VwGH vom 26.06.2013, 2011/22/0278
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des U, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 158.609/2-III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 und § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers am geboren worden sei und somit zum Zeitpunkt der genannten Antragstellung am das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Das Alterserfordernis gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG stehe im Einklang mit Art. 4 Abs. 5 der Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG. Der Beschwerdeführer erfülle somit nicht die Voraussetzung des § 47 Abs. 2 NAG.
Zum Berufungsvorbringen hinsichtlich Art. 8 EMRK werde festgestellt, dass § 2 Abs. 1 Z 9 sowie § 47 Abs. 2 NAG einer Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG (Art. 8 EMRK) nicht zugänglich seien.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 478/11-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im April 2011 die Bestimmungen des NAG idF der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 sowie der Kundmachung BGBl. I Nr. 16/2011 anzuwenden sind.
Der Beschwerdeführer ist ein türkischer Staatsangehöriger, der die Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau, einer österreichischen Staatsbürgerin, die weder zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung das Alter von 21 Jahren erreicht hatte, anstrebt.
Im Blick auf die familiäre Bindung zu einer österreichischen Staatsbürgerin gleicht der gegenständliche Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom , 2011/22/0212, zugrunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Aus den dort genannten Gründen ist auch im vorliegenden Fall der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Weiters gleicht der gegenständliche Fall darin, dass die belangte Behörde nicht geprüft hat, ob dem Beschwerdeführer als türkischem Staatsangehörigen die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom oder Art. 41 Abs. 1 des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/1972 des Rates vom im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolles zum Assoziierungsabkommen zugute kommen, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , 2011/22/0216, zugrunde lag. Auch diesbezüglich wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses verwiesen.
Letztlich ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer auch einen durch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels bewirkten Eingriff nach Art. 8 EMRK geltend macht.
Zu einer Konstellation wie der vorliegenden, in der sich der Antragsteller nicht im Inland aufhält, hat der Gerichtshof im Erkenntnis vom , 2010/21/0494 (auch hier wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen) ausführlich dargelegt, dass zur Erzielung eines konventionsgemäßen Ergebnisses der Begriff "Familienangehöriger" von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln ist. Besteht ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug, so ist als "Familienangehöriger" demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen auch jener nicht im Bundesgebiet aufhältige Angehörige erfasst, dem ein derartiger Anspruch zukommt.
Aus den dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zum einen dem Beschwerdeführer bereits im verfassungsgerichtlichen Verfahren Verfahrenshilfe gewährt wurde, die gemäß § 61 Abs. 4 VwGG auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt. Zum anderen ist die begehrte Umsatzsteuer in dem in der angeführten Verordnung für Schriftsatzaufwand vorgesehenen Pauschalsatz bereits enthalten.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-92606