vorliegenden Fall gemäß § 24 b Abs. 2 AsylG (in der Fassung der hier anzuwendenden AsylG-Novelle 2003) die Notwendigkeit, die Beschwerdeführerin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, die Beschwerdeführerin hätte anderes verlangt. Gerade das Gegenteil ist aktenkundig. Dennoch wurde die Befragung der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung von einem männlichen Verhandlungsleiter durchgeführt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/01/0402, vom , Zl. 2004/01/0067, und vom , Zl. 2005/20/0321, jeweils zur Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0013, zum hier anzuwendenden § 24 b Abs. 2 AsylG in der Fassung der AsylG-Novelle 2003), hatte auch die belangte Behörde im Berufungsverfahren die Bestimmung des § 24 b Abs. 2 AsylG zu beachten. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird in dieser Hinsicht auf die Begründung des zuletzt zitierten Erkenntnisses vom verwiesen.
Ausgehend davon erweist sich eine Beweiswürdigung, die der Beschwerdeführerin entgegenhält, sie habe ihren zentralen Fluchtgrund nicht gleichbleibend nennen können und ihre Angaben seien detailarm, als nicht schlüssig.
Die Wesentlichkeit kann diesem Verfahrensmangel schon deshalb nicht abgesprochen werden, weil die belangte Behörde die Abweisung des Asylantrags lediglich auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens, nicht jedoch auf das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative für die Beschwerdeführerin stützte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-92752