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VwGH vom 19.01.2012, 2011/22/0310

VwGH vom 19.01.2012, 2011/22/0310

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:

* Ausgesetztes Verfahren:

2008/22/0145 B

* EuGH-Entscheidung:

EuGH62011CJ0256 B

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2008/22/0316 E

2008/22/0888 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des AK in W, geboren am , vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19 gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 318.349/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Einleitend ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof den hier gegenständlichen Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens unterbreitet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Vorabentscheidungsersuchen vom , EU 2011/0004 bis 0008, zu dem hier relevanten Sachverhalt und dem Gang des Verwaltungsverfahrens Folgendes ausgeführt:

"Herr K(...) ist am geboren und stammt aus dem Kosovo. Ihm wurde der Familiennachzug zu seinen in Österreich lebenden Eltern, die damals über die jugoslawische Staatsbürgerschaft verfügten, gewährt und zu diesem Zweck - seinen Angaben im Verwaltungsverfahren zufolge lebt er bereits seit 1984 in Österreich - Aufenthaltstitel, zuletzt gültig bis , erteilt.

Am brachte Herr K(...) einen Verlängerungsantrag ein. Da diesem Antrag nach Auffassung der zuständigen Verwaltungsbehörde nicht alle zur Prüfung notwendigen Unterlagen beigelegt gewesen seien, trug sie ihm auf, näher bezeichnete Unterlagen (betreffend seine Unterkunft, Unterhaltsmittel und Krankenversicherungsschutz) vorzulegen. Da seitens Herrn K(...) keine Reaktion erfolgte, wurde sein Verlängerungsantrag zurückgewiesen. Der diesbezügliche Bescheid blieb unbekämpft, sodass er in Rechtskraft erwachsen ist.

Am brachte Herr K(...) neuerlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein. Er brachte unter anderem vor, seine Mutter, die österreichische Staatsbürgerin sei und bei einem näher angeführten Unternehmen als Abwäscherin beschäftigt sei, trage für seinen Unterhalt Sorge. Sein Vater (dieser ist den vorgelegten Akten zufolge Drittstaatsangehöriger und zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt) sei arbeitslos und erhalte Arbeitslosengeld. Er werde aber demnächst in Pension gehen können. Die Herrn K(...) im vorangegangenen Verfahren abgeforderten Unterlagen habe er nicht beibringen können, weil er zwar eine Arbeitsstelle gefunden gehabt hätte, aber nicht "angemeldet" worden sei, so dass ihm die Unterlagen nicht zur Verfügung gestanden seien. Er habe jetzt wieder eine Arbeitsstelle in Aussicht. Der Arbeitgeber wolle ihn aber erst aufnehmen, wenn er über einen Aufenthaltstitel verfüge. Derzeit sei er zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes auf seine Eltern angewiesen.

Der Antrag des Herrn K(...) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde von der belangten Behörde mit der Begründung abgelehnt, sein ihm zuletzt erteilter Aufenthaltstitel sei am abgelaufen. Da er den nunmehr maßgeblichen Antrag erst nach der für das Stellen von Verlängerungsanträgen festgelegten Frist eingebracht habe (nach der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechtslage hätte der Antrag bis spätestens 6 Monate nach Ablauf des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gestellt werden müssen), handle es sich bei seinem Antrag um einen Erstantrag. Ein solcher müsse im Ausland gestellt werden. Die Erledigung müsse im Ausland abgewartet werden. Herr K(...) sei aber nach Ablauf seiner ihm zuletzt erteilten Niederlassungsbewilligung in Österreich geblieben. Er habe den Antrag hier gestellt und halte sich immer noch hier auf. Es dürfe ihm daher kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Herr K(...) habe keine besonderen Gründe geltend gemacht, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne Einhaltung der die Zuwanderung regelnden Bestimmungen als geboten erscheinen ließen. Es könne ihm zugemutet werden, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Auch sei bereits seitens der Fremdenpolizeibehörde gegen ihn eine Ausweisung erlassen worden. Schließlich könne er auch aus dem Unionsrecht kein Recht auf Aufenthalt geltend machen, weil seine Mutter das ihr zustehende Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht ausgeübt habe."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegenständliche Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, einem an den EuGH gerichteten Ersuchen um Vorabentscheidung sowie nach Ergehen des diesbezüglichen C- 256/11, erwogen:

Der EuGH hat die an ihn gerichtete - hier relevante - Frage des Verwaltungsgerichtshofes wie folgt beantwortet:

"1. Das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts."

Unter Bedachtnahme auf dieses Urteil des EuGH erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet.

Die belangte Behörde hätte nämlich bei ihrer Entscheidung diese - vom EuGH nunmehr klargestellte - Rechtslage zu beachten und Feststellungen dahingehend zu treffen gehabt, die eine Beurteilung ermöglicht hätten, ob eine Weigerung, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel in Österreich zu erteilen, dazu führen würde, dass seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Mutter der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0054). Dieses Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich dem genannten Urteil des EuGH zufolge auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Randnr. 66 des Urteiles). Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, sich mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertigt für sich genommen allerdings nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (Randnr. 68 des EuGH-Urteiles).

Da der Schutz der Rechte aus dem Unionsbürgerstatus mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK, der im vorliegenden Fall im Übrigen in völlig unzureichender Weise geprüft worden ist, nicht gleichzusetzen ist, sondern eine andere Zielrichtung aufweist und daher bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens war, wird die belangte Behörde im fortzusetzenden Verfahren dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben haben, dazu relevante Umstände vorzubringen, sowie Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung im oben angeführten Sinn ermöglichen.

Da die belangte Behörde die oben dargestellte Rechtslage verkannt und infolge dessen wesentliche Feststellungen nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid schon deswegen wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
QAAAE-92656