VwGH vom 20.12.2016, Ro 2015/03/0020

VwGH vom 20.12.2016, Ro 2015/03/0020

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ro 2015/03/0039 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. D S in W, vertreten durch die Heller Gahler Rechtsanwalts Kommanditpartnerschaft in 1030 Wien, Marokkanergasse 21, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom , Zl M 102b/2011, M 102c/2011, betreffend Beitragsvorschreibungen nach der Umlagen- und Beitragsordnung der Rechtsanwaltskammer Wien (weitere Partei: Bundesminister für Justiz), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber war im maßgebenden Zeitraum Rechtsanwaltsanwärter in Wien. Mit Bescheiden des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom bzw vom wurde ihm die Umlage zur Versorgungseinrichtung Teil A und der Kammerbeitrag für das dritte (erstgenannter Bescheid) bzw das vierte Quartal 2011 (zweitgenannter Bescheid) gemäß der Umlagenordnung 2011 der Rechtsanwaltskammer Wien und der Beitragsordnung 2011 der Rechtsanwaltskammer Wien vorgeschrieben.

2 Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) die dagegen gerichteten Vorstellungen ab.

3 Gegen diesen dem Revisionswerber am zugestellten Bescheid richtete er zunächst eine Beschwerde gemäß Art 144 Abs 3 B-VG an den Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1469/2013- 13, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, wurde sie im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof - als Revision - ergänzt.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Da die vormalige Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof (nach dem Datum des Abtretungsbeschlusses gemäß Art 144 Abs 3 B-VG) nach dem dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde, ist § 4 VwGbk-ÜG sinngemäß anzuwenden (vgl den hg Beschluss vom heutigen Tag, Ro 2014/03/0049).

6 Der Revisionswerber macht einerseits Normbedenken (im Wesentlichen: Verletzung im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot) gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden generellen Vorschriften (der Rechtsanwaltsordnung sowie der Umlagenordnung 2011 und der Beitragsordnung 2011) geltend, andererseits bringt er vor, die belangte Behörde habe die Anlassfallwirkung nach Art 139 Abs 6 B-VG nicht hinreichend beachtet.

7 Er stützt sich dabei - erkennbar - auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs vom , G 31/2013ua, V 20/2013ua, und vom , B 915/2011-11. Mit dem erstgenannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof eine näher bezeichnete Wortfolge in § 24 Abs 3 RAO als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten und dass die als verfassungswidrig aufgehobene Wortfolge auf die am beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren, bei denen Verordnungen präjudiziell sind, die unter Anwendung der aufgehobenen Wortfolge erzeugt wurden, nicht mehr anzuwenden sind. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass näher genannte Teile der Umlagenordnung 2011, der Beitragsordnung 2011 und der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss 2008, gesetzwidrig waren.

8 Mit dem zweitgenannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof aufgrund einer Beschwerde des nunmehrigen Revisionswerbers, die vom Verfassungsgerichtshof dem (eigentlichen) Anlassfall für das Prüfverfahren G 31/2013ua, V 20/2013ua, gleichgestellt wurde, den dort angefochtenen Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom , mit dem - im Vorstellungsweg - dem Revisionswerber Beiträge im Sinne der Rz 1 für das erste Quartal 2011 vorgeschrieben worden waren, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und gesetzwidriger Verordnungen aufgehoben.

9 Das Vorbringen des Revisionswerbers zeigt keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des nun angefochtenen Bescheids auf, mit dem dem Revisionswerber die Beiträge für das dritte und vierte Quartal 2011 im Wesentlichen unter Hinweis darauf vorgeschrieben worden waren, dass die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmungen bis weiter anzuwenden seien:

10 Der Verfassungsgerichtshof hat die in der Beschwerde an ihn geäußerten Bedenken an der Verfassungs- bzw Gesetzmäßigkeit der angewendeten Normen und der Beurteilung der Anlassfallwirkung der in Rede stehenden Aufhebung nicht geteilt. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die geltend gemachten Rechtsverletzungen nämlich zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes; spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berühre, als die Rechtswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet werde, lasse ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zur Anlassfallwirkung (verwiesen wird auf VfSlg 10.616/1985, 10954/1986, 10.736/1985, 17.687/2005 und 19.751/2013) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Behandlung der Beschwerde wurde deshalb abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

11 Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof werden von der Revision allfällige "einfachgesetzliche" Fehler, etwa bei der Berechnung der dem Revisionswerber vorgeschriebenen Beträge, nicht dargelegt. Sofern die Revision eine unzutreffende Beurteilung der Anlassfallwirkung durch die belangte Behörde rügt, ist dem Folgendes zu entgegnen:

12 Gemäß Art 139 Abs 6 B-VG ist die aufgehobene Verordnung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Art 139 Abs 5 B-VG gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden; entsprechendes gilt gemäß Art 140 Abs 7 B-VG im Fall der Aufhebung eines Gesetzes als verfassungswidrig.

13 Die Aufhebung eines Gesetzes oder einer Verordnung wirkt also auf den Anlassfall zurück. Hinsichtlich dessen ist so vorzugehen, als ob die als rechtswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zu Grunde liegenden Tatbestands nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hätte. Anlassfall in diesem Sinn ist nicht nur der in Art 139 Abs 6 bzw Art 140 Abs 7 B-VG genannte Anlassfall im engeren Sinn, anlässlich dessen das Normprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, vielmehr sind es auch jene Beschwerdefälle, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw bei Beginn der nichtöffentlichen Beratung des Verfassungsgerichtshofs bei diesem bereits anhängig waren (vgl zum Ganzen etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , B 844/05, VfSlg 17687; die in diesem Erkenntnis vorgenommene Einschränkung für Fälle von über Antrag eingeleiteten Verfahren kommt vorliegend nicht zum Tragen; vgl ferner ). Soweit die Anlassfallwirkung aber nicht reicht, sind die aufgehobenen - durch die Aufhebung verfassungsrechtlich insofern unangreifbar gewordenen - Normen auf die vor ihrer Aufhebung bzw vor deren Wirksamwerden verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden.

14 Eine einem Anlassfall gleichzuhaltende zeitliche Konstellation liegt im vorliegenden Fall nicht vor: Der angefochtene Bescheid wurde vielmehr erst nach dem aufhebenden Erkenntnis vom erlassen, das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof demgemäß erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt eingeleitet. Daran ändert entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der Revision der Umstand nichts, dass die Beschwerdefälle insofern inhaltlich zusammenhängen, als sie alle (quartalsweise) Beitragsvorschreibungen für das Jahr 2011 betreffen.

15 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Revision insgesamt unbegründet ist.

16 Sie war deshalb gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am