VwGH vom 26.03.2015, Ro 2014/22/0026

VwGH vom 26.03.2015, Ro 2014/22/0026

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Beschwerde des L, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Skopje vom , Zl. Skopje-ÖB/KONS/2085/2013, betreffend Erteilung eines Visums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Österreichische Botschaft Skopje (in der Folge kurz "Botschaft") den am eingelangten Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Visums "D" durch Ankreuzen des entsprechenden Textbausteines mittels Formblatt ab. Auf dem Formblatt wurde die Bestimmung des § 21 Abs. 5 Z 4 FPG ("Öffentliche Interessen stehen der Erteilung eines Visums insbesondere dann entgegen, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.") angekreuzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die Botschaft erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass hier - wie in dem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der gegenständlichen Beschwerde bewilligenden Beschluss vom , Ro 2014/22/0026-6, angemerkt wurde - gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden sind.

In der Sache ist nach der hier anzuwendenden Rechtslage des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 im Grundsätzlichen auszuführen, dass ein Bescheid der Österreichischen Botschaft betreffend die Erteilung eines Visums nicht schon deshalb an einem Begründungsmangel leidet, wenn er sich auf das Ankreuzen von Textbausteinen beschränkt, ohne auf den konkreten Fall Bezug zu nehmen und Feststellungen dazu zu treffen. Diese Vorgangsweise entspricht nämlich den besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden sowie dem seit geltenden Visakodex (Verordnung Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom ). Der für eine Entscheidung maßgebliche Sachverhalt muss aber im Akt nachvollziehbar sein und es ist die Behörde in einem solchen Verfahren gehalten, dem Antragsteller vor der Abweisung seines Antrages Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/22/0009).

Unbestritten steht fest, dass der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Kosovo, am die Ehe mit einer im Jahr 1936 geborenen österreichischen Staatsbürgerin geschlossen hat. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Er reiste freiwillig aus und kehrte in sein Herkunftsland zurück. Um dem Erfordernis der Auslandsantragstellung nachzukommen, brachte er den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels neuerlich ein. Dieser wurde von der Berufsvertretungsbehörde an die inländische Behörde weitergeleitet. Der Landeshauptmann von Salzburg teilte der Botschaft mit, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre (§ 23 Abs. 2 NAG). Dieser wurde zur Abholung durch den Beschwerdeführer bereitgehalten. Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin von der Botschaft mitgeteilt, dass er für die Einreise nach Österreich und die persönliche Übernahme seines Aufenthaltstitels ein Visum der Kategorie "D" benötige. Er wurde eingeladen, zu einem bestimmten Termin deswegen vorzusprechen.

Die Botschaft erteilte jedoch das erforderliche Visum nicht, sondern stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei der Ehe des Beschwerdeführers um eine Aufenthaltsehe handle. Sie forderte den Beschwerdeführer zur Abgabe einer Stellungnahme auf und wies den gegenständlichen Antrag nach Einlangen einer Stellungnahme mit dem angefochtenen Bescheid ab.

§ 21 und § 24 FPG lauteten (in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 bzw. BGBl. I Nr. 38/2011) auszugsweise:

"§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn


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1.
dieser ein gültiges Reisedokument besitzt;
2.
die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint;
3.
öffentliche Interessen der Erteilung des Visums nicht entgegenstehen, es sei denn, die Interessen des Fremden an der Erteilung des Visums wiegen schwerer, als die öffentlichen Interessen, das Visum nicht zu erteilen und
4.
kein Versagungsgrund (Abs. 7) wirksam wird.
...

(5) Öffentliche Interessen stehen der Erteilung eines Visums insbesondere dann entgegen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

...

§ 24. (1) ...

...

(3) Teilt die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde der zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland mit, dass einem Fremden, der der Visumpflicht unterliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre (§ 23 Abs. 2 NAG), ist dem Fremden unter Berücksichtigung des § 21 Abs. 1 Z 1, 3 und 4 ein Aufenthaltsvisum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen. Die Versagung des Aufenthaltsvisums gemäß § 21 Abs. 1 Z 3 aus den Gründen des § 21 Abs. 5 Z 1 bis 3 und 6 ist nicht zulässig. Wird das Aufenthaltsvisum nicht erteilt, hat dies die zuständige Vertretungsbehörde der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde unter Angabe der Gründe mitzuteilen.

(4) ..."

§ 23 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011) lautete auszugsweise:

"§ 23. (1) ...

(2) Wäre dem Fremden, der sich im Ausland befindet, ein Aufenthaltstitel zu erteilen, hat die Behörde dies der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde zwecks Ausstellung eines Visums für die einmalige Einreise (§ 21 FPG iVm § 24 Abs. 3 FPG) mitzuteilen, wenn der Fremde dies zur Einreise benötigt. Der Umstand, dass die Ermittlung der erforderlichen erkennungsdienstlichen Daten auf Grund fehlender technischer Voraussetzungen nicht bereits bei Antragstellung bei der Berufsvertretungsbehörde erfolgte (§ 19 Abs. 5 erster Satz) steht dieser Mitteilung nicht entgegen. Die Mitteilung wird gegenstandlos, wenn der Fremde nicht binnen drei Monaten ab Mitteilung das Visum beantragt und über diesen Umstand von der Berufsvertretungsbehörde belehrt worden ist; das Verfahren bei der Behörde ist ohne weiteres einzustellen.

(3) Wird der Aufenthaltstitel nicht binnen sechs Monaten ab Mitteilung (Abs. 2) bei der Behörde behoben, so ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen. Allfällig vorher ergangene Erledigungen sind gegenstandslos.

(4) ..."

Vorerst ist zu klären, ob die Beschwerde gegenstandslos geworden ist. Dies wird von der Botschaft unter Hinweis auf § 23 Abs. 3 NAG in der genannten Fassung, demzufolge das Verfahren ohne Weiteres einzustellen ist, wenn der Aufenthaltstitel nicht binnen sechs Monaten ab einer Mitteilung nach § 23 Abs. 2 NAG bei der Berufsvertretungsbehörde behoben wird, vertreten.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich der Ansicht der Botschaft nicht anzuschließen, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht mehr in Rechten verletzt ist. § 23 Abs. 3 NAG kann im Hinblick auf § 42 Abs. 3 VwGG nicht so gelesen werden, dass eine allfällige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wirkungslos wäre. Da eine Abholung des bei der Behörde bereitgelegten Aufenthaltstitels durch den Beschwerdeführer nur nach Erteilung eines Visums in Betracht kommt, kann im Fall der Aufhebung einer rechtswidrigen Nichterteilung des Visums durch den Verwaltungsgerichtshof nicht von einem Fristablauf nach § 23 Abs. 3 NAG ausgegangen werden. Die aus § 42 Abs. 3 VwGG abzuleitende Rückwirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes führt dazu, dass dem Beschwerdeführer nach einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides zugestanden werden muss, nach tatsächlicher Erteilung des Visums im fortgesetzten Verfahren den Aufenthaltstitel abzuholen, ohne dass ihm § 23 Abs. 3 NAG entgegen gehalten werden könnte. Eine allfällige Einstellung des Verfahrens gemäß § 23 Abs. 3 NAG fällt mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides weg.

Wie sich aus § 24 Abs. 3 FPG in der hier anzuwendenden Fassung ergibt, hatte die Berufsvertretungsbehörde auch im Fall einer Mitteilung nach § 23 Abs. 2 NAG (u.a.) das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 21 Abs. 5 Z 4 FPG zu prüfen. Die Botschaft ist somit darin im Recht, dass sie auch nach einer entsprechenden Mitteilung der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde das beantragte Visum dann versagen darf, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Eine solche Gefährdung ist unter Beachtung der aus § 53 Abs. 2 FPG erschließbaren Intention des Gesetzgebers zweifellos dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige eine Ehe geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt hat bzw. nicht zu führen beabsichtigt.

Das Bestehen eines Familienlebens nach Art. 8 EMRK verneint die Botschaft mit der Begründung, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Hinblick auf den Altersunterschied von 46 Jahren anlässlich einer fremdenpolizeilichen Erhebung angegeben habe, es sei eine Art Mutter-Sohn-Beziehung entstanden, eine Adoption wäre mit hohen Kosten und enormem Verwaltungsaufwand verbunden gewesen und es bestehe kein sexueller Kontakt.

Dies entspricht dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Darüber hinaus hat er aber in seiner Stellungnahme vom u. a. darauf hingewiesen, dass sich eine geistige und seelische Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern entwickelt habe, beide einen gemeinsamen ehelichen Haushalt führen wollten und auch eine finanzielle Gemeinschaft bestehe.

Ausgehend von diesem unbestritten gebliebenen Vorbringen erweist sich die Annahme der Botschaft über das Vorliegen einer "Aufenthaltsehe" als rechtswidrig. Nach übereinstimmender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes besteht nämlich eine Ehe - wie auch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft - aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber auch bei einer Ehe das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Es kommt hierbei regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei vor allem der Wirtschaftsgemeinschaft nach der Rechtsprechung Bedeutung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2001/11/0075). Im Erkenntnis vom , 2009/08/0081, sprach der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das Vorliegen einer Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft ausdrücklich aus, dass sich dann weitere Ermittlungen bzw. Feststellungen zum allfälligen Vorliegen auch einer Geschlechtsgemeinschaft erübrigten, weil die anderen maßgebenden Elemente für die Bejahung einer (dort:) Lebensgemeinschaft gegeben seien.

Im vorliegenden Fall stellte die Botschaft nicht fest, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau keine Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft führen wollen. Das Fehlen einer Geschlechtsgemeinschaft schließt nach dem Gesagten ein Familienleben unter Eheleuten nach Art. 8 EMRK nicht aus. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau vorerst den Abschluss eines Adoptionsvertrages ins Auge gefasst und dann verworfen haben, steht der Annahme eines Familienlebens nach Art. 8 EMRK nicht entgegen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am