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VwGH vom 23.02.2011, 2011/23/0013

VwGH vom 23.02.2011, 2011/23/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der P A, geboren 1984, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 251.226/0/2Z-V/13/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias und beantragte am die Gewährung von Asyl. Die Familie ihres verstorbenen Mannes habe sie zwingen wollen, dessen Bruder zu heiraten. Als sie dies abgelehnt habe, habe man ihr gedroht, sie umzubringen. Es sei zu einem Kampf zwischen ihrer Familie und der Familie ihres verstorbenen Mannes gekommen, woraufhin ihre Eltern verschleppt worden seien, sie dagegen habe fliehen können.

In einer ärztlichen Mitteilung an das Bundesasylamt vom wurde der Verdacht einer bestehenden Traumatisierung geäußert, eine depressive Reaktion auf ein konkret datiertes, fluchtauslösendes, traumatisches Ereignis diagnostiziert und eine ambulante Psychotherapie empfohlen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies die Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde der Entscheidung zugrunde gelegt, jedoch aus rechtlicher Sicht als nicht asylrelevant qualifiziert und es wurde vom Bestehen einer inländischen Fluchtalternative ausgegangen.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies die belangte Behörde mit dem am mündlich verkündeten (und am schriftlich ausgefertigten) angefochtenen Bescheid die dagegen erhobene Berufung gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG nach Nigeria aus. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen seien zu inhaltsleer und unkonkret gewesen, um glaubwürdig zu sein.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid und ist damit im Ergebnis im Recht.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hervorgehoben, dass die Beschwerdeführerin ihre Furcht vor Verfolgung mit der seitens der Familie ihres verstorbenen Mannes geplanten Zwangsverheiratung begründet und damit (auch) einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung geltend gemacht hat. Vor diesem Hintergrund ergab sich im vorliegenden Fall gemäß § 24b Abs. 2 AsylG (in der anzuwendenden Fassung der AsyG-Novelle 2003) die Notwendigkeit, die Beschwerdeführerin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, die Beschwerdeführerin hätte anderes verlangt. Gemäß § 24b Abs. 2a AsylG gilt Abs. 2 leg.cit. für Verhandlungen vor dem unabhängigen Bundesasylsenat mit der Maßgabe, dass das Verlangen spätestens mit der Berufung gegen den negativen Bescheid des Bundesasylamtes zu stellen ist. Dies war nach der Aktenlage nicht der Fall; auch die vom Gesetz geforderte nachweisliche Belehrung über diese Wahlmöglichkeit ist nicht aktenkundig. Dennoch wurde die Befragung der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung am durch einen männlichen Verhandlungsleiter durchgeführt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zur Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG (in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/01/0402, vom , Zl. 2004/01/0067, und vom , Zl. 2005/20/0321), ist auch die belangte Behörde gehalten, im Berufungsverfahren diese Bestimmung zu beachten.

Da auch der im Beschwerdefall anzuwendenden entsprechenden Bestimmungen des § 24b Abs. 2 iVm Abs. 2a AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 derselbe Schutzzweck wie seiner Vorgängerbestimmung zugrunde liegt, ist die bereits zitierte Judikatur insofern weiterhin anzuwenden.

Durch die Einführung des § 24b Abs. 2 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 wurde lediglich zusätzlich eine - spätestens mit der Berufungserhebung wahrzunehmende (vgl. § 24b Abs. 2a AsylG) - Wahlmöglichkeit zwischen einer Einvernahme durch einen Organwalter desselben oder des anderen Geschlechts eröffnet; dies um eine indirekte Diskriminierung hintanzuhalten, zumal ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung auch von einer Person des gleichen Geschlechts vorgenommen worden sein könne (vgl. EB zur RV 120 BlgNR 22. GP 18 sowie AB 253 BlgNR 22. GP 2).

Ferner hat die belangte Behörde außer Acht gelassen, dass im Fall der Beschwerdeführerin nach einer vom Bundesasylamt veranlassten ärztlichen Untersuchung ein Traumatisierungsverdacht sowie eine depressive Reaktion festgestellt und Psychotherapie empfohlen wurde, weshalb ihr Aussageverhalten in diesem Lichte zu bewerten war. Dazu hat die belangte Behörde jedoch weder Feststellungen getroffen, noch hat sie dies in ihren beweiswürdigenden Überlegungen zur Beurteilung des Aussageverhaltens der Beschwerdeführerin berücksichtigt (vgl. zu diesem Erfordernis etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0355, mwN).

Ausgehend davon erweist sich eine Beweiswürdigung, die der Beschwerdeführerin ausschließlich entgegen hält, ihre Angaben seien inhaltsleer, oberflächlich und unkonkret und ihre Schilderungen entbehrten einer "Offenbarung ihrer subjektiven Erlebniswelt", als nicht schlüssig (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/01/0345 bis 0347).

Die Wesentlichkeit kann diesen Verfahrensmängeln schon deshalb nicht abgesprochen werden, weil die belangte Behörde - anders als das Bundesasylamt - die Abweisung des Asylantrages lediglich auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens, nicht jedoch auf das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative für die Beschwerdeführerin stützte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
YAAAE-92730