VwGH vom 05.05.2015, Ro 2014/22/0031

VwGH vom 05.05.2015, Ro 2014/22/0031

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der T H N in L, vertreten durch Fürlinger - Peherstorfer GesbR, Rechtsanwälte und Verteidiger in Strafsachen in 4020 Linz, Museumstraße 6-8, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom , Zl. E1/76285/2013, betreffend Versagung eines Konventionsreisepasses (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Revisionswerberin, eine vietnamesische Staatsangehörige, reiste am nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom wurde der Revisionswerberin gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) Asyl gewährt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Landespolizeidirektion Oberösterreich (im Folgenden als "Behörde" bezeichnet) den Antrag der Revisionswerberin auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses vom gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 92 Abs. 1 Z 3 und Z 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

In ihrer Begründung gab die Behörde zunächst den Wortlaut des erstinstanzlichen Bescheides wieder, in dem im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom die Revisionswerberin wegen der Verbrechen nach § 28 Abs. 2 erster Deliktsfall und Abs. 3 erster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden sei. Gemäß der Urteilsbegründung habe die Revisionswerberin von Februar 2007 bis etwa Mitte Mai 2007 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einer weiteren Person Suchtgift in großer Menge dadurch erzeugt, dass sie in einer "indoor-Cannabis-Plantage" zumindest 500 Cannabispflanzen mit der Absicht, sich durch die wiederkehrende Erzeugung von Suchtgift in großen Mengen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, großgezogen und geerntet habe. Es sei allgemein bekannt, dass aus dem illegalen Suchtgifthandel enorm hohe Gewinne zu erzielen seien, was die Annahme rechtfertige, dass hier die Wiederholungsgefahr sehr groß sei. Österreich sei kein klassisches Anbaugebiet für Suchtmittel. Der "inländische Suchtmittelmarkt" sei daher zwangsläufig von Importen von Suchtmitteln abhängig. Es bestehe somit die Gefahr, dass die Revisionswerberin nun den scheinbar "einfacheren" Weg gehen und Suchtmittel aus dem Ausland nach Österreich schmuggeln könnte, um sich dadurch eine Einnahme zu verschaffen. Hier sei zu bedenken, dass die Revisionswerberin vom bis Arbeitslosengeld bezogen habe, von bis als Arbeiterin beschäftigt gewesen sei und seit wieder Arbeitslosengeld beziehe. Die bisher verstrichene Zeit von ca. sechs Jahren seit dem strafbaren Verhalten der Revisionswerberin sei noch zu kurz, um davon ausgehen zu können, dass die vorgenannte Gefahr gebannt sei. Hier sei auch festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Versagung eines Konventionsreisepasses auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen nicht Rücksicht zu nehmen sei.

Danach zitierte die Behörde die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung, in der ua. darauf hingewiesen wurde, dass sich die Revisionswerberin seit ihrer Verurteilung in Österreich wohlverhalten habe und über ausreichende Einnahmen verfüge, um ihren Unterhalt zu decken. Zudem habe sie am ihren Sohn geboren und keinerlei Ambitionen, ins Ausland zu reisen, um Suchtmitteldelikte zu begehen. Die Revisionswerberin erhalte etwa EUR 400,- monatlich vom AMS, dazu Unterhaltsleistungen für ihren Sohn von EUR 100,- pro Monat. Weiters erhalte sie Sozialhilfe in der Höhe von ca. EUR 500,- pro Monat. Die Revisionswerberin verfüge somit über ein monatliches Einkommen in der Höhe von ca. EUR 1.000,- von dem sie die Fixkosten für ihre Wohnung in der Höhe von ca. EUR 380,- sowie die sonstigen Lebenshaltungskosten bestreite. Bei ihrer Arbeitsplatzsuche sei die Vorlage eines entsprechenden Identitätsdokumentes verlangt worden. Dass sie keinen Identitätsausweis habe, sei auch der Grund gewesen, weshalb sie ihren Arbeitsplatz im Februar 2013 wieder verloren hätte.

Nach Zitierung der angewendeten Rechtsnormen führte die Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung aus, die Erstinstanz habe in treffender Form auf die strafbaren Handlungen und die Verurteilung der Revisionswerberin im Bereich des Suchtmittelgesetzes hingewiesen. Sogar eine einmalige Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz könne die in § 92 Abs. 1 Z 3 FPG umschriebene Annahme rechtfertigen. Auch die Tatsache, dass sich die Revisionswerberin seit mehr als sechs Jahren wohlverhalten habe, vermöge daran nichts zu ändern. Gerade der Suchtgiftkriminalität hafte nicht nur eine hohe Sozialschädlichkeit, sondern auch eine überaus hohe Wiederholungsgefahr an. Im Hinblick auf das Fehlverhalten der Revisionswerberin und unter Berücksichtigung der Erfahrungstatsache, dass Suchtgiftdelikten eine besonders hohe Wiederholungsgefahr innewohne, sei mit Grund zu befürchten gewesen, dass sie in Zukunft das Konventionsreisedokument dazu verwenden könnte, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen. Weiters verwies die Behörde darauf, dass die Ausstellung eines Reisedokumentes im Wissen um die mögliche Begehung von derartigen Handlungen auch im Ausland die Beziehungen Österreichs zu anderen Staaten gefährden würde, weshalb schon aus diesem Grund die Ausstellung zu versagen sei. Dass man ohne Konventionsreisedokumente keine "Arbeitsbewilligung" bekommen könnte, sei mit der geltenden Rechtslage nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 105/2014-15, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Nachdem der Revisionswerberin dieser Beschluss am zugestellt wurde, erhob sie am die gegenständliche Revision.

Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

§ 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG, BGBl. I Nr. 33/2013, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 lautet auszugsweise:

"§ 4. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung beim Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, vor Ablauf des erlassen worden, läuft die Beschwerdefrist mit Ende des noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

...

(5) Die Revision gemäß den Abs. 1 bis 3 ist unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung ist unzulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen. Eine solche Revision hat gesondert die Gründe zu enthalten, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Ob eine solche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen. Für die Behandlung der Revision gelten die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann. Für Revisionen gegen Bescheide anderer als der im zweiten Satz genannten Verwaltungsbehörden gelten die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht.

..."

Die Übergangsvorschriften weisen für einen Fall wie den gegenständlichen, in dem der Verfassungsgerichtshof die gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG erhobene Beschwerde erst nach dem gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, eine Lücke auf, welche durch die sinngemäße Anwendung des § 4 VwGbk-ÜG zu schließen ist (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2014/22/0033, mwN).

Gemäß § 4 Abs. 5 letzter Satz VwGbk-ÜG gelten die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG für die gegenständliche Revision nicht.

Weiters sind angesichts der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2013 die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 maßgeblich.

§ 92 und § 94 FPG lauteten auszugsweise:

"§ 92. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Fremdenpasses ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass

...

3. der Fremde das Dokument benützen will, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen;

...

5. durch den Aufenthalt des Fremden im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

..."

"§ 94. (1) Konventionsreisepässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des Asylberechtigten zukommt, auf Antrag auszustellen.

...

(5) Für die Festsetzung der Gültigkeitsdauer und des Geltungsbereiches von Konventionsreisepässen sowie der Gültigkeitsdauer der Rückkehrberechtigung in Konventionsreisepässen gelten die Bestimmungen des Anhanges der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge; im Übrigen gelten die §§ 88 Abs. 4 sowie 89 bis 93."

Die Versagungsgründe des § 92 Abs. 1 iVm § 94 Abs. 5 FPG sind vor dem Hintergrund des Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Statusrichtlinie vgl. jetzt RL 2011/95/EU) zu lesen. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, Reiseausweise - wie im Anhang zur Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen - für Reisen außerhalb ihres Gebietes ausstellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/21/0003).

Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat sich die Behörde im Rahmen ihrer Prognosebeurteilung im Sinn des § 92 Abs. 1 FPG nicht mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, wonach sich ihre Lebensumstände seit Begehung der angeführten strafbaren Handlung auf Grund der Geburt ihres Sohnes und der vorgebrachten Einkommenssituation geändert hätten, auseinandergesetzt und keine Feststellungen dazu getroffen. Unter Berücksichtigung, dass seit der Begehung der Tat der Revisionswerberin bis zur behördlichen Entscheidung mehr als sechseinhalb Jahre vergangen sind, in denen sich die Revisionswerberin gemäß der Aktenlage wohlverhalten hat, kann dem Vorbringen der Revisionswerberin nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden.

Indem die Behörde Ermittlungen und darauf basierende Feststellungen zu den vorgebrachten (geänderten) Lebensumständen der Revisionswerberin seit Begehung der Tat im Jahr 2007 unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensbestimmungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 sowie § 4 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am