VwGH vom 05.05.2015, Ro 2014/22/0023

VwGH vom 05.05.2015, Ro 2014/22/0023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des Y M in Wien, vertreten durch Mag. Robert Igali-Igalffy, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 34, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 166.382/3- III/4/13, betreffend ein Aufenthaltstitelverfahren, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines chinesischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Schüler" abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden als "Behörde" bezeichnet) im Spruchpunkt II. die Berufung des Revisionswerbers gegen den angeführten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG wegen Verspätung zurück und im Spruchpunkt I. die Berufung des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , mit dem der Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers vom abgewiesen worden war, gemäß § 71 AVG ab.

Begründend führte die Behörde aus, aus dem Verwaltungsakt gehe hervor, dass die Zustellung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom mit Hinterlegung bei der zuständigen Poststelle am rechtswirksam erfolgt sei. Der Revisionswerber habe angegeben, dass er bereits am seinen Wohnsitz in Wien, B-Gasse, aufgegeben hätte. Feststehe allerdings, dass der Revisionswerber vom bis an der angeführten Adresse aufrecht mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei. Aus der Aktenlage habe eine Wohnsitzänderung nicht erkannt werden können. Der Bescheid vom sei somit ordnungsgemäß zugestellt worden.

Es stehe somit fest, dass die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen und die Berufung vom verspätet eingebracht worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde erwogen:

§ 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, lautet auszugsweise:

"§ 4. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung beim Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, vor Ablauf des erlassen worden, läuft die Beschwerdefrist mit Ende des noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

...

(5) Die Revision gemäß den Abs. 1 bis 3 ist unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung ist unzulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen. Eine solche Revision hat gesondert die Gründe zu enthalten, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Ob eine solche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen. Für die Behandlung der Revision gelten die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann.

..."

§ 26 VwGG in der bis zum Ablauf des

geltenden Fassung lautete auszugsweise:

"§ 26. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG oder gegen eine Weisung gemäß Art. 81a Abs. 4 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt

1. in den Fällen des Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer bloß mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung;

...

(3) Hat die Partei innerhalb der Frist zur Erhebung der Beschwerde die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61), so beginnt für sie die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Der Bescheid ist durch den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen, so beginnt die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei."

Der vorliegend angefochtene Bescheid wurde am erlassen.

Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist beim Verwaltungsgerichtshof die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Revision gegen den angefochtenen Bescheid. Mit hg. Beschluss vom , VH 2013/22/0128, wurde dem Verfahrenshilfeantrag nicht stattgegeben. Dieser Beschluss wurde dem Revisionswerber am zugestellt.

Die Frist zur Erhebung der Revision begann daher gemäß § 26 Abs. 3 letzter Satz VwGG mit , sodass die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 VwGbk-ÜG der offenen Beschwerdefrist gegeben ist. Die am gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG erhobene Revision war somit rechtzeitig.

§ 2 und § 8 Zustellgesetz (ZustG) lauten auszugsweise:

"§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

...

4. 'Abgabestelle': die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort;

..."

"§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

Die Revision wendet sich gegen die Annahme der Behörde, es sei eine wirksame Zustellung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom an seine frühere Wohnadresse am erfolgt, und ist damit im Recht.

Die vom Landeshauptmann von Wien zunächst veranlasste Zustellung des Bescheides an der Adresse in Wien, B-Gasse, war erfolglos. Das Dokument wurde der Erstbehörde am mit dem Vermerk "Empfänger ist verzogen" retourniert. Daraufhin ordnete die Erstbehörde die neuerliche Zustellung des Bescheides an dieser Adresse an. Nach einem weiteren misslungenen Zustellversuch am wurde der Bescheid bei der zuständigen Postfiliale hinterlegt, wobei als Beginn der Abholfrist der vermerkt wurde. Nachdem der Bescheid nicht innerhalb der angegebenen Abholfrist behoben wurde, wurde er mit dem Vermerk "nicht behoben" an den Landeshauptmann retourniert.

Entgegen der Ansicht der Behörde kann aus den Eintragungen im Zentralen Melderegister - obgleich eine Indizwirkung nicht abgesprochen werden kann - nicht zwingend gefolgt werden, ein Mensch sei deshalb (immer noch) an der Adresse wohnhaft, an der er gemeldet ist; vielmehr kann die Unrichtigkeit der im Zentralen Melderegister enthaltenen Daten dargelegt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/02/0061, mwN).

Die Behörde hätte sich daher mit dem vom Revisionswerber erstatteten Vorbringen, wonach er an der von der Erstbehörde gewählten Zustelladresse keine Abgabestelle mehr gehabt hätte, auseinandersetzen und entsprechende Feststellungen dazu treffen müssen, zumal das zuzustellende Dokument nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch der Erstinstanz mit dem Vermerk "Empfänger ist verzogen" retourniert wurde und somit erhebliche Zweifel an der weiteren Unterkunftnahme des Revisionswerbers an der bisherigen Wohnadresse bestanden.

Da die Behörde dies - ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, die Hauptwohnsitzmeldung begründe jedenfalls eine Abgabestelle - unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Für die Anordnung oder Vornahme einer Zustellung im Sinne des § 8 Abs. 2 ZustG gibt es im vorliegenden Fall anhand der vorgelegten Akten keine Hinweise.

Soweit die Behörde in ihrer Bescheidbegründung § 19 Abs. 6 NAG zitiert, wonach ein Fremder der Niederlassungsbehörde eine Zustelladresse und im Fall ihrer Änderung während des Verfahrens die neue Zustelladresse unverzüglich bekannt zu geben hat, ist auszuführen, dass als Sanktion für das Unterbleiben der Bekanntgabe in § 19 Abs. 6 NAG vorgesehen ist, dass im Falle wiederholten Misslingens einer Zustellung die Behörde befugt ist, das Verfahren einzustellen. Eine gesetzliche Fiktion, wonach die Zustellung als bewirkt anzusehen wäre, wenn der Fremde seiner in § 19 Abs. 6 NAG enthaltenen Verpflichtung nicht nachkommt, ist dem Gesetz demgegenüber nicht zu entnehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/21/0007).

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich beider Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 sowie § 4 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am