VwGH vom 06.07.2016, Ro 2015/01/0013

VwGH vom 06.07.2016, Ro 2015/01/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision 1. des S A und 2. der M A, beide in W und vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 151/071/26111/2014-27, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), I. den Beschluss gefasst:

Die Revision des Erstrevisionswerbers wird zurückgewiesen. II. zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin in seinen Spruchpunkten I. und II. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Zweitrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom wurde das Ansuchen des Erstrevisionswerbers "um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Erstreckung der Verleihung

auf seine Ehegattin ... (die Zweitrevisionswerberin) vom

" gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 7 iVm 10 Abs. 5 und 18 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 abgewiesen. Dieser Bescheid wurde nach Ausweis der vorgelegten Verfahrensakten dem Erstrevisionswerber zu Handen seines (damaligen) Rechtsvertreters zugestellt; eine Zustellung an die Zweitrevisionswerberin erfolgte nicht.

2 Mit Schriftsatz seines (damaligen) Rechtsvertreters vom erhob der Erstrevisionswerber dagegen Beschwerde. Eine Beschwerdeerhebung durch die Zweitrevisionswerberin ist den vorgelegten Verfahrensakten nicht zu entnehmen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom (richtig:) wurde - unter Bezugnahme auf eine Beschwerdeerhebung durch den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin - "die Beschwerde" gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.), die revisionswerbenden Parteien gemäß § 53b AVG iVm § 76 Abs. 1 AVG und § 17 VwGVG zum Ersatz von Barauslagen im Betrag von EUR 113,90 verpflichtet (Spruchpunkt II.) und ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

4 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass das gegenständliche Verfahren gemäß § 64 a Abs. 11 StbG nach den Bestimmungen des StbG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 zu Ende zu führen sei. Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG sei - aus näher dargestellten Gründen - in allen vor dem anhängig gewordenen Fällen ab dem nicht mehr anzuwenden. Der angefochtene Bescheid sei vor dem erlassen worden, die belangte Behörde habe sich daher auf die genannte Bestimmung stützen dürfen. Da diese Bestimmung aber seit nicht mehr angewendet werden könne, habe die Prüfung des Lebensunterhaltes zu unterbleiben. Die von der belangten Behörde festgestellte Tatsache, dass der Lebensunterhalt der revisionswerbenden Parteien ungesichert sei, könne nicht als Grund für die Abweisung des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft herangezogen werden.

5 Im Hinblick auf die sonstigen Verleihungsvoraussetzungen sei festzuhalten, dass die revisionswerbenden Parteien die gesetzlichen Fristen des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG erfüllten. Es lägen auch keine Verleihungshindernisse nach § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8, Abs. 2 und 3 StbG (in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011) vor. Es seien weiters die Voraussetzungen für eine Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Zweitrevisionswerberin iSd § 16 StbG erfüllt. Die Voraussetzungen gemäß § 10a StbG seien ebenfalls erfüllt.

6 Dennoch sei der Beschwerde kein Erfolg beschieden, weil der Lebenswandel des Erstrevisionswerbers - aus näher dargestellten Gründen - von der mangelnden Bereitschaft, am gesellschaftlichen Leben in Österreich teilzunehmen, und der Unwilligkeit, seine Integration in die österreichische Gesellschaft auch nur ansatzweise voranzutreiben, zeuge. Aus diesem Grund sei der Beschwerde des Erstrevisionswerbers unter Bedachtnahme auf § 11 StbG nicht stattzugeben gewesen.

7 Da die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Erstrevisionswerber nicht möglich sei, komme eine Erstreckung dieser Verleihung auf die Zweitrevisionswerberin nicht in Frage.

8 Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass "eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob der Lebensunterhalt in Fällen wo ein Staatsbürgerschaftsverfahren vor dem anhängig wurde (und nach den Bestimmungen des Staatsbürgschaftsgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 zu Ende geführt werden muss) zu prüfen ist", fehle.

9 Gegen dieses Erkenntnis - in Ansehung des Erstrevisionswerbers sowohl den geltend gemachten Revisionspunkten als auch den Revisionsgründen zufolge lediglich gegen dessen Spruchpunkt I. - richtet sich die vorliegende Revision.

10 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 11 Eine Revisionsbeantwortung wurde den vorgelegten

Verfahrensakten zufolge nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

14 Im vorliegenden Fall erachtet das Verwaltungsgericht die Revision deshalb für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob in einem Staatsbürgerschaftsverfahren, das vor dem anhängig geworden sei und nach dem entschieden werde, die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG zu prüfen sei, fehle.

15 Die Lösung dieser Rechtsfrage - zu der die Revision keine Ausführungen enthält - ist im vorliegenden Fall nicht von Relevanz, hat das Verwaltungsgericht die Abweisung der Anträge doch weder auf die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG gestützt noch Feststellungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung getroffen.

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Revisionswerber auch in der ordentlichen Revision von sich aus die Gründe der Zulässigkeit der Revision gesondert darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2015/01/0015, mwN).

17 Die vorliegende Revision macht in Bezug auf den Erstrevisionswerber in dieser Hinsicht geltend, das Verwaltungsgericht habe für die Abweisung des Antrages eine andere Rechtsgrundlage herangezogen als die belangte Behörde. Die Frage, "in welchem Umfang die Verwaltungsgerichte Ermittlungen selbst durchzuführen haben, wenn sie beabsichtigen die zu erledigende Beschwerde mit einer anderen Begründung als die Erstbehörde abzuweisen", sei von grundsätzlicher Bedeutung.

18 Dem ist zu erwidern, dass nach § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG das Verwaltungsgericht über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden hat, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Dass in diesem Fall das Verwaltungsgericht den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt festzustellen hat, ergibt sich somit bereits aus der klaren Anordnung des Gesetzes. Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/05/0035, mwN).

19 Im Übrigen begegnet die Vorgangsweise des Verwaltungsgerichtes, über die Beschwerde in der Sache zu entscheiden, auch unter dem Blickwinkel des § 28 Abs. 2 und 4 VwGVG keinen Bedenken. § 28 Abs. 4 VwGVG normiert für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, dass das Verwaltungsgericht dann den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückzuverweisen hat, wenn es nicht "gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat" und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Schon der unmissverständliche Wortlaut dieser Bestimmung legt also insoweit - ausdrücklich - den Primat der meritorischen Entscheidung fest; der Sachentscheidung kommt in den Fällen des § 28 Abs. 2 VwGVG der Vorrang vor einer Aufhebung und Zurückverweisung zu. Nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vorliegen, der maßgebliche Sachverhalt also noch nicht feststeht und dessen Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst auch nicht im Interesse der Raschheit oder der Kostenersparnis gelegen ist, ist im Fall der Überprüfung einer Ermessungsentscheidung nach § 28 Abs. 4 VwGVG vom Verwaltungsgericht keine Sachentscheidung zu treffen; diesfalls trifft es vielmehr die Verpflichtung, den angefochtenen Bescheid

aufzuheben ("hat ... aufzuheben"). Dabei ergibt auch eine an der

verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 130 Abs. 4 B-VG orientierte Auslegung, dass eine Aufhebung des Bescheids der Verwaltungsbehörde jedenfalls erst dann in Betracht kommt, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichts zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/03/0038, mwN).

20 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit im Weiteren geltend macht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil im Spruch keine Rechtsgrundlage für die Abweisung der Beschwerde angeführt sei, genügt es darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Verletzung des § 59 Abs. 1 AVG hinsichtlich der dort geforderten Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmung nicht schlechthin unter der Sanktion einer zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof führenden Rechtswidrigkeit steht, sondern nur unter der weiteren Voraussetzung, dass auch die Begründung der Entscheidung Zweifel über die angewendeten Vorschriften nicht beseitigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/05/0093, mwN). Dass Letzteres aber der Fall wäre, wird in der Revision - die selbst davon ausgeht, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung tragend auf die Bestimmung des § 11 StbG stützt - nicht behauptet.

21 In der Revision werden in Bezug auf den Erstrevisionswerber somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

22 Die Revision des Erstrevisionswerbers war daher zurückzuweisen.

23 In Bezug auf die Zweitrevisionswerberin bringt die Revision vor, das Verwaltungsgericht habe die "Beschwerde" der Zweitrevisionswerberin inhaltlich erledigt und dieser den Ersatz von Barauslagen vorgeschrieben, obwohl die belangte Behörde bezüglich der Zweitrevisionswerberin keine Entscheidung getroffen habe. Das Verwaltungsgericht weiche hinsichtlich der Annahme der Beschwerdelegitimation der Zweitrevisionswerberin von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

24 Die Revision ist insofern zulässig und begründet:

25 In Bezug auf die Zweitrevisionswerberin ist den vorgelegten Verfahrensakten - wie in der Revision zutreffend ausgeführt wird - weder eine Zustellung des Bescheides der Wiener Landesregierung vom an die Zweitrevisionswerberin noch eine Beschwerdeerhebung gegen diesen Bescheid durch die Zweitrevisionswerberin zu entnehmen.

26 Das Verwaltungsgericht nimmt daher eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihm gemäß §§ 7 und 28 VwGVG nicht zukommt, wenn es eine Beschwerdeentscheidung ohne Vorliegen einer tauglichen Beschwerde trifft (vgl. die zu §§ 63 und 65 AVG ergangenen, aber insoweit übertragbaren hg. Erkenntnisse vom , 96/19/3063, und vom , 0978/78).

27 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es die Zweitrevisionswerberin betrifft, in seinen Spruchpunkten I. und II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.

28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am